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selektiert wurden, muss man davon ausgehen, dass er dort in
den Gaskammern ermordet wurde.

Grünewalds Bekannte erfuhren erst spät von seinem Tod. 1945
erschien im New Yorker „Aufbau“ ein erster Nachruf, der womög¬
lich von seinen Geschwistern veranlasst worden war, die allesamt
Europa verlassen konnten: „Der Wiener Lyriker und Dramatiker
Alfred Grünewald ist, wie wir erst jetzt erfahren, 1942 von den
Nazis aus Nizza, wohin er sich 1939 geflüchtet hatte, deportiert
worden.“*! Zu dieser Zeit wurde er in einem Zeitungsartikel wie
selbstverständlich noch als Teil der österreichischen Literatur ver¬
standen.” Dieses Verständnis änderte sich jedoch bald. Tatsächlich
hatte die österreichische Literaturwissenschaft nichts Eiligeres zu
tun als zweifelhafte Figuren wie das NSDAP-Mitglied Josef Wein¬
heber wieder zu Rang und Ehre zu verhelfen, die vom Faschismus
ermordeten Autoren dabei zu überschen: „Man schweigt vor allem
über die Opfer der Konzentrationslager, Alma Johanna König,
Alfred Grünewald, Max Fleischer und viele andere. Sicherlich
müssen wir diejenigen, die — wenn auch spät — zur Besinnung
gekommen sind und die Konsequenzen zogen, scharf von den
Ewig-Unbelehrbaren trennen, und Freude mag im Himmel über
den reuigen Sünder Josef Weinheber herrschen; aber dem irdischen
Gerechtigkeitsgeftihl entsprache es mehr, zuerst die zu bestätigen,
die sich ethisch einwandfrei verhalten haben und dennoch — oder
besser gesagt: gerade darum — unter die Räder kamen.“* Dieser
mutige Einspruch half nichts: Grünewald, schon zu Lebzeiten
keine Berühmtheit, verschwand nun völlig von der Bildfläche.
Leo Schmidl, Weggefährte und einziger Schüler, versuchte zwar,
das Andenken des Dichters zu bewahren, vor allem aber war es
Oskar Jan Tauschinski, der Lebensgefährte der ebenfalls 1942
ermordeten Alma Johanna Koenig, der ihn 1964 in einer Kurz¬
biographie wieder ins öffentliche Bewusstsein brachte; 1969
veröffentlichte er die Gedichtauswahl „Klage des Minos“. Doch
erst die Neuausgabe der 1921 erschienenen Aphorismensammlung
„Ergebnisse“ (1995) sicherte dem Unbekannten einen, wenn auch
bescheidenen, Platz in der Geschichte des deutschen Aphorismus.”
Wie Grünewald selbst einmal sagte: „Was das Genie schreibt, ist
Testament. Vollstrecker ist die Ewigkeit.“

Anmerkungen

1 Alle Angaben von der IKG Wien bzw. dem Wiener Stadt- und Landesarchiv.
2 A. Grünewald, Das Tierreich. In: Neues Wiener Tagblatt, Nr. 160, 11.
6. 1936, S. 21.

3 A. Grünewald, Vom Schlafen. In: Neues Wiener Journal, Nr. 11963, 13.
3. 1927, S. 10.

4 Franziska Raynaud, Alma Johanna Koenig (1887-1942?) Leben und
Dichten einer Wienerin. In: Bulletin des Leo Baeck Instituts, Ausgabe 64
(1983), S. 30.

5 Petar Vajda, Stefan Zweig in den Augen seiner Freunde. Gespräche mit
Felix Braun, Ernst Benedikt, Hermann Hesse und Franz Theodor Csokor.
In: Arbeitskreis für Österreichische Geschichte, Österreich in Geschichte
und Literatur: Band 10, 1966, S. 311.

6 Anonym, Literarischer Autorenabend. In: Neue Freie Presse, Nr. 15915,
10. 12. 1908, S.10.

7 Felix Braun, Das Licht der Welt. Geschichte eines Versuches als Dichter
zu leben, Herder-Verlag, Wien 1949, S.470.

8 Rudolf Holzer, Alfred Griinewald; Mummenschanz des Todes. Gedichte.
In: Das literarische Echo 12 (1909-10), Sp.1346.

32. ZWISCHENWELT

9 Susanne Buchinger, Stefan Zweig — Schriftsteller und literarischer Agent.
Die Beziehungen zu seinen deutschsprachigen Verlegern (1901-1942),
Buchhändler-Vereinigung, Frankfurt/M. 1998, S.120f.

