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Form in dem vorliegenden Buch, adäquat den
Lebensstationen und Lebensschwerpunkten.

Aber nicht nur das breitgefächerte schrift¬
stellerische Schaffen wurde maßgebend für das
Persönlichkeitsbild von AM], sondern auch ihre
theoretische wie praktische Beschäftigung mit
der Psychoanalyse — besonders als frei prakti¬
zierende Psychoanalytikerin, vor allem nach
1965 in Israel.

Hier lebt AM] wie in all den unruhigen Le¬
bensjahren zuvor allein, aber nicht vereinsamt
und scheint zur inneren Balance gefunden zu
haben. Unter den Texten der Rubriken „Litera¬
risches und Essayistisches“ und „Begegnungen“
lassen sich dazu interessante Gedanken- und
Erinnerungssplitter finden. Bemerkenswert sind
auch Briefe und Anmerkungen in Verbindung
mit AMJ’s freundschaftlicher Beziehung zu dem

Regionsphilosophen Martin Buber, die wesent¬
lich ihren Entschluss zur Auswanderung nach
Israel und ihre Auseinandersetzung mit dem
Judentum beeinflussten.

Das Resümee eines reichen Lebens liegt jetzt
vor. Wertvoll erscheint mir die Anmerkung der
Herausgeberin, dass sich im Nachlass „viele
Briefwechsel mit Exilforschern, Literaturwis¬
senschaftlern, Historikern und Journalisten und
eine Filmdokumentation von 1998 befinden,
in der Jokl neben anderen Zeitzeugen befragt
wird.“ (S. 291) Und bemerkenswert ist eben¬
da die Erwähnung der Fernsehdokumentation
„Entdeckungen der Perlmutterfarbe — Der aben¬
teuerliche Weg eines Romans“ von Manuela
Reichart (WDR, Erstausstrahlung 1994). Es
bleibt offen, ob ihr Kinderbuch über „Die wirk¬
lichen Wunder des Basilius Knox“ mit einem

Der Vater des aus Czernowitz stammenden
Autors Itsik Manger prägte den Begriff der
LITERATOYRE, eine jiddische Wortschép¬
fung, welche Literatur und Torah vereint und
somit fiir eine Literatur steht, die sich auf alte
Texte bezieht, welche dem Schreiben eine zu¬
sätzliche Dimension verleihen. Der ebenfalls
aus der Bukowina stammende Autor Aharon
Appelfeld legt mit seinem 2010 erschienenen
und nun ins Deutsche übersetzten Roman
Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen ein
Werk vor, das von der Identitätsfindung und
Sprachwerdung eines jungen Mannes, der gerade
der Hölle des Zweiten Weltkriegs entkommen
ist, erzählt. Der Weg zur hebräischen Sprache
führt über das Eintauchen in Bibeltexte hin
zu einem Schreiben, das auf den Koordinaten
der Bukowina ersteht und gleichzeitig die
unterschiedlichen Orte der Lebensgeschich¬
te miteinander in Verbindung setzt. Aharon
Appelfeld blickt in diesem Roman zurück auf
jene Text- und Erinnerungslandschaften, denen
sein Schreiben verpflichtet ist, und nimmt den
Leser mit auf eine Reise zu den Urspriingen
seiner Literatoyre.

Erwin erreicht im Jahr 1946 iiber Neapel Pa¬
lästina. Wie er in den Hafen von Neapel kam,
weiß er nicht genau, er hat den Weg verschlafen,
die anderen Flüchtlinge trugen ihn, und erst an
der Küste des Mittelmeers erwacht der Junge. In
Palästina soll Erwin in einem Kibbuz mithelfen,
den neuen jüdischen Staat aufzubauen. Der All¬
tag ist geprägt von körperlichem Training und
militärischer Ausbildung, landwirtschaftlicher
Betätigung und der Arbeit an der Sprache. Die
jungen Männer, die zusammen mit Erwin für
einen neuen jüdischen Staat arbeiten, müssen
sich von der Masse der anderen Überlebenden
abgrenzen. So muss auch das Deutsche als die
alte Sprache, die an das Leben vor der Shoah
erinnert, dem Hebräischen weichen.

