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Heimo Gruber Herta Reich (1917 — 2012) Am 19. Februar 2012 ist Herta Reich gestorben und zwei Tage danach im Kibbutz Kiriyat Anavim westlich von Jerusalem begraben worden. Sie wurde 1917 als Herta Eisler in Mürzzuschlag (Steiermark) geboren, wo sie Kindheit und Jugend erlebte und nach Absolvierung der Handelsschule im elterlichen Textilgeschäft arbeitete. Nach mehrwöchiger Gestapohaft wurde sie 1938 gezwungen, Mürzzuschlag zu verlassen. Die Gewalt des erlittenen Bruches fasste sie in knappe Worte: Zwei Tage Zeit, um 20 Jahre meines jungen Lebens zurückzulassen, um nie mehr wiederzukehren, einfach so unglaublich, alles zurückzulassen, was Glück, was Heimat war. Gescheiterte Fluchtversuche nach Holland und Belgien führten sie nach Wien zurück, wo sie sich im Herbst 1939 einem illegalen Transport über die Donau anschließen konnte. Dieser ist als Kladovo- Transport in die Geschichte eingegangen und endete in einer Katastrophe. Da für die Weiterbeförderung in das britische Mandatsgebiet Palästina noch kein Hochseeschiff im Schwarzen Meer bereitlag, wurden die Donauschiffe in Jugoslawien gestoppt. Mehr als tausend Flüchtlinge saßen dort fest, wurden 1941 im Zuge des Überfalls aufden Balkan von der Wehrmacht überrollt und in der Folge ermordet. Herta Eisler-Reich verdankte das Überleben ihrem aus Polen kommenden Mann Romek Reich, den sie im Kladovo-Transport kennen und lieben lernte und der sie zur Flucht aus dieser tödlichen Falle ermutigte. Mit einer kleinen Gruppe schlugen sie sich gemeinsam durch das besetzte Jugoslawien nach Italien durch, wo sie in einem kleinen Dorfin den Abruzzen interniert wurden. 1943 wagte die Gruppe in einer abenteuerlichen Aktion die Überschreitung der Frontlinien und gelangte in das von den Allierten bereits befreite Süditalien. Nach einem Aufenthalt im Displaced Persons-Camp in Bari konnten Herta und Romek Reich 1944 legal in Palästina einreisen. Sie lebten in ärmlichsten Verhältnissen vorerst in Tel Aviv, wo Herta Reich Arbeit in einer Wollweberei Veronika Pfolz fand. 1946 übersiedelte das Paar nach Holon und im Jahr darauf wurde das junge Glück mit der Geburt des Sohnes Ronny besiegelt. 1948 folgte der nächste Schicksalsschlag: Verlust des Ehemannes Romek, der zu den ersten Gefallenen des israelischen Unabhängigkeitskampfes zählte. Herta Reich hat ihren Sohn Ronny allein großgezogen. Äußerlich klein und zart, aber von großer psychischer und physischer Widerstandskraft, verdiente sie den Lebensunterhalt durch Heimarbeit als Näherin. Liebe und Stolz Herta Reichs galten stets ihrer Familie: Heute zählt Ronny Reich zu den renommiertesten Archäologen Israels und lehrt an der Universität Haifa. 1977 zog Herta Reich nach Jerusalem, wo sie bis zuletzt allein in einer kleinen Wohnung lebte. 50 Jahre nach der Vertreibung begann sie ihre Fluchterinnerungen niederzuschreiben. Dieses beeindruckende und erschütternde Dokument wurde 1998 im Grazer Clio Verlag unter dem Titel Zwei Tage Zeit. Herta Reich und die Spuren jüdischen Lebens in Mürzzuschlag veröffentlicht und fand auch in Mürzzuschlag Aufmerksamkeit. Die sich daraus ergebenden Kontakte vermittelten Herta Reich das Gefühl, in ihrem Herkunftsland nicht zur Gänze in Vergessenheit geraten zu sein. Aber die schwere Last der Erinnerung wurde dadurch nicht leichter, denn — wie sie es in einem Brief ausdrückte — „eine immerwährende traurige Sehnsucht ist geblieben.“ Alle, die Herta Reich begegnet sind, werden sie in Zukunft vermissen. Das Vermächtnis ihrer außergewöhnlichen Persönlichkeit zeigt uns, dass nur das Bewusstsein um vergangenes Unrecht zur Übernahme historischer Verantwortung führt, die künftiges Handeln bestimmen und damit ähnliche Tendenzen zur Wiederholung erkennen und verhindern kann. Ein ausführlicher Beitrag Heimo Grubers über Herta Reich und den „Kladovo- Transport“ findet sich in ZW Nr. 1-2/2010, S. 51-53, im Rahmen des Schwerpunktes „Exil in Jugoslawien“. Am Beispiel der Familie Berger soll aufgezeigt werden, daß essentielle Hilfestellung nicht von der Prominenz beziehungsweise dem (äußeren) „Rang“ einer Person abhängt, sondern auch im kleinen Rahmen sehr viel bewirken kann. Ein großer, vor allem enger Bekanntenkreis kann sich als äußerst hilfreich erweisen. Was heute unter der Bezeichnung Netzwerke als unbedingt notwendig für eine erfolgreiche Karriere erachtet wird, konnte in schwierigen Zeiten unter extremen Bedingungen überlebenswichtig sein. Die einzelnen Mitglieder der Familie Berger haben in der Emigration unterschiedliche Schicksale erfahren und geben dadurch von der Lage österreichischer Emigranten im Exil, vor allem in England, ein anschauliches Bild. Die Biographien der Bergers zeigen, wie es den einzelnen Mitgliedern gelang, ein Netzwerk von Bezugspersonen aufzubauen. 28 — ZWISCHENWELT Einerseits gab es so im Bekanntenkreis immer jemanden, an den man sich um Rat oder Hilfe wenden konnte, andererseits nutzten sie diese Kontakte, um ihrerseits anderen zu helfen; das taten sie, bevor sie sich selbst eine auch nur halbwegs gesicherte Situation geschaffen hatten. Margarete Hamerschlag wurde am 10. Mai 1902 in Wien geboren. Sie besuchte 1911-16 die Jugend-Kunstklasse von Franz Cizek und studierte von 1917-22 an der Kunstgewerbeschule bei Oskar Strnad, Bertold Löffler und Eduard Wimmer. Sie schuf Holzschnitte und Aquarelle, illustrierte und publizierte in Zeitungen und Zeitschriften Illustrationen? und entwarf auch Kostüme für Anton Giuglio Bragaglia (Teatro degli Independenti Sperimentale/Experimentelles Theater der Unabhängigen) in Rom.