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Franz Richard Reiter Kambanellis Buch wurde von Elena Strubakis erstmals aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzt und erschien im Wiener Ephelant (Text: lakovos Kambanellis; Musik: Mikis Theodorakis; begleitende Worte: Simon Wiesenthal). Beim ZW-Fest am 20.6.2013 stellte Elena Strubakis das Buch vor. Viele sagen, dass der Ausdruck, der sich in der weltberühmten „Mauthausen Cantata“ manifestiert, den höchsten Ansprüchen gerecht wird. Lange Zeit war sie vergriffen, jetzt ist sie, zusammen mit dem gerade erschienenen Buch von Iakovos Kambanellis „Die Freiheit kam im Mai“, wieder verfügbar. lakovos Kambanellis hat die Lyrik, die Mikis Theodorakis vertont hat, gedichtet. Kambanellis Buch ist der Schlüssel zur Cantata. lakovos Kambanellis - er ist am 29. März 2011 89-jährig in Athen verstorben — ist der berühmteste Bühnen- und Filmautor Griechenlands. Er war Häftling im Konzentrationslager Mauthausen, sein Buch darüber, das in Griechenland weit mehr als dreißig Mal aufgelegt wurde und dort als Standardwerk geschätzt wird, liegt jetzt zum ersten Mal nach 45 Jahren in deutscher Sprache vor, wunderbar übersetzt von Elena Strubakis. Das Buch unterscheidet sich in vielerlei von der einschlägigen Literatur. Von einem Dichter verfasst, ist die Sprache besonders intensiv und eindringlich, der Aufbau des Buches klug. Das Buch beginnt mit dem Tag der Befreiung, dem 5. Mai 1945, und schildert auf ungefähr der Hälfte seines Umfanges die Zeit im Lager nach der Befreiung und die Kontakte mit den Bauern und Dorfbewohnern der umliegenden Region. Ungezählte Häftlinge mussten nach der Befreiung monatelang im Lager ausharren, weil sie eine Reise nicht überlebt hätten. Wie schaut Normalität aus, wie entwickelt sich Alltag, wie begegnen einander Frauen und Manner, die vorher rigoros separiert waren, wie suchen ehemalige Häftlinge im befreiten Lager das Leben? Zeigt die Bevölkerung den ehemaligen Häftlingen gegenüber Empathie oder belügen und betrügen sie sie, was unternehmen die Frauen der geflüchteten SSler, welche „Erziehungsmaßnahmen“ für die Einheimischen werden von den ehemaligen Häftlingen gesetzt, welche Racheakte unternommen? Das alles kommt in der einschlägigen deutschsprachigen Literatur gar nicht oder kaum zur Sprache, jedoch in Kambanellis Werk. In die Schilderung der Zeit nach der Befreiung flicht er Rückblicke in die Zeit vor der Befreiung. Er schildert das Leben der Spanier, der Italiener, der Russen und besonders der Griechen im Lager, ihre Einstellungen, ihre Lebensklugheit, ihre Dreistigkeit und ihre Tricks, wie sie die SS überlisteten, und die Bedeutung der Griechen insgesamt für das KZ Mauthausen. Griechenland schickte dreimal die Freiheit, auf dass sie an die Tür von Mauthausen klopfe. Das erste Mal, als das Lager erfuhr, dass die Griechen Mussolini besiegt hatten; das zweite Mal, als Athener eines Nachts die Akropolis erklommen, die Hakenkreuzfahne herunterholten und auf sie schissen; das dritte Mal, als Andonis, ein Grieche, im Graben des Steinbruchs den SSler durch seine Kühnheit, vor allem durch seine Menschlichkeit bezwang. Nach der Befreiung befanden sich ungefähr 200 Griechinnen im Lager, die nach Palästina wollten. Der amerikanische Kommandant war von seinen Vorgesetzten angehalten, diese Reise zu verbieten. Als die Frauen Kambanellis baten, sie nicht alleine zurück zu lassen, versprach er ihnen spontan, mit ihnen im Lager zu bleiben, bis sie abreisen konnten. Dadurch gefährdete er die Beziehung zu Jannina — zwischen den beiden hatte sich Liebe eingestellt —, der einzigen Person aus Litauen, die sich im Lager befand. Der amerikanische Kommandant widersetzte sich den Anordnungen seiner Oberen und ließ schließlich die Menschen, die nach Palästina wollten, nach Italien abreisen. An dieser Fahrt nahm Kambanellis ein Stück weit teil, weil er zum Rendezvous zu seiner Jannina nach Italien wollte, die mit ihrem Ehemann, der sie in unzähligen KZs gesucht hatte, vorausgereist war. So gut wie jeder Grieche und jede Griechin weiß, dass lakovos Kambanellis im KZ Mauthausen war, nicht alle haben sein Buch darüber gelesen, aber alle wissen davon. Der Autor dieses Beitrages hat wiederholt erlebt, dass sich in einer Taverne irgendwo in Griechenland unvermittelt eine Stimme oder die Stimmen eines Tisches erhoben, und ein Lied aus der Mauthausen Cantata gesungen wurde und die Gespräche der anderen Gäste wurden leise oder verstummten. Elena Strubakis hat für diese Übersetzung die „Übersetzungsprämie“ des Österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur als „Auszeichnung für die besonders gelungene literarische Übersetzung“ erhalten. Mikis Theodorakis sagt zu dieser ersten Übersetzung des Werkes ins Deutsche, das in Griechenland mehr als 30 Mal aufgelegt wurde: Der Dichter beweist in seinem Buch, dass er stärker als seine Kerkermeister ist, weil er uns überzeugend zeigt, dass sich sogar in der Hölle die Liebe letztendlich als das Stärkere erweist. Von der beigelegten CD ist die Live-Aufnahme vom 7. Mai 1995 des Konzerts zu hören, das Maria Farantouri im chemaligen KZ sang. Mikis Theodorakis dirigierte, lakovos Kambanellis sprach. Auf hebräisch singt die Cantata Elinoar Moav Veniadis, aufgenommen 1995 in Tel Aviv und dirigiert von Jossi Ben-Nun. Auf englisch wird sie von Nadia Weinberg gesungen und dirigiert von Alexandros Karozas, aufgenommen 1995 und 1999 in Frankfurt am Main. Das Schlusswort spricht Simon Wiesenthal. September 2013 9