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Diskurs nicht vor, die Wörter Gedenk- oder Erinnerungskul¬
tur waren hier in der Provinz gänzlich unbekannt. Nur ein paar
Veteranen plauderten gelegentlich heldisch über Stalingrad und
im Suff auch schon mal über die polnischen, weißrussischen,
ukrainischen und russischen Dörfer, die sie heimgesucht und
mitsamt deren Bewohnern abgefackelt und eingeebnet hatten.
Noch immer wurden St. Pöltner Straßen und Gassen nach ehe¬
maligen Nazis benannt.

Erich Fitzbauer

Gedichte

WIR haben die ganze Welt gesehen —

Die Welt war überall rund! ¬

So steht es seit anno dazumal

in Walter Mehrings Seemannschoral.

Auch ich ließ in mancherlei Richtung mich wehn,
obwohl ich nur ein kleines Revier

der großen Welt im Reisevisier

hatte, in das ich neugierig strebte

und das ich dann abenteuernd erlebte.

Doch was ich aufall diesen Reisen erfahren
habe, ist mir genug und ein Grund,
jetzt, in meinen schon hohen Jahren,
nach all den erreichten wunderbaren
Zielen, nicht mehr auf große Fahrt
in noch so reizvolle Fernen zu gehen.
Das Beste, was man bisher geschen,
gehört, erfühlt und genossen hat,

an diesem Meer, in jener Stadt,

ist ja, jedes seine Art,

in der Erinnerung aufbewahrt.

Walter Mehring, auf Reisen fast

immer nur ein recht eiliger Gast,

obwohl er in manchem entlegenen Land
Freunde und Erfüllung fand,

war meistens ein vom Schicksal Geplagter,
während der deutschen Unzeit Gejagter,
Verfemter, Verbannter, Verarmter, Verzagter.
Und spät erst, gealtert und fast vergessen,
hat er ein halbwegs festes Zuhause,

doch keine beschauliche Dichterklause,
schon gar nicht ein eigenes Heim besessen.

Wir Wenigen, die seinen Namen noch kennen,
zögern nicht, ihn mit Achtung zu nennen.
Doch wo sind jene seltenen Wesen,

die heutzutage Gedichte lesen

und denen man Mehrings Texte gönnte

und die man auf seine manchmal subtilen,
dann wieder heftigen, impulsiven

meistens erfreulich subjektiven,

zuweilen aber auch reichlich skurrilen

Texte aufmerksam machen könnte? —

Those were the days, das war im Wesentlichen die Kultur, in der
ich aufgewachsen bin. Seither hat sich enorm viel geändert in
der Landeshauptstadt.

Mein bald dreijähriger Sohn wird im Heranwachsen eine völlig
andere kulturelle Luft schnuppern, vom Bobby McFerrin im
Festspielhaus über das Cinema Paradiso bis hin zum Frequency¬
Festival. Irgendwie beneide ich ihn darum.

wenn doch sogar die Lektorenscharen,

die früher für Lyrik empfindlich waren,

falls heute man ihnen Gedichte sendet

und dafür sinnlos Porto verschwendet —

und nicht nur Gedichte, welche den Sümpfen
menschlichen Ungeists entstiegen scheinen,
billige Leserbriefpoesie

und noch weitaus Schlimmeres, wie

Wörter, aus Launen und Dreistigkeit
zusammenhanglos aneinandergereiht,
sondern auch gute Gedichte, die

Klarheit, Klangfülle, Phantasie,

Farben, Bilder, Harmonie

und rhythmischen Schwung in sich vereinen —
meist angewidert die Nase rümpfen.

Die Zeichnung von Erich Fitzbauer ist aus dem Gedichtband „Wir Jahrgang 1927“

September 2013 27