andere fundamentale Dimension. Die von einem fanatisierten
provinziellen Spießertum zu verantwortende Vernichtungs-Perfor¬
mance — also auf platte Emotionalisierung ausgerichtete und auf
symbolische Zeichen setzende Politik— hatte nämlich zugleich eine
größenwahnsinnige Zielrichtung. Denn die Bücherverbrennung
sollte der Event-Auftakt sein, Salzburg — in enger Zusammen¬
arbeit mit dem SS-Ahnenerbe — zum ,,nationalsozialistischen
Missionszentrum“, zum „weltanschaulichen Ausstrahlungszen¬
trum“ der angeblich neuen, modernen Epoche zu machen, wie
sich Springenschmid schon im März 1938 ausdrückte. In seiner
Denkschrift heißt es: „Alle kulturpolitischen und volkspoliti¬
schen Einrichtungen“ seien hier in Salzburg und nicht etwa im
„Altreich“ anzusiedeln, um die nazistische „Sendung“ zu erfüllen.
Die Bücherverbrennung war gedacht als Leuchtfeuer, das — wie
es hieß — „nationalsozialistische Rom“ Wirklichkeit werden und
es hell erstrahlen zu lassen.
Albert Lichtblau: Es ist wichtig, die Erinnerung an die Verbre¬
chen des Nationalsozialismus nicht alleine der Politik oder der
Verwaltung zu überlassen. Dies hätte etwas von „verordnetem“
Gedenken, das niemanden etwas anginge.
Erinnern und Gedenken macht besonders dann Sinn, wenn es
öffentlich und aktiv geschieht und mitten aus der Gesellschaft
heraus getragen wird.
Deswegen wollten wir abermals hier sein, an dem Ort des Ge¬
schehens, um darauf hinzuweisen:
Gerhard M. Dienes
„Der Tempel brennt“
Das alles geschah HIER — und die furchtbaren, mörderischen
Geschehnisse nahmen ihren weiteren Verlauf.
Und es geht leider weiter: die Zensur und Dehumanisierung
setzen sich fort. Im Februar wurden in Aserbaidschan die Bücher
eines Autors (Akram Aylisli) verbrannt, der sich in einem Roman
mit dem Konflikt rund um den Berg Karabach befasste und Pa¬
rallelen zum Völkermord an der armenischen Bevölkerung zog.
Sein Leben wurde bedroht. Das alles geschieht JETZT.
Es gibt genug zu tun!
Dass sich so viele unserer Initiative „Freies Wort“ angeschlossen
haben, ist erfreulich und macht Mut.
Dafür möchten wir uns bei allen Beteiligten und Ihnen be¬
danken.
1 Zu TIhalgau vgl. Bernhard Iglhauser: Aliquando — 400 Jahre Thalgauer
Schulgeschichte 2012. — Bernhard Gitschtaler: Gailtaler Jugend im Natio¬
nalsozialismus. Verein Erinnern-Gailtal. Wien/Dunaj, Hermagor/ Smohor
2012; Hitlerjugend, Bund Deutscher Mädel und der Reichsarbeitsdienst
im Gailtal. Eine der besonderen „kulturellen“ Tätigkeiten der HJ im Gailtal
war dabei eine Bücherverbrennung, die am 17.5.1938 in Reisach stattfand.
(Jamritsch 2012, S. 26). Bücherverbrennungen wurden zumeist von der SA
organisiert und öffentlich im Zuge von diversen Feierlichkeiten durchgeführt.
Ob es im Gailtal noch mehrere Bücherverbrennungen gab, ist bisher nicht
restlos geklärt, jedoch sehr wahrscheinlich.
Im März 1938 hatte auch in dem zur Ostmark mutierten Ös¬
terreich ein System die Macht an sich gerissen, das die „Umwer¬
tung aller Werte“ Wirklichkeit werden ließ, wie Erich Kästner
es formulierte.
Ein Staat hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das dem Menschen
eingeborene Gewissen und Rechtsempfinden innerhalb der Landes¬
grenzen radikal auszurotten. Wer ein schlechter Kerl war oder wurde,
konnte es weit bringen. Wer auf die Stimme in seinem Inneren hörte,
kam vor das Gericht und wurde als Verbrecher — als ‚Staatsfeind‘ —
verurteilt. Mörder regierten. Hehler waren Polizei. Lumpen sprachen
Recht. Und das Gewissen saß aufder Anklagebank. Der Milchhändler,
der einem unterernährten ‚artfremden Kind“ eine Flasche Milch
zusteckte, wurde eingesperrt, und die Frau, die ihn angezeigt hatte,
bekam das Verdienstkreuz.
Wenige Monate später in diesem Schicksalsjahr 1938 brannten
die Synagogen. Abermals sei Erich Kästner zitiert:
Als die Synagogen brannten
Der junge SA Mann:
Wo steckt Jehowa nun, der nie verzeiht?
Ist er, Adresse unbekannt, verzogen?
Der alte Jude:
Gibts einen Gott, gibts auch Gerechtigkeit.
Wenn's keinen gibt, was braucht es Synagogen?
In einem kurzen Text mit dem Titel „Der Tempel brennt“ be¬
schreibt die Schriftstellerin Mela Hartwig (Wien 1893 — London
1967) ein Ereignis in jener Nacht, als die Synagogen geschändet
wurden:
Aus einer der dunkeln Gassen hervor stürzte wilde Schreie aus¬
stoßend eine hochschwangere Jüdin, der man die Kleider vom Leib
gerissen hatte und die halb nackt und nur noch in Fetzen gehüllt
vor einem noch unsichtbaren Verfolger flüchtete, da holte dieser sie
ein, packte sie und als sie ihn, um sich loszumachen, in die Hand
biss, brüllte er „Du Hexe, Du“ und schleuderte die Taumelnde in
den brennenden Tempel hinein.
„Der Tempel brennt“ ist nur eine von vielen literarischen Äu¬
ßerungen Hartwigs, die unveröffentlicht blieben.
Karl Kraus hat einmal gemeint, dass die Literaturgeschichte
„dem Glücke darin gleicht, dass sie ohne Wahl und Billigkeit die
Gaben des Ruhms“ verteile.
Es gibt sie tatsächlich, „die Autoren, die noch über das Ende
des eigenen Lebens hinaus überschätzt werden, und die großen
Unbekannten, denen angemessene Aufmerksamkeit niemals
zuteil wurde [...]“, schreibt Karl-Markus Gauß in einem in der
Hamburger „Zeit“ (3. Jänner 2013) erschienenen Artikel über
Walter Buchebner.
Auch Mela Hartwig wurde die angemessene Aufmerksamkeit
nicht zuteil.
Daher sahen wir die Ausstellung über Mela Hartwig in der
Steiermärkischen Landesbibliothek in Graz, der wir den Titel „Der