10 A. Griinewald: Klage des Minos. Eine Auswahl zusammengestellt und
eingeleitet von Oskar Jan Tauschinski. Bergland-Verlag, Wien 1969, S.15.
11 A. Grünewald: Klage des Minos op.cit. S.18

12 Erwin Stranik: Alfred Grünewald. In: Reclams Universum 42, Heft 45,
5. August 1926, S.1190.

13 ali: Deutsche Lyrik. In: Der Stürmer (Wien), Nr. 10, 10. 3. 1934, S. 5.
14 Oskar Jan Tauschinski, Manuskript für den Vortrag im PE.N. am 9.3.
1978. In: Nachlass O.J. Tauschinski, Wienbibliothek I.N. ZPH784.

15 Brief Fr. Th. Csokor an Lina Loos, vom 17. Juni 1939, in: Franz Th.
Csokor, Zeuge einer Zeit. Briefe aus dem Exil 1933-1950, München &
Wien 1964, S. 238f.

16 Christa Giirtler, Sigrid Schmid-Bortenschlager (Hg), Erfolg und Verfol¬
gung: Osterreichische Schriftstellerinnen 1918-1945, Salzburg 2002, S.106.
17 Brief an Hiller, 11. 5. 1940, Kurt-Hiller-Gesellschaft Neuss.

18 Brief an Hiller, 17. 12. 1939, op.cit.

19 Brief A. J. Koenig an Felix Braun, 24. 5. 1939, ÖNB Ser.n. 41.874.
20 A. Grünewald, Was da kreucht und fleucht. Fabeln und Geschichten.
Verlagsarchiv Oprecht, Ms. T 141, S. 1.

21 Otto Zoff, Tagebiicher aus der Emigration, Heidelberg 1968, S.17.

22 Brief an Hiller, 29. 12. 1939, op.cit.

23 Brief an Hiller, 28. 7. 1940, op.cit.

24 ebd.

25 Brief A. J. Koenig an Felix Braun, 24. 5. 1939, op.cit.

26 Zoff Tagebücher op.cit. S.52

27 Zoff Tagebücher op.cit. S.55; Brief an Hiller, 18. 5. 1940, op.cit.

28 Zoff Tagebücher op.cit. S.52.

29 L. Schmidl, Ruf an Alfred Grünewald. In: Wienbibliothek Nachlass
Tauschinski ZPH796.

30 A. Grünewald, Der Pilger. Verlagsarchiv Oprecht, Ms. T 138: Frühes
Lied, S.60.

31 A. Grünewald, Ergebnisse. Aphorismen. Mit einem Nachwort von Klaus
Hansen herausgegeben von Thomas B. Schumann, Hirth bei Kéln 1995,
S.35.

32 Persönliche Auskunft Ilse Wolf, Florida, 4.2.2013.

33 Alfred Kantorowicz, Exil in Frankreich. Merkwürdigkeiten und Denk¬
würdigkeiten, Fischer, Frankfurt am Main 1986.

34 A. Grünewald, Reseda. Novelle und andere Prosa. Herausgegeben von
Volker Bühn, Männerschwarm Verlag, Hamburg 2013.

35 Briefan Emil Oprecht, 25. 8. 1942, Verlagsarchiv Oprecht, Ms. T 140.
36 Leo Schmidl, Ruf an Alfred Grünewald, op.cit.

37 Israel Salzer, Ein Bericht über das Lager Les Milles. in: Jacques Grandjonc:
Zone der Ungewißheit. Exil und Internierung in Südfrankreich 1933-1944.
Rowohlt, Reinbek 1993, S.435f.

38 A. Fontaine, Le camp d’étrangers des Milles 1939-1943, Edisud, Aix¬
en-Provence 1989, S.193.

39 Henri Manen, In der Tiefe. in: Jacques Grandjonc Zone der Ungewi߬
heit. op.cit., S.380f.

40 Beate und Serge Klarsfeld, Le Mémorial de la déportation des Juifs de
France. Paris, Fayard 1994, 0.S. ,Convoi No. 29 en date de 7 Septembre
1942“.

41 Wie wir hören. In: Der Aufbau, 6. 4. 1945 (Jg. 11, Heft 14), S.7.

42 Oskar Maurus Fontana, Trümmerhaufen: Österreichische Literatur. In:
Neues Österreich, 15. 5. 1945.

43 O. J. Tauschinski, Leserbrief. In: Der Turm. Österreichische Monatsschrift
für Kultur, Bd. 7, 1947, S.235.

44 O. J. Tauschinski, Alfred Grünewald, in: Wort in der Zeit, Heft 10
(1964), H.3 S.12-17.

45 Vor allem bei Friedemann Spicker, Studien zum deutschen Aphorismus
im 20. Jahrhundert. Niemeyer, Tübingen 2000.

46 Alfred Grünewald: Ergebnisse, op.cit. S.26.