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und all die Zwangsvorstellungen, die es in keiner Weise verdienen,
theoretische Probleme zu sein“. Diese „Probleme“ spielen folglich
in der strukturalistischen Theorie und Methode keine Rolle. Der
Mensch ist bei Foucault eine junge Erfindung, die bereits wieder
im Verschwinden begriffen ist”.

Manfred Frank stellt eine Verbindung der Foucaultschen Sub¬
jektkonzeption zu einer bestehenden Krise des Subjekts her. Diese
Krise des Subjekts neutral zu beschreiben, sei jedoch nicht nur
nicht moralisch, sondern dezidiert unmoralisch, da sie das, was
ist, zum Maßstab dessen mache, was sein soll. Dies münde in die
„fröhliche Bejahung der subjektlosen und verdinglichten Ma¬
schine“. Es sei hingegen Aufgabe der Philosophie, sich „kontra¬
faktisch“ zu engagieren und „der Wirklichkeit, sie erkennend,

die Stirn [zu] bieten“”°.

Ideologie des Status Quo

Dies mag verdeutlichen, warum der Strukturalismus immer
wieder als Apologie des Bestehenden kritisiert wird. So bezeichnet
Henri Lefebvre den Strukturalismus als Ideologie der Techno¬
kraten”’. Urs Jaeggi fragt nach dem Preis der vom Strukturalis¬
mus angestrebten „tabula rasa“ und kommt zu dem Ergebnis:
„Es war nicht nur notwendig, die literarische ‚Person‘ und den
‚Charakter‘ zu eliminieren; nicht nur der Individualismus der
liberalen Bourgeoisie mußte ausgeschaltet werden, sondern auch
das Individuum; und über Bord geworfen wird die Möglich¬
keit der Revolution. Der Strukturalismus ist die Ideologie des
Gleichgewichts zwischen den Kräften, die in der modernen
Welt herrschen. Er ist die Ideologie des status quo.“”® Alfred
Schmidt schließlich bezeichnet die Ideologie des Strukturalis¬
mus als „Produkt der ... ‚Wende vom Krisenkapitalismus zum
organisierten“, damit verkünde der Strukturalismus „sans phrase
die das Individuum abschaffende Gewalt des allgegenwärtigen
‚Systems‘“”. Das Individuum als geschichtlich tätiges Subjekt
wird durchgestrichen. Hingegen ratifiziere die strukturalistische
Ideologie „begriffllich, was die Menschen unter den sich eisern
konsolidierenden Produktionsverhältnissen des Spätkapitalis¬
mus werden mußten: steuerbare Anhängsel eines allmächtigen
Apparats“””.

Jean Amerys Kritik am Strukturalismus

Es muss Jean Am£ry als Verdienst angerechnet werden, die
Konsequenzen des Strukturalismus, die heute so überdeutlich
hervortreten und von den Erben des Strukturalismus oftmals
noch weiter getrieben werden, so früh und scharfsinnig erkannt
und bekämpft zu haben.

Was er gegen den Strukturalismus stark macht, ist der leibliche
Mensch mit der in ihm aufgehobenen Erfahrung. Dabei geht
er von dem einzelnen, empirischen Individuum aus, von dem
Menschen, dem er täglich auf den Straßen begegnet. Gleichwohl
wird dieser Individualismus überschritten, da Am£ry sogleich das
Gemeinsame ausfindig macht, nämlich den „Leib, durch dessen
Mittel er die Welt auf- und einnimmt“?'. Amery verweist auf die
Brisanz, die von diesem Leib ausgeht, er spricht von dem

arme[n] Bündel aus leicht verletzlichem Fleisch, ungreifbaren
Empfindungen, Impressionen, diese arme Haut, die nichts will als
sich schützen gegen Eiseskälte und versengende Hitze. Man kann

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niemals genug Nachsicht haben mit dem Menschen, dessen körperlich
vulnerable Existenz ihn von innen zerreibt und verschlingt”.

