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REZENSIONEN Die achtzehn Beiträge des Sammelbandes „Kalter Krieg in Österreich“ analysieren sehr kompetent die Auswirkungen des Kalten Krieges auf die Gebiete der Literatur, des Theaters, der Publizistik, der Kulturpolitik, der Kunst und der Medien. Günther Stocker, der sich der Literatur widmet, thematisiert Ernst Fischer (unter dem Stichwort „Propagandaliteratur“), weiters Milo Dor/Reinhard Federmann, Robert Neumann und den vergessenen Roman » Lauschzentrale“ von Erika Mitterer. Evelyne Polt-Heinzls Beitrag unter dem Titel „Der Kalte Krieg schreibt Literaturgeschichte oder der Mythos vom langen Schweigen der Literatur zum Nationalsozialismus“ hält nicht ganz, was er verspricht. Sie verweist auf Martina Wieds Exilroman „Das Krähennest“, auf die Werke Oskar Jan Tauschinskis, Ingeborg Bachmanns, Hannelore Valencaks, Marlen Haushofers und auf unterschiedliche Lektüren in Ilse Aichingers „Die größere Hoffnung“. Die Kulturpolitik wird in einem kenntnisreichen Aufsatz von Michael Hansel und Stefan Maurer über Wolfgang Kraus abgehandelt. Der Beitrag über den PEN-Club von Ingrid Schramm enthält einige lesenswerte Details über Hans Weigel, Hilde Spiel und Robert Neumann. Dass aber Fritz Wotruba bei Schramm zu einem Architekten mutiert, erstaunt doch, ebenso, dass „Pem‘s personal Bulletin“ von ihr zitiert wird, ohne den alleinigen Autor und Herausgeber Paul Marcus beim Namen zu nennen. Auch Franz Stadlers Beitrag über Friedrich Torberg kontra Robert Neumann bringt Details ans Tageslicht, die die Sekundärliteratur (von Roman Roéek und Hans Wagener) ergänzen oder ihr widersprechen. Alfred Pfoser schreibt über das vielfach vergessene „Österreichische Tagebuch“ bzw. „Tagebuch“ und erwähnt auch zahlreiche Fxilautoren - so Franz Werfel, Ferdinand Bruckner, Alfred Polgar, Theodor Kramer, Erich Fried —, an die in der Zeitschrift erinnert wurde. Elisabeth Prinz, die an der Wiener Germanistik über politische Krankheitsmetaphern bei Arthur Koestler dissertierte, verfasste den Beitrag über Koestler, erwähnte aber in dem von ihr referierten Lebenslauf weder seine jüdische Herkunft noch die für seine Biographie so wichtigen zionistischen Phasen. Zusammen mit Michael Rohrwasser schrieb Prinz auch einen zweiten, sehr lesenswerten Beitrag über die Korrespondenz zwischen Koestler und seinen engen Freund Manés Sperber. E.A. Michael Hansel, Michael Rohrwasser (Hg.): Kalter Krieg in Österreich. Literatur — Kunst — Kultur. Wien: Zsolnay 2010. 352 S. (Profile. Bd. 17). Euro 19,90 Feststellungen und Versuche — man könnte die zwischen 1942 und 1952 entstandenen Auf zeichnungen Franz Baermann Steiners nicht treffender bezeichnen, als der Autor selbst es getan hat. Es handelt sich einerseits um Feststellungen, Ihesen, Ergebnisse intensiven Nachdenkens, oft in aphoristischer Zuspitzung, die allein um ihrer prägnanten Formulierung willen Anspruch auf Zustimmung des Lesers erheben. Sie entsprechen dem Satz: Die Wahrheit überfällt aus dem Hinterhalt, wobei der Überfall fast als Wahrheitskriterium gelten kann. Das wird man sich als Leser nicht gern gefallen lassen, und auch der Autor ist nicht immer von der unmittelbaren Evidenz seiner Feststellungen überzeugt, er ergänzt sie durch Versuche, seine Thesen logisch zu entwickeln oder nachträglich zu begründen, ohne die Argumentationen zu geschlossenen Abhandlungen aufzuschwellen, vielmehr sie willkürlich abbrechend und Lücken zurücklassend. Man hat mit diesen Aufzeichnungen, wenn man sie recht zu lesen versteht, ein ungeheures Anregungspotential vorliegen, es sei denn, man würde sie als eine Sammlung blendend formulierter Vorurteile missbrau60 _ ZWISCHENWELT chen. Darin unterscheiden sie sich sehr von den gleichzeitig entstandenen Aufzeichnungen des Freundes Elias Canetti, die sich in elaborierter Kunstform präsentieren und entschiedener, als Steiners Ansatz es gestatten würde, den autoritären Gestus hervorkehren. Steiner ist bewusst gebunden an eine religiöse Demut, die Canetti völlig fremd ist. Allerdings ist die religiöse Bindung nicht immer von Vorteil. Viele seiner Aufzeichnungen beschäftigen sich mit Problemen der Ethnologie und Sozialanthropologie, den Wissenschaften, in denen Steiner selbständig und anregend als Fachgelehrter hervorgetreten ist. Hier formuliert er seine Ensichten so, dass sie auch heute noch von theoretischer Bedeutung sein kénnen. Das gilt jedoch nicht fiir den Bereich der Religionswissenschaften, die aus einer religiösen Bindung heraus nicht aufgebaut werden können. Denn die Selbstwahrnehmung des religiösen Menschen schließt die Fremdwahrnehmung der eigenen Religion unausweichlich aus. Da aber andere Religionen nur der Fremdwahrnehmung zugänglich sind, fehlt dem religiös gebundenen Menschen die methodische Basis für vergleichende Forschungen. Die Peinlichkeiten, in die sich Steiner immer wieder verwickelt, wenn er Judentum und Christentum, besonders den Protestantismus, negativ aufeinander bezieht, lassen sich nur schwer übersehen, zumal Steiner selbst ja nur zu genau weiß, dass solche Konfrontationen dem Verständnis nicht dienlich sind: und z.B. ein Jude die Liturgie der christlichen Messe nie verstehen werde. Da nun religionsvergleichende Überlegungen einen großen Teil der Aufzeichnungen Steiners beanspruchen, ist man zu einer besonders kritischen Lektüre genötigt, auch in Ihemenbereichen, die scheinbar den Religionswissenschaften nicht unmittelbar nahe stehen. Das betrifft entscheidend auch Steiners Kafka-Interpretation. In dieser Hinsicht hatte Canetti es leichter: er musste keine religiösen Entscheidungen zur Geltung bringen. Für die Lektüre Kafkas ist diese Differenz entscheidend. Sicher: wer Steiner sagt, muss auch Kafka sagen. Aber um Kafka zu lesen, muss man Steiner nicht kennen. Solche Einwände, denen noch manch andere hinzugefügt werden müssten, können den tiefen Respekt vor den Versuchen Steiners nicht mindern, in voller Freiheit und Eigenverantwortung zu einer religiösen Selbstverständigung über das Judentum zu gelangen. Steiner deutet die jüdische Existenz aus der Erfahrung des Exils antiindividualistisch: es geht um das heimatlose Volk des Gottesbundes. Die biblischen Bezugspunkte dieser Deutung sind immer wieder die Vätergeschichten und die Erzählungen vom Auszug aus Ägypten bis zur Offenbarung am Sinai. Das existenzielle Exil des Juden wird also weder aus der babylonischen Gefangenschaft noch aus dem Galuth hergeleitet, sondern aus der Ihora. Das macht die religiöse Daseinsform des gesetzestreuen Juden durchsichtig auf ethnographische Vorstellungen nomadischen Lebens, in Gesellschaften ohne Staatenbildung und mit minimaler Eigentumsbildung, die eben deshalb egalitär organisiert sind und keine Kriege führen, es sei denn zur Verteidigung des bloßen Lebens - eine geschichtsphilosphische Illusion, die innerhalb der Ethnologie noch bis in die sechziger Jahre des 20. Jahhunderts gehegt worden ist. Man kann von hier aus leicht einsehen, dass Steiner eine politische Existenz Israels in einem säkularen Staat unter modernen Voraussetzungen nicht umstandslos hat gutheißen können, Heimat war für ihn nicht das Land Palästina, sondern wie den archaischen Vätern die Erde, zu der man nach dem Tod zurückkehrt: das Grab. Steiners Judentum ist nicht orthodox, aber, ähnlich wie bei Franz Rosenzweig, durch und durch fundamentalistisch geprägt. Ein aufgeklärtes Verständnis der jüdischen Religion und ihrer Quellen schließt Steiner immer wieder ausdrücklich aus, historische Kritik ist für ihn