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obersteirischen Handelskammer, die ihm ein
wohlmeinender Professor verschafft hatte, we¬
gen seiner Mitgliedschaft beim Sozialistischen
Studentenverband verlor. Der junge Architekt
Peter Wendel verlor seinen - ihm von seinem
ehemaligen konservativen Hochschulprofessor
vermittelten — Auftrag zum Umbau eines Sen¬
senwerks. Die Bank hatte dem sozial gesinnten
Unternehmer wegen seiner Zusammenarbeit
mit einem sozialistischen Architekten keinen
Kredit eingeräumt. Das Gemeindehaus mit den
Arbeiterwohnungen, das der Architekt nach
politischem Hickhack bauen konnte, wurde im
Februar 1934 vorrangiges Ziel für das Militär
der Dollfuß-Regierungsdiktatur.

Und an seiner verwundbarsten Stelle hatten sie
auch Peter getroffen, als sie mit Granaten klaffende
Wunden gerissen hatten in die weite und klare
Front seines einzigen, seines großen, zukunfisträch¬
tigen Baus. Im Wimmern verschreckter Kinder
und im splitternden Krachen der Mauern und
winterlichen Bäume versank sein wundervoller
Brückenkopf. Das Gestern und Heute flossen zu¬
sammen, und zwischen dem Hakenkreuz und dem
Kruckenkreuz verdorrte Österreichs blühende Welt.

Wendel wurde die Verteilung von Waffen an
die Arbeiter vorgeworfen, Neumann als leiten¬
dem Redakteur des sozialdemokratischen „Ar¬
beiterwillens“ Anstiftung zum Aufruhr, beiden
drohte das Standgericht. Dank der Solidarität
der Arbeiter, die sich als Zeugen kein Geständnis
abpressen ließen, gingen sie frei. Im Pariser Exil
wurde der rührige Kurt Neumann innerhalb des
»Comité mondial contre la guerre et le fascisme“
aktiv, baute mit europäischen Politikern wie dem
späteren britischen Premierminister Clement
Attlee und Kiinstlern an einem Netzwerk gegen
die nationalsozialistische Gefahr, und setzte sich

56 ZWISCHENWELT

für das Asylrecht ein. Seinen Romanhelden lässt
er ganz der Liebe zu einer Amerikanerin leben,
bevor ihn ein Brief seiner politischen Freunde
nach Österreich zurücklockt. „Im Jahre 1937 bin
ich wieder nach Österreich zurückgekommen,
um dort eine legale Volksfront-Monatszeitschrift
zu begründen“, zitiert Heimo Halbrainer aus
einem Interview Kurt Neumanns. Im Roman
zeigt sich der Held im Gespräch mit seiner Ex¬
Frau, die sich zwischenzeitlich dem politischen
Widerstand verschrieben hat, erst einmal skep¬
tisch: „Eine Volksfront wollt ihr bilden, hier im
faschistischen Österreich? Zusammenarbeiten
wollt ihr mit Leuten, die heute noch jeden Sozia¬
listen oder Kommunisten, den sie erwischen, ins
Zuchthaus sperren? Eine Volksfront mit Leuten,
die unsere Arbeiterpartei zerschlagen und die
Besten von uns an den Galgen gebracht haben?“
Ein paar hektische Wochen lang versuchten der
Autor wie sein Protagonist, in einer unwirklichen
Euphorie das Unmögliche möglich zu machen
und die seit langem zementierten Gräben zu
überbrücken. Peter Wendel traf Arbeiter, sprach
zu Bauern („Mir wolln die Preissn net und net
dö damischen Nazi! Und wenn dö Roten uns
versprechen, dass sie den Pfora in Rua lassn und
unsare Höf, dann san ma dabei.“), empfing eine
„kleine stille Hofratsgattin“, die ihn warnte, „er
möge sich durch die patriotischen Reden des
Hofrats nicht täuschen lassen; sie wisse, dass er
im Bund mit den Braunen stehe“, fand die Un¬
terstiitzung des Pfarrers in der Arbeitervorstadt,
der für sein „Bündnis mit den Ungläubigen“ den
Herrgott um Vergebung bat. Kurt Neumann
nahm gemeinsam mit Alexander Sacher-Ma¬
soch, Hans Fischer und anderen Kontakt zum
ehemaligen Minister Josef Dobretsberger auf,
um eine antinationalsozialistische Zeitung — die

Neuen Österreichischen Blätter - zu schaffen, in
der alle pro-österreichischen Positionen, von
Vertretern der illegalen Arbeiterparteien bis hin
zu Vertretern der Vaterländischen Front zu Wort
kommen sollten. In einem Interview erzählte
er von einer außergewöhnlichen Begegnung.

Zwei Tage vor dem Erscheinen habe ich zufallig
Frau Alma Mahler getroffen, Werfels Frau, die eine
gute Freundin von Schuschnigg war. Der habe ich
von der Zeitung erzählt, die ich machen will. Sie
war so begeistert, dass sie ihre Handtasche ausgeleert
hat und mir ihr ganzes Geld gegeben hat. Den
Vortag des Erscheinens der Zeitung habe ich mit
dem Umbruch verbracht, und wie der Umbruch
fertig war, bin ich zu meiner Wohnung gegangen,
wo ich mich mit Christlichsozialen treffen sollte.
Aber da war niemand und wie ich das Radio
angedreht habe, habe ich gehört, dass die deutschen
Truppen die Grenze überschritten haben.

So erschien die erste und einzige Ausgabe des
Blattes - Ironie der Geschichte - zum Ende Ös¬
terreichs am 12. März 1938. Neumann entkam
mit dem letzten Zug nach Prag und floh weiter
nach Paris. Nach seiner Internierung in einem
französischen Lager gelang ihm mit Hilfe seiner
amerikanischen Verlobten Jane Mead 1940 die
Ausreise aus Frankreich. Ein Bericht an die Ko¬
mintern über den „langen Grazer Journalisten“
sprach von dessen „Irritationen“ über den „Pakt
mit D., die Ereignisse in Polen und Finnland“
und den „großen Unklarheiten“, mit denen er
Europa hinter sich ließ.

Allein diese kurzen Auszüge belegen das
dichte Panoptikum, das zeitgeschichtlich in¬
teressierte LeserInnen erwartet. Schließlich
reichte die Bandbreite jener Jahrzehnte von
den 1848er Illusionen bis zum nationalsozia¬
listischen neuen Herrenmenschendenken, vom

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