Als Erwin bei seinem ersten militärischen Ein¬
satz verletzt wird und nicht klar ist, ob er je
wieder wird gehen können, beginnt er im Kran¬
kenbett zu schreiben. Für den aus der Bukowina
stammenden deutschsprechenden Juden ist die
Muttersprache aber hier in Palästina weit weg.
Nur im Schlaf und in Träumen sieht er seine
Eltern am Ufer des Pruth, hört er das schöne
Deutsch seiner Mutter und begegnet den frus¬
trierten Schreibversuchen seines Vaters. Der zu
Aharon gewordene Erwin lernt Hebräisch, er ko¬
piert Stellen der Bibel, die Genesis, um mit den
Buchstaben vertraut zu werden. Die Beziehung
zu dieser neuen Schrift ist eine handwerkliche
und eine sinnliche, die er sich anders aneignen
muss als ein Kind, das schreiben lernt. Hebräisch
ist die Sprache des Meeres, der Erde und der
alten Texte für Aharon. Das eigene Schreiben
beginnt mit dem Festhalten der Namen der
Eltern und der Orte der Kindheit: Czernowitz,
Bunja, Michael und der kleine Erwinku in he¬
bräischen Lettern. Der Weg zur Schrift und
zur Literatur geht einher mit dem körperlichen
Genesungsprozess des jungen Aharon. Während
der ans Bett gefesselte Erwin zu Aharon, dem
Schriftsteller wird, muss er zusehen, wie viele
seiner Freunde im Kampf um den neuen Staat
verletzt werden.

Aharons Welt ist bewohnt von Menschen, die
ihr altes Leben noch nicht ganz zurückgelassen
haben und die noch nicht angekommen sind.
Da ist er, der Schriftsteller ohne Sprache, da
sind seine Freunde: der Tänzer ohne Arm, der
Musiker ohne Geige, der Maler, dessen Bilder
der israelischen Landschaft immer das Ghetto
in sich tragen. Ihnen allen ist gemein, dass sie
Juden aus dem untergegangenen Habsburger
Reich sind, Juden, die sich an einer europäi¬
schen Kultur orientierten. Von dieser kulturel¬
len Welt sind sie hier in Israel abgeschnitten.

Vorwort von Otto Kokoschka (zuerst 1937 ins
Tschechische übersetzt) und „Das süße Abenteu¬
er. Eine Geschichte für Kinder“ (1937) ebenso
großen Erfolg hatten.

Trotz aller erfreulichen Neuauflagen und
Übersetzungen von AMJ’s Texten seit Ende der
1980-er Jahre, besonders der autobiografischen
Veröffentlichungen „Essenzen“ (1993) und „Die
Reise nach London“ (1999) vermögen wohl erst
die nun vorgelegten Selbstzeugnisse „Aus sechs
Leben“ ein auch emotional berührendes Lebens¬
bild von Anna Maria Jokl als einer wichtigen
Autorin und Zeitzeugin des 20. Jahrhunderts,
zu vermitteln.

Helga W. Schwarz

Anna Maria Jokl: Aus sechs Leben. Berlin: Jüdi¬
scher Verlag im Suhrkamp Verlag 2011. 368 S.

Immer wieder versucht Aharon Werke Hesses
oder Kafkas auf Deutsch aufzutreiben, um die
Lesewelt seines Vaters für sich zu entdecken.
Alle ringen mit der neuen hebräischen Sprache
und mit der alten Landschaft, die sie in Europa
zurückgelassen haben - so wandert sein Freund
Eduard durch die Gassen Tel Avivs und sieht
dabei seine Heimatstadt Krakau.

Aharon Appelfeld schreibt einen Roman
des Ankommens in Israel, einen Roman über
den Weg zu einer neuen Sprache und über das
Erwachen nach den schrecklichen Erlebnissen
zuvor. Zugleich führt die Erinnerung den jungen
Aharon zurück in die Landschaft der Kindheit,
die Bukowina, die sein literarisches Schaffen
prägen wird: Im Schlaf kehrt er zurück in das
Haus der Kindheit und hält Zwiesprache mit
seiner Mutter. Palästina bzw. das spätere Israel
ist in diesem jüngsten Roman von jenen Men¬
schen bevölkert, deren Lebenswege Aharon
Appelfeld schon in seinen früheren Romanen
nachgezeichnet hat: Alter Egos und Déja-vus
verstärken den Eindruck, dass das Erwachen in
einem neuen Land und in einer neuen Sprache
nicht von einem Moment auf den anderen ge¬
schehen kann. Am Ende des Romans spricht
der Protagonist Aharon im Gesprach mit sei¬
ner Mutter jene Worte aus, die ihn in seinem
literarischen Schaffen begleiten werden: „Ich
möchte alle Orte wiedersehen, an denen wir
zusammen gewesen sind“, und schreibt seine
ersten Zeilen auf Hebräisch.

Marianne Windsperger

Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen. Aus

dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Berlin:
Rowohlt 2012. 288 S. Euro 19,55

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