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ihrer angeblichen Schwäche und Manipulierbarkeit mit dem
“Fremden” einlassen würden.‘

Der Diskurs um die Verantwortung für den Aufstieg des Na¬
tionalsozialismus operiert nicht selten mit denselben Motiven:
Das als effeminiert gezeichnete deutsche Kollektiv, oder auch
unmittelbar das Kollektiv der Frauen selbst, hätten Hitler und
seinen Konsorten Tür und Tor geöffnet. Metaphern des Weib¬
lichen werden dazu benutzt, einen einheitlichen, nach außen
hin abgeschotteten Volkskörper, ein geschlossenes Kollektiv der
verführten Opfer zu erzeugen. Dieses Motiv hatten die Nazis
bereits für sich benutzt, etwa in Hitlers Ausspruch: “Die Masse
ist wie ein Weib, und als solche mache ich sie mir gefügig”. In¬
dem nach 1945 immer wieder auf dieses Motiv zurückgegriffen
wurde, wurde im Grunde nur die Nazi-Diktion fortgesetzt. Man
versetzte sich selbst noch einmal in die verordnete Unmündig¬
keit und der Größenwahn Hitlers als Massenverführer wurde
noch einmal bestätigt. Anstatt den Nationalsozialismus und
seinen Aufstieg als strukturellen gesellschaftlichen Prozess zu
betrachten, hinter dem handgreifliche Interessen der Vertiefung
und Ausweitung von Macht walteten, wird er als die Angele¬
genheit einzelner Macho-Männer geschen, die sich das Volk
wie ein “Weib” untertan gemacht hätten. Effeminierung wirkt
in den gegebenen gesellschaftlichen Zusammenhängen immer
auch kollektivierend. Im Kollektiv wiederum verschwindet das
individuell verantwortliche Subjekt - alle sind gleichermaßen
verantwortlich, was so viel heißt wie keiner ist tatsächlich zur
Verantwortung zu ziehen.

Der Gebrauch der Weiblichkeitsmetaphern in der Erinnerung an
die NS-Vergangenheit und die Shoah ist jedoch nicht eindeutig.
Denn einerseits erscheint das deutsche und österreichische Kol¬
lektiv der MitlauferInnen als verführt, ohnmächtig und daher
nicht verantwortlich — was einem herkömmlichen bürgerlichen
Weiblichkeitsbild entspricht. Andererseits jedoch findet die Di¬
stanzierung von den Gräueln des Nationalsozialismus auch über
ein anderes, komplementäres Bild von Weiblichkeit statt, das etwa
von der KZ-Wärterin repräsentiert wird: ihr wird eine “normale”
Weiblichkeit weitgehend abgesprochen.’ Zu sehr widerspricht
das Grauen der Konzentrationslager einem auf den Vorstellun¬
gen von Mütterlichkeit und Fürsorge, aber auch von Ohnmacht
und Schwäche beruhenden Weiblichkeitsbild. Das Monströse
der Taten im KZ wird diskursiv auf eine monströse Weiblichkeit
umgelegt; das Ungeheuerliche der Tat wird von einer Vorstellung
einer ungeheuren, monströsen, widernatürlichen Weiblichkeit
überlagert, die es erst möglich gemacht habe, dass Frauen über¬
haupt zu Täterinnen werden.

Dabei wird wieder auf Metaphern zurückgegriffen, die bereits
in den bürgerlichen Weiblichkeitsnormen als Negativfolie von
Bedeutung waren. In den antisemitisch-misogynen Bildern vom
19. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus trat diese Verschlin¬
gung manifest zutage, man denke etwaan die Imaginationen des
männerverschlingenden Vamp oder der verderblichen “Lulu” und
der “Judith” und “Salome”.‘ In all diesen Bildern gehen sexistische
Vorstellungen von verderblicher, monströser Weiblichkeit eine
Symbiose mit rassistischen Vorstellungen des Jüdischen ein. Sie
waren im bürgerlichen Diskurs zwischen Anziehung und Abwehr
angesiedelt; im völkischen Diskurs wurden sie einer reinen ari¬
schen Weiblichkeit gegenübergestellt. Während die arische Frau
als rein und den Volkskörper reproduzierend vorgestellt wurde,

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konnten all die ambivalenten Gefühle auf die “rassisch andere”
Frau projiziert werden - auf die Jüdin.

Paradox mutet es an, dass in Diskursen um NS-Täterschaft
die Rolle der “anderen Frau”, die ehedem von der “Jüdin” besetzt
war, die NS-Täterin übernommen zu haben scheint. Das Bild der
NS-Täterin als einer Frau, die absolut nichts natürlich Weibliches
mehr an sich habe, bietet sich dafür an, die Verstrickung in den
Nationalsozialismus und seine Gräuel als ein Randgruppenphä¬
nomen darzustellen. Auch hier geht es wieder um die Schaf¬
fung und Stärkung eines Kollektivs der Normalen, die nicht zur
Verantwortung zu ziehen seien. Es geht um die Schaffung einer
neuen Wir-Gruppe, eines neuen Kollektivs, das sich über die
Ausblendung der eigenen Verstricktheit in die nationalsozialis¬
tische Vergangenheit konstituiert. Die kollektive Vergangenheit
wird auf bestimmte Projektionsflächen verlagert — eine davon
ist das Konstrukt einer “anderen Frau”. Die Vorstellung einer
normalen Weiblichkeit bleibt dadurch weiterhin verfügbar für
die Konstruktion eines Kollektivs von verführten Opfern.

Damit ist im Kontext der Aufarbeitung der nationalsozialisti¬
schen Vergangenheit ein Diskurs in Gang gesetzt, der in erster
Linie darauf angelegt ist, tatsächliche Schuld, das Profitieren und
Zusehen jedes und jeder Einzelnen zu verdecken. In zweiter Li¬
nie geht es, wie eingangs beschrieben, um die Herstellung von
Kontinuität und die Einordnung des Gewesenen in den linearen
Zeitverlauf, der Sinn ergeben soll. Kontinuität wird auch über die
Verwendung von Gendercodes hergestellt, indem ein bestimmtes
Bild des Weiblichen, dessen lange Tradition im völkischen Dis¬
kurs nachgezeichnet werden kann, in den Vergangenheitsdiskurs
Eingang findet. Dabei wird es entweder unverändert beibehalten,
oder mit umgekehrten Vorzeichen versehen. Einmal diente es
dem völkischen Diskurs als Negativfolie zur Abschottung und
Schaffung eines reinen Volkskörpers. Wenige Jahrzehnte später
werden dieselben Motive zur Abwehr von Verantwortung und
zur Konstruktion eines neuen Kollektivs herangezogen.

Karin Stögner ist Mitarbeiterin des Instituts für Konfliktforschung in Wien
mit Forschungsschwerpunkten u.a. auf Frauenforschung, Nationalsozialismus,

Geschichtsphilosophie.

Anmerkungen

1 Kathrin Hoffmann-Curtius: Feminisierung des Faschismus. In: Claudia Keller/
literatur WERKstatt Berlin (Hg.): Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon
der Tag. Antifaschismus — Geschichte und Neubewertung, Berlin 1996, 45-69; Silke
Wenk: Götter-Lieben. Zur Repräsentation des NS-Staates in steinernen Bildern des
Weiblichen. in: Leonore Siegele-Wenschkewitz, Gerda Stuchlik (Hg.): Frauen und
Faschismus in Europa. Der faschistische Körper. Pfaffenweiler 1990, 181-210; vgl.
auch Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit (Hg.): Gedächtnis und Geschlecht. Deutungs¬
muster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids. Frankfurt/M. 2002.
2 Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Stereotyp findet sich in Jürgen W.
Falter: Hitlers Wähler, München 1991.

3 Joachim Fest, Das Gesicht des Dritten Reiches München 1963, 359, zit nach
Kathrin Hoffmann-Curtius, wie Anm. 1, a.a.O.

4 Vgl. etwa Christina von Braun: Der Körper des “Juden” und des “Ariers” im Natio¬
nalsozialismus. In: A.G. Gender-Killer (Hg.): Antisemitismus und Geschlecht. Vom
“maskulinisierten Jüdinnen”, “effeminierten Juden” und anderen Geschlechterbildern.
Münster 2005, 68-80.

5 Julia Duesterberg: Von der “Umkehr aller Weiblichkeit”. Charakterbilder einer
KZ-Aufseherin. In: Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit (Hg.), wie Anm. 1, 227-243.

6 Vgl. etwa Hans Mayer: Außenseiter, Frankfurt/M. 1975; Bram Dijkstra: Idols of
Perversity. Fantasies of Feminine Evil in Fin-de-Siécle Culture. New York, Oxford 1986.