28 Vel. http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/konflikt-mit-iran-ne¬
tanjahu-raet-zu-twitter-propaganda-a-665649. html, 7.12.2009 (Zugriff:
29.8.2012).
29 Vel. http://www.jpost.com/Israel/Article.aspx?id=171614, 23.3.2010
(Zugriff: 29.8.2012).
30 Die Diskussion über mögliche Militärschläge gegen das iranische Nu¬
klearprogramm bestimmt in Israel verständlicherweise seit Monaten die
Tagespolitik und niemand, auch die Befürworter militärischer Maßnahmen,
spricht leichtfertig darüber. Zu den Differenzen zwischen der israelischen
Führung und der US-Administration in dieser Frage siche Stephan Grigat:
20 Jahre Friedensprozess gegen Israel. Von Oslo zur iranischen Bombe. In: Sans
Phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik, 1. Jg., Heft 1, Herbst 2012.
Zur Kritik an der Kritik der Kritik
Anton Pelinka führt in seinem Beitrag in der ZW Nr. 3/2012, S.
53, zahlreiche Verbrechen der stalinistischen Politik an, die von
der KPÖ unter dem Vorsitz Koplenigs gebilligt wurden, und fragt
dann: „... wer wenn nicht Johann Koplenig war ein Stalinist?“
In derselben Nummer der ZW wird über die Tätigkeit von
mehreren Personen, die ebenso alle Verbrechen stalinistischer
Politik gebilligt haben — also Stalinisten waren —, schr positiv
berichtet. Im Artikel über Michel Herr (S. 26-28) ist von Toni
Lehr die Rede, über die auch Lisa Markstein schreibt. Toni Lehr
war nicht nur, als sie 1942 im Widerstand tätig war und „wichtige
Funktionen im ‚travail allemand‘ (TA) innehatte“, eine überzeugte
Stalinistin. Wer Toni Lehr kannte, weiß, dass sie noch viele Jahre
lang dem Kommunismus in der stalinistischen Form die Treue
hielt. Aus dem Artikel geht hervor, dass sich Michel Herr, ein Held
der Resistance der KPF anschloss, einer Partei, die unter Thorez
und Duclos mindestens ebenso stalinistisch war wie die KPÖ.
In dem Artikel über Wolf Suschitzky wird berichtet, dass seine
Schwester Edith Tudor Hart in London wie in Wien das Elend
der Arbeitslosen in ihren Bildern festhielt mit ihren Bildern auf
die „Iristesse der massenhaft arbeitslosen Kumpel“ aufmerksam
machte. Vielleicht war es der Anblick dieses Elends, der Edith
Tudor Hart veranlasste, für den sowjetischen Geheimdienst zu
arbeiten und Kim Philby für diesen Dienst zu gewinnen.
So wie Eric Hobsbawm in seinen Erinnerungen „Interesting
Time“ zeigt auch Lisa Markstein in ihrem Buch „Moskau ist viel
schöner als Paris“ — besonders in dem Abschnitt „Revisionisten“
— wie schwer es für Menschen, deren Leben durch das Elend der
Dreißigerjahre und den Kampf gegen den Faschismus geprägt
war, fiel, sich vom Glauben an eine von der Sowjetunion geführ¬
te Weltbewegung zu lösen. Lisa Markstein zeigt es am Beispiel
der Broschüre, die Franz Marek zum 70. Geburtstag von Stalin
verfasste. Es war Franz Marek, der 1944 als Efraim Feuerlich zu
Tod verurteilt worden war und dessen Exekution nur durch die
Befreiung von Paris verhindert wurde, und den Hobsbawm als
einen „hero of our times, which were bad times“ bezeichnete.
Lisa Markstein definiert als Stalinisten nur jemanden, der als
Machtmensch „mit immensen persönlichen Potential an Herrsch¬
sucht einschließlich der Bereitschaft, Gegner zu massakrieren“,
und nicht jemanden, der nur stets die Befolgung stalinistischer
Politik vertrat. Auch wenn man mit dieser eingeschränkten De¬
finition des Begriffs „Stalinist“ nicht einverstanden ist, so ist der
Bezug zum Buch „Opa war kein Nazi“ und der Vergleich mit
antisemitischen Großmüttern nicht ein „taktischer Fehler“ wie es
31 http://derstandard.at/1266279099007/Indirekte-Nahostgespraeche-sind¬
idiotisch, 18.2.2010 (Zugriff: 29.8.2012).