Diese „arme Haut“ lässt sich aber weder bei Levi-Strauss noch
bei Foucault wieder finden. Die Quelle, aus der sich Amérys
Kritik speist, wird klar, wenn er benennt, woran ihn diese Des¬
truktion erinnert:

Ich war einmal Häftling hundertzwoundsiebzig-dreivierundsechzig.
Ich fand mich nicht in dieser Nummer, konnte aber unter ihr leicht

festgestellt werden beim Appell. Die zackigen Ausrufer wufsten nicht,
daß sie mit mir auch sich selber zerstörten, wenn sie meine Nummer
beilten, und hätten sies gewußt, wäre es ihnen gleichgültig gewesen,
denn sie waren schon vorher auf- und eingegangen in die Struktur
des KZ.

Es ist der Schrecken davor, dass auch seine eigene Erfahrung
vom Strukturalismus überrollt wird, eingeebnet in ein abstraktes
Denkspiel, welches von der Leiblichkeit des Menschen nichts
wissen will.

Ame£rys Kritik könnte aktueller nicht sein: Er spricht von dem
Übereifer, mit dem diese „Philosophie jenseits des Menschen“ *
vorangetrieben wird. Hierin macht er einen „Überbau der Entin¬
dividualisierung und Deshumanisation“ aus, „der manche Züge
generellen Gestörtseins und kollektiv suizidärer Narrenlust trug“®”.
Den Grund für diese Narrenlust nennt er an anderer Stelle, an der
er die Faszination erklärt, die von dem Werk Lévi-Strauss ausgeht:

[K]aum irgendwo anders wurde so sehr der Mensch von sich selbst
erlöst, der nunmehr, aufgegangen in Strukturen, reduzierbar auf
sie, sich selber in voller Serenität kontemplieren kann. Er ist nicht
mehr er selber; alles Subjektive ist von ihm abgefallen; nicht länger
ist er verurteilt zur Freiheit und zur Aktion. Teil eines immensen
strukturalen Ganzen, kann nun der Mensch auf die Welt und auf
sich selbst verzichten.°

So vermag auch Améry im Strukturalismus nicht mehr zu er¬
kennen als die „Ideologie der technokratischen Gesellschaft in
wissenschaftlicher Anschirrung“”.

Die Linke und der Strukturalismus

Die Folgen der im Strukturalismus sich ausdrückenden Selbst¬
aufgabe der Intellektuellen Linken wirken fort. Auch heute ist
es die Linke, die sich auf Foucault bezieht und seine "Ihesen
weiterentwickelt. Abgesehen davon, dass einigen Autoren die
strukturalistische Geheimsprache offenbar dazu dient, ihre eigene
Unfähigkeit, klare Gedanken zu formulieren, in den Rang einer
Tugend empor zu heben, fragt man sich, wie man diese Besessen¬
heit vom Strukturalismus begreifen kann? Es scheint sich hier der
Wunsch nach Regression auszudrücken, angesichts der tatsäch¬
lichen Hilflosigkeit des Einzelnen gegenüber dem totalisierten
Kapitalverhältnis. Das fetischistische Festhalten an dem, was die
bestehende Welt aus dem Menschen gemacht hat — so nämlich
lautet der Vorwurf Sartres gegenüber dem Strukturalismus**— mag
zunächst einfacher sein als die Einsicht in die Unmenschlichkeit
des gesellschaftlichen Zustands. So wird ebendiese schmerzhafte
Einsicht in die tatsächliche Austauschbarkeit und Überflüssig¬
keit des Einzelnen im Kapitalismus dadurch gemildert, dass das
Individuum und mit ihm die nichteingelösten Versprechen der
bürgerlichen Gesellschaft getrost auf den Müllhaufen der Ge¬
schichte geworfen werden. Gerhard Scheit beschreibt, wie die
„Entstehung von Individualität den fortdauernden, bloß erneuer¬
ten und modifizierten Verhältnissen der Gewalt, Erniedrigung und