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Antwort des Grazer Professors kam schriftlich mit den Worten:
„Interessiere mich selbst für eine Professur in Istanbul.“ Dies war
der Grundstein des türkischen (Aus) Weges. (Aus) Weges deshalb,
da am 30. Mai 1938 ein Schreiben im Rektorat der Universität
Graz eintraf, welches mit Ende Mai die Versetzung Dobretsber¬
gers in den vorzeitigen Ruhestand (d.h. die Entlassung) aufgrund
der Reorganisation der österreichischen Hochschulen (mittels
des Gesetzes: „Verordnung zur Neuordnung des österreichischen
Berufsbeamtentums“) veranlasst hatte. Eine Unterrichtung Dob¬
retsbergers wurde sofort durchgeführt und als solche auch dezidiert
im Personalakt vermerkt." Damit fing der eigentliche Behördenweg
an, um die angebotene Professur in Istanbul annehmen zu können.
Am 7. Mai 1938 wandte sich Dobretsberger das erste Mal an das
Unterrichtsministerium in Wien mit den Worten:

Nachdem sie mir bei meiner Vorsprache in liebenswürdiger Weise an
die Hand gegangen sind, erlaube ich mir, Sie nochmals zu bitten, mein
Ansuchen, die Professur für Volkswirischafislehre in Konstantinopel
annehmen zu dürfen. Die Geheime Staatspolizei erteilt mir die Aus¬
reisebewilligung, sobald die Entscheidung des Unterrichtsministeriums
eingetroffen ist. Von der Universität Istanbul erhalte ich neuerdings
ein Schreiben, worin ich gebeten werde, sofort zu erklären, ob ich den
Ruf annehme oder ablehne, damit sie eventuell durch einen anderen
Vorschlag die Vorlesung für den 1. Okt. sichern könne. [...] Außerdem
muß ich meine Grazer Wohnung kündigen und die Übersiedlung
durchführen, und schließlich will ich noch einige Sprachkenntnisse
im Türkischen erwerben, was in der Türkei viel schneller ginge.”

Um seinem Ausreisewunsch noch mehr Nachdruck zu verleihen,
erklärte der Grazer Professor ehrenwörtlich am 9. Mai 1938 in
einem weiteren Schreiben nach Wien, dass er mit den Zielen des
Deutschen Reiches aus innerer Überzeugung heraus konform
ginge.” Am 11. Mai 1938 schrieb er erneut in einem Brief, dass
ihm die Genehmigung der Verhandlungen mit Istanbul vom
Reichsministerium nicht erteilt worden sei. Er wies aber darauf
hin, dass er sich zur deutschen Wirtschaftsführung bekenne, und
räumte zugleich ein, dass „im Zuge der nationalsozialistischen
Umgestaltung Österreichs meine Beurlaubung schon aus pädago¬
gischen Gründen erforderlich war.“?! Er bat um diese berufliche
Gewährung. Seit 29. April 1938 versuchte Dobretsberger eine
Bewilligung für die Annahme des Rufes an die Universität Istan¬
bul zu erhalten. Der Dekan der Universität Graz befürwortete
die Annahme des Rufes, weil Dobretsberger die ehrenwörtliche
Erklärung abgegeben hatte.”” Am 25. Mai 1938 schrieb Dobrets¬
berger das erste Mal nicht mehr nur nach Wien, sondern wandte
sich direkt nach Berlin an den Reichsminister, damit dieser ihm
die Genehmigung zur Annahme des Rufes nach Istanbul erteilte.
Er begründete dies mit drei Punkten: Erstens sei ein Abbruch der
Verhandlungen gleichzustellen mit einer Ablehnung des Rufes an
die Universität Istanbul, des Weiteren führe er schon seit April Ver¬
handlungen und habe schon damals eine Zusage erteilt bekommen,
die jedoch vom Wiener Unterrichtsministerium zurückgezogen
wurde. Zweitens betonte er ausdrücklich seine politisch positive
Einstellung gegenüber dem Reich und dessen Führung. Drittens
hoffte er nach der Rückkehr aus der Türkei für das Großdeutsche
Reich neue Erkenntnisse mitbringen zu können.” Drei Tage später
schickte der kommissarische Rektor der Universität Graz eine Mel¬
dung nach Wien ins Unterrichtsministerium, dass Dobretsbergers
Genehmigung für die Annahme des Rufes vorliege, handschriftlich
fügte der kommissarische NSD-Dozentenbundführer hinzu, dass
er dieses Ansuchen befürworte, „weil ansonsten der Jude Weiß
aus Prag an diese Stelle nach Istanbul käme.“”‘ Einen Tag später

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schrieb Dobretsberger von Graz aus an den Ministerialrat, dass
dieser bitte telefonisch die Bestätigung für eine Weiterverhandlung
geben möge, da an Regierungsrat Herbert Scurla” in Berlin nur
der Weg über den Schriftverkehr Wien-Berlin möglich sei und
dies um sehr vieles länger dauern würde.”*

Am 12. Mai war bereits von Seiten der türkischen Botschaft eine
Bitte direkt an das Reichsministerium eingelangt, Professor Dob¬
retsberger die nötige Erlaubnis für eine Ausreise für den Fall einer
Berufung an die Universität Istanbul zu erteilen. Mit der Befürwor¬
tung des Dekans aus Graz vom 12. Mai 1938 und anderen dafür
sprechenden Quellen, erklärte sich Scurla bereit, die Erlaubnis für
ein Berufung in die Türkei zu erteilen, obwohl er immer versuchte
die Anzahl der EmigrantInnen an der Universität Istanbul nicht
größer werden zu lassen. Gäbe Scurla keine Zustimmung, würden
nach seiner Meinung „die türkischen Stellen nur zur Berufung
eines politisch unzuverlässigen und den deutschen Stellen uner¬
wünschten Wissenschaftlers veranlasst werden.“”” Dobretsberger
konnte daher einen Ruf auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie
der Universität Istanbul annehmen. Scurla betonte nochmals, dass
alles im Endeffekt im Ermessen des Unterrichtsministeriums in
Wien liege, er aber über den Ausgang der Verhandlungen informiert
werden möge.’ Am 1. Juli 1938 wurde Dobretsberger verständigt,
dass von Berlin keine Einwände bestünden. Die Verhandlungen
konnten fortgeführt werden.

Die soeben gezeigten Schritte der Verhandlungsphasen zeigen
mehrere Aspekte der Emigrationsgeschichte Josef Dobretsbergers:
Erstens war auch noch nach dem „Anschluss“ das österreichische
Unterrichtministerium in Wien ausschlaggebend, um Verhand¬
lungen mit der Universität Istanbul führen zu können. Dies ergibt
sich aus dem Umstand, dass es eine Zeit lang dauerte, bis alle
NS-Institutionen zentral von Berlin aus geregelt waren. Zwar gab
Scurla zu erkennen, dass er immer über die jeweiligen Schritte der
Verhandlungen informiert werden wolle, letztendlich erkann¬
te er aber die eigentliche Zentralgewalt in Wien an. Seitens der
türkischen Regierung zeigten sich zwei Überlegungen: Einerseits
wollte sie den österreichischen Wissenschaftler um jeden Preis in
ihren Reihen wissen und andererseits setzte sie sich für ihn ein,
wohl auch im Wissen, dass es andere mögliche Kandidaten für
den Lehrstuhl in Istanbul gab.”

Es sollten noch drei weitere Monate vergehen, che der Wirt¬
schaftswissenschaftler mit seiner Familie in der Türkei ankam.
Neumark organisierte eine 70 qm große Mietwohnung für seinen
Kollegen und dessen Familie, in die er maximal fiinfTonnen Möbel
und andere persönliche Gegenstände, von einer steirischen Spe¬
ditionsfirma geliefert, mitnehmen durfte.”’ Am 1. Oktober 1938
erfolgte der Dienstantritt an der Wirtschaftswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Istanbul und Dobretsberger hatte den
Lehrstuhl für Allgemeine Wirtschaftswissenschaften inne.?'

Die Zeit im türkischen Exil

Den Arbeitsvertrag mit der Universität Istanbul erfüllte Dobretsber¬
ger nur bedingt in allen Punkten. Ein Aspekt war die Verpflichtung
von Seiten der Lehrkräfte die türkische Sprache zu erlernen, was
ihm trotz guter Vorsätze nicht gelang. Seine Vorlesungen und
Seminare hielt er auf Englisch und ließ sich simultan durch einen
Dolmetscher helfen.” Drei Jahre lang blieb der ehemalige Grazer
Professor Dobretsberger in der Türkei. In dieser Zeit verfasste er
ein Buch über Finanzpolitik und veröffentlichte zudem mehrere