32 Seit 2009, als die Legitimität der “Islamischen Republik” im Iran durch
die Bevölkerung massiv in Frage gestellt wurde, haben unzählige US-Offizielle
von der Notwendigkeit des ‚gegenseitigen Respekts’ und von den ‚legitimen
Interessen’ des iranischen Regimes gesprochen, wenn es nur von seinem
Atomprogramm lasse. Das geht zwangsläufig zu Lasten der iranischen Op¬
position. Zur verfehlten US-Politik gegenüber dem iranischen Regime in
den letzten 30 Jahren siche Hassan Daioleslam: Der gezähmte “Große Satan”.
US-amerikanische Iran-Politik und der Lobbyismus des Regimes. In: Grigat/
Hartmann: /ran im Weltsystem, S. 105-113.
Anton Pelinka meint, sondern diese Aussage zeigt, dass Claudia
Erdheim nicht in der Lage ist, die historischen Zusammenhän¬
ge und die Fragen, mit denen sich Menschen im „Zeitalter der
Extreme“ auseinandersetzen mussten, zu verstehen.
Ich erlaube mir, als auf den ersten Blick seltsam anmutende Inter¬
vention, zwei Absätze aus meinem zuerst 1993 erschienenen Aufsatz
über Antonio Gramsci hierher zu setzen und damit vorzuschlagen,
die Debatte ein wenig zu verlagern:
„Die sozialistische Linke und ihre ‚Jahrhundertbilanz‘: Anders
als ein Buchhalter, dem ein Fehler in der Jahresbilanz doch eher
zu schaffen macht, und der ihn umgehend ausmerzen, zumin¬
dest aber beschönigen will, ist die sozialistische Linke darauf
versessen, immer neue Fehler in der Ideologie und Taktik der
Arbeiterbewegung und vor allem der kommunistischen Parteien
aufzuspüren, grobe Vernachlässigungen, Einseitigkeiten, ist erpicht
darauf nachzuweisen, daß ces so nur schiefgehen konnte.“
„Die wesentlichen — uns heute noch als diskutabel erscheinenden
— Leistungen marxistischer Theoretiker im 20. Jahrhundert sind
alle in einer Situation der Abweichung und allmählichen Loslö¬
sung von der Parteidoktrin entstanden: ohne daß diese Loslösung
zu einem abschließenden Resultat gekommen ist. Diese Denker
— Bloch, Lukäcs, Gramsci — blieben noch der Praxis der kommu¬
nistischen Bewegung verbunden, d.h., dem Vorhandensein eines
Wirklichkeitskonstrukts, das aufbaubar, reformierbar, fortführbar
erschien. So spielte Stalins Sowjetunion für Lukäcs eine ähnliche
Rolle wie der preußische Staat für die Staatsphilosophie Hegels.
Beiden mag vorgeworfen werden, Apologeten und — schlimmer
noch — bewußtlose Fürsprecher des Machtgebildes, in dessen
Licht und Schatten sie standen, gewesen zu sein. Unbestreitbar
ist jedoch, daß ihnen das vorausgesetzte und im Grunde bejahte
Wirklichkeitskonstrukt ein Denken in Perspektiven ermöglichte,
welches in seiner Selbstdifferenzierung als ein Triumph des Be¬
griffs tiber Begrifflosigkeit und Begriffstutzigkeit bestehen bleibt.
Gramsci, der Gefangene Mussolinis, ist in paradox tiberhéhtem
Sinn ein Beispiel solcher Freiheit in der Unfreiheit.“
(Ein langsamer Frühling zwischen Gitterstäben. Antonio Gramscis
Gefängnishefte, nachzulesen in „Das unsichtbare Kind“, Wien
2001).
Konstantin Kaiser