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Enteignung, Demütigung, Verhaftung und Todesgefahz, illegale Flucht über versperrte Grenzen, Jahre des Exils, ein feindlicher Ausländer - auch Robert Spira wurde als „enemy alien“ interniert -in einem vom Kriege zerrütteten Land, all das zählte nicht. Aus Amerika zurück kam Erich Wolfgang Korngold. Gleich wurde er gefragt, wann er denn in die USA zurückkehren werde, so erinnert sich die Frau des Komponisten. Korngold erkannte: Hier bin ich nicht gerade erwünscht. Und Robert Spira erzählte, dass die Leute in der Steiermark erschraken, „wie sie uns gesehen haben.“ Es hatte sich nichts geandert, hier waren sie nicht willkommen. Drei kleine steirische Tannenbäume nahm das Ehepaar HartwigSpira mit nach England, die sie im kleinen Garten ihres Londoner Reihenhauses pflanzten. Mela Hartwig wandte sich literarisch aktuellen Themen zu, so mit dem Roman „Inferno“, einer Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und der Frage des Widerstands. Das Werk blieb unveröffentlicht. Die Künstlerin wurde zum Opfer eines restaurativen Literaturbetriebes, der die in der NSZeit arrivierten Autoren wieder aufleben ließ. Hartwig konnte nur ein einziges Buch, den Gedichtband „Spiegelungen“ (1953 im Gurlitt-Verlag), herausbringen. Die Illustrationen darin stammen von Alfred Wickenburg. Wie schon in den 1930er Jahren schuf sich Mela Hartwig wieder als Mela Spira mit der Malerei „ein von der Sprache unabhängiges Ventil“ gegen die Frustration. „Vergangenheit hat unsre Herzen geschwächt [...]“, schreibt Mela Hartwig in einem ihrer Gedichte. Ihr Herz hörte am 24. April 1967 zu schlagen auf. Wenige Tage später nahm sich ihr Mann - die beiden waren aufs Engste verbunden — das Leben. Gerhard M. Dienes sprach auch am 13. März 2013 zur Eröffnung der Ausstellung über Mela Hartwig-