da war, und selbst dann nur zögernd, seiner Schwester Dinah, zu
deren in Leid und Lust erfahrenen Frauenbüchern er lust- und
leiderfüllte Bilder malte, und seinem Schwager Heinrich, einem
gründlichen Kenner deutscher KZ-Lager der guten alten Zeit, von
1938, wo man Insassen noch nicht zu Tausend vergaste, sondern
nur einfach „auf der Flucht“ erschoß. Sascha, der Baron, der sich,
sein Weib, drei schwarze Katzen und einen Hund durch eine Leih¬
bibliothek ernährt, gesellt sich ihnen, dann der blonde Berliner
Rechtsanwalt, der Holz für die „Kapitalisten“ in der Bucht sägt,
und aus dem Kloster der Dominikaner kommt, die Stirn gefurcht,
mein Wiener Ire, dem aus der ihm schon zur anderen Natur ge¬
wordenen Psychose der Flucht immer das Schlimmste schwant.
Und es enthüllt sich, dass uns alle die Burgfrau herbefohlen hat,
die uns am Steintisch ihrer Gartenterrasse erwartet, wo zwischen
geschliffenen Gläsern die strohumflochtene Flasche Marasquino
steht. „Auf die Freiheit!“ trinkt sie uns zu; sie trägt ihr bestes Kleid
und ihre Augen strahlen. „Daß sie uns bald erlöst!“ erwidere ich
für die Gefährten, und wir stoßen an. „In Rom ist sie schon ein¬
gezogen“, jubelt sie; „Mussolini haben sie dort vielleicht verhaftet
heute nacht und die faschistische Partei verboten!“
Alle schreien wir auf, — dann kreuzen wilde Fragen, durch die sich
endliche ihre Stimme drängt und den Bericht des Partisanensen¬
ders widergibt. Benito Mussolini, der als erster Staatslenker jenes
durch Hitler übertrumpfte Machtsystem begann, das eine Welt
in Blut und Feuer tauchte, geht jetzt als erster Staatslenker daran
zugrunde. Hätte er vorher freiwillig verzichtet in der Erkenntnis
seiner nahen Niederlage, er wäre als Patriot geachtet worden, doch
diesen einzigen würdigen Abgang fand er nicht. Klein und kläglich
schied er aus der Versammlung, die ihn niederschrie. Menschen
der Macht wie er verlieren ihr Gesicht, wenn sie ihr Spiel verlieren.
„Das Vorbild und der Abgott Hiders, dieser gewesene Anarchist
Benito“, doziert der Rechtsanwalt auf dem Heimweg, „schmeichelte
sich, den Führer zu verführen, und das Gegenteil geschah. Nie
zieht der Klügere den Dumpferen zu sich empor bei einem solchen
Bunde; am Ende wird nur er herabgezogen. Das kenne ich aus
tausend Fällen meiner Scheidungspraxis.“ „Das Reich des Duce
endete mit einundzwanzig Jahren“, stelle ich fest; „wie viel Jahre
gibst du noch dem Tausendjährigen Reich?“ „Auf keinen Fall so
viele mehr, wie der Faschismus zählte“, versetzt der Anwalt, „denn
scheint das auch erst nur ein Putsch des Königs, so hat bis jetzt doch
nie ein Umsturz stattgefunden, der nicht am Haupt der Macht
begann, die fallreif war. Den¬
ke an Frankreich 1789 und
an Rasputin und den Za¬
renhof. Und darum mag es
sein, dass dieser Julitag, der
in dem Duce alle Diktatoren
auf der Erde traf, vielleicht
noch jenen anderen Julitag
in Schatten stellt, der die
Bastille zerschlug.“
Vor der Quästur gewahren
wir Matrosen, die dort das
Mussolini-Bild des Amtsrau¬
mes neben den Aufruf des
Marschalls Badoglio an das
Haustor heften, aber umge¬
dreht. Da pendelt der Duce
nun in voller Uniform, den
Kopf nach unten...
„Ein Urteil, in eifligie vollstreckt“, bemerkt der Rechtsanwalt,
„wie wir Juristen das benennen würden. Zum Glück für Mussolini
bleibt das aber heutzutage rein symbolisch. Denn schlimmstenfalls
stirbt er auf einem Schloß in England, weil sie doch dort Gewis¬
sensbisse haben seit Sankt Helena.“
Das Duce-Bild wiegt sich im Morgenwind.
Copyright Ephelant Verlag, Wien; entnommen aus: ETh. Csokor: Als Zivilist
im Balkankrieg. Hg. von Franz Richard Reiter. Wien Ephelant 2000, S. 167¬
171. (Dokumente. Berichte. Analysen. Bd. 10). — Das Buch erschien erstmals
1947 in Wien.
Im Ephelant Verlag sind 1993 noch weitere Hauptwerke Csokors erschienen:
Auch heute noch nicht an Land. Briefe und Gedichte aus dem Exil ; 3. November
1918. Der verlorene Sohn. Gottes General.
Franz Theodor Csokor (1885 Wien — 1969 Wien), Lyriker, Publizist, Drama¬
turg, Drramatiker, protestierte 1933 auf dem PEN-Kongreß in Ragusa öffentlich
gegen die Verfolgung von Schriftstellern im Dritten Reich, worauf seine Werke
in Deutschland verboten wurden. Im März 1938 flüchtete er nach Polen, im
September 1939 weiter nach Bukarest, 1941 nach Belgrad und auf die von Italien
besetzte Insel Koréula. Nach der Kapitulation Italiens im Herbst 1943 gelangte
er auf einem Schiff der Partisanen in das von den Alliierten befreite Bari, wo
er sich der britischen Armee anschloß. 1946 kehrte er nach Wien in britischer
Uniform zurück. 1947 wurde er Präsident des wiedergegründeten österreichi¬
schen PEN-Zentrums. 1955 erhielt er den Großen Österreichischen Staatspreis.
Zunächst möchte ich kurz erklären, wie ich dazu komme, über
„die jugoslawische Kriegserfahrung in der österreichischen Exil¬
literatur“ zu sprechen. Mein Zugang zum Thema ergab sich aus
einem vom Institut für allgemeine und vergleichende Litera¬
turwissenschaft in Klagenfurt getragenen und von der Öster¬
reichischen Nationalbank finanzierten Forschungsprojekt mit
dem Titel Literatur und Widerstand (Jubiläumsfondsprojekt
9756), das ich in den letzten zwei Jahren zusammen mit An¬
drej Leben betreute und das die Repräsentation des Kärntner
Partisanenkampfes in der slowenischen und in der deutschen
Literatur untersucht hat.” Es ist evident, dass auf slowenischer
Seite der bewaffnete Widerstand in Kärnten grosso modo als Teil
des slowenischen und damit jugoslawischen Volksbefreiungs¬
kampfes gesehen wird, während auf der österreichischen Seite
diese Einordnung bis heute Probleme macht, weil die Kärntner
Partisanen mit ihrem Kampf selbstverstandlich auch Anschluss¬
bestrebungen in Richtung Jugoslawien verbanden. Dies inter¬
pretiert die offizielle Karntner Landesgeschichtsschreibung als
Verrat, der Partisanenkampf wird als ausschließlich zum Zweck
des territorialen Zugewinns Jugoslawiens über die Karawanken
getragener Raubzug diffamiert, der übrigens fast keine Basis in
der ansässigen slowenischen Bevölkerung gefunden habe. Auch
jüngste Publikationen werden nicht müde, auf die verbrecheri¬
sche Gesinnung und die besondere Grausamkeit der Partisanen
hinzuweisen, die in ihrem Blutrausch Rache für die verlorene
Volksabstimmung 1920 nehmen wollten.