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ungarischen diplomatischen Gesandten in der Schweiz einen Rei¬
sepass auszustellen, nahm sie die Hilfe internationaler Freundinnen
und Freunde an, um das Land verlassen zu können.‘ Sie bekam
einen Emergency-Passport von Österreich, das trotz der damali¬
gen Lebensmittelknappheit auch andere politische Flüchtlinge
aufnahm. Ihr weiteres Exilland, die USA, verweigerte Rosika
Schwimmer jedoch 1926 die amerikanische Staatsbürgerschaft,
da sie als Pazifistin den Passus, ob sie bereit sei, das Land mit der
Waffe zu verteidigen, nicht angekreuzt hatte.

Redeweisen über Staatenlose und Refugees in der Frauenliga

Die Themen Menschenrechte und das Recht auf Asyl wurden wie¬
derholt diskutiert, unter anderem auch am letzten internationalen
Kongress vor Ausbruch des Krieges — er fand 1937 in Luhacovice
in der Tschechoslowakei statt. Olga Misat, geb. Popper (1876 —
1950), eine Frauenliga-Aktivistin aus Österreich, hielt eine Rede
über Geschichte und Gegenwart der Menschenrechte, sprach über
die Bedrohungen durch Rassenhass und Antisemitismus und
behandelte das Recht auf Staatsbürgerschaft.° Als Lösung schlug
sie die Errichtung von Siedlungen für Staatenlose und Arbeitslose
unter dem Schutz des Völkerbundes vor. Möglicherweise dachte
sie dabei an die vom Völkerbund unterstützte Ansiedlung von
Saarland-Flüchtlingen in Paraguay 1935. Ihr Vorschlag wurde von
anderen Aktivistinnen mit dem Argument abgelehnt, die Frau¬
enliga dürfe sich nicht für eine Isolation und Ausgrenzung dieser
Menschen einsetzen, sondern müsse für Bedingungen sorgen, die
es ihnen erlaubten, innerhalb der Gesellschaften zu leben. Einen
ähnlichen Plan trug Yella Hertzka, geb. Fuchs (1873 — 1948), im
Emergency Meeting des Exekutivkomitees der Frauenliga 1939 in
Paris vor. Yella Hertzka war eine der wichtigsten österreichischen
Frauenrechtlerinnen der Zwischenkriegszeit, international wohl
die einflussreichste, die jedoch heute weitgehend unbekannt ist.
Bereits selbst aus dem Exil in Großbritannien angereist, meinte
sie, das Flüchtlingsproblem habe solche Ausmaße angenommen,
dass eine Lösung aufökonomischer Basis gefunden werden müsse.
Flüchtlingen sollte es erlaubt sein, Städte zu bauen und zu orga¬
nisieren. So könnten sie einen Gewinn für das Land darstellen,
in dem sie lebten, anstatt sich als Last für andere und sich selbst
zu empfinden. Protokolliert ist auch Yella Hertzkas bitterböser
Nachsatz zu ihrer Rede: „Ifthe democratic countries do not have
the courage and initiative to solve the problem, the totalitarian
States will.“°

Diese sarkastische Bemerkung, mit der Yella Hertzka die Dring¬
lichkeit und drohende Gefahr in der Flüchtlingsfrage unterstrich,
brachte abermals eine Differenz zwischen Frauenliga-Aktivistinnen
zutage, die nicht zuletzt auf unterschiedlichen Erfahrungen beruht
haben dürfte: Als Frauen jüdischer Herkunft aus Österreich konn¬
ten Olga Misar und Yella Hertzka nur bezweifeln, dass jüdische
Flüchtlinge in anderen Ländern bereitwillig aufgenommen und
integriert werden würden. Mit der Flüchtlingsproblematik war
Yella Hertzka bereits nach dem Ersten Weltkrieg konfrontiert, als
sie jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa als Gartenbauschülerinnen
in ihrer Gartenbauschule für Frauen in Wien-Grinzing aufnahm.
Obwohl selbst keine Zionistin, kam sie durch die Flüchtlinge
an ihrer Schule und ihre damalige Sekretärin, die Zionistin und
Feministin Nadja Ornstein-Brodsky (1891 — 1961), spätere Nadja
Stein, mit dem Zionismus in Berührung. Olga Misaf und Yella
Hertzka hatten jedoch nicht jüdische Kolonien in Palästina vor
Augen, sondern waren vielmehr von der Idee der sogenannten

Corinna Oesch. Foto: Rudi Handl

„Innenkolonisation“ inspiriert, die den Arbeitslosen und Aus¬
gesteuerten in den Städten eine neue Existenz auf dem Land
ermöglichen sollte. Die Siedlungsidee dürfte schließlich auch mit
Yella Hertzkas Nähe zur Gartenstadt- und Siedlungsbewegung
in Verbindung stehen. Die von ihr 1913 initiierte Kaasgraben¬
siedlung und die daran angeschlossene Gartenbauschule waren
anderen Gartenstädten nachempfunden, Yella Hertzkas erster
Aufenthaltsort im Exil in England war das Haus des Gartenstadt¬
architekten und Sozialreformers Raymond Unwin und seiner Frau
Ethel Unwin in der Gartenstadt-Siedlung Hampstead in London.

Flüchtlingsarbeit in der Internationalen Frauenliga

Ende der 1930er Jahre wandte sich die Zentrale der Internationalen
Frauenliga in Genfan den internationalen Gewerkschaftsbund, um
sich für das Recht auf Arbeit für Flüchtlinge einzusetzen, und an
den Völkerbund mit der Forderung nach Ausweitung des Nansen¬
Passes auf Staatenlose.’ In der Zeitschrift der Frauenliga, dem
dreisprachigen Pax International, erschienen ausführliche Artikel
über die politische Situation in Deutschland und Österreich, so
etwa im Mai 1938 ein Bericht über Misshandlungen von Juden
und Jüdinnen in Österreich, Selbstmorde und die große Zahl
an Auswanderungswilligen unter ihnen, für die Unterstützung
von Seiten Großbritanniens, der USA und des Völkerbundes
eingefordert wurde.®

Obwohl sich die Frauenliga vorrangig als eine politischen und
ökonomischen Zielen verpflichtete Organisation und nicht als
eine Hilfsorganisation verstand, widmete sie sich nach dem Ende
des Ersten Weltkriegs der Unterstützung von Hungernden und
nutzte auch insbesondere nach der nationalsozialistischen Macht¬
übernahme in Österreich die eigenen internationalen Kontakte
für eine organisierte Flüchtlingshilfe. Gleiches galt auch für die
Society of Friends, mit der die Frauenliga enge Kontakte unterhielt.
Das zu diesem Zweck errichtete Flüchtlingskomitee der Frauenliga
warb unter einflussreichen und wohlhabenden Personen für die
Übernahme von Garantien (Affidavits), um Geldspenden für den
Flüchtlingsfonds und Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche
von Neuankömmlingen. Mitglieder der U.S.- und der britischen
Sektion reisten 1938 mehrmals selbst nach Wien und Prag, tra¬
fen sich mit Frauenliga-Aktivistinnen, erstellten eine Liste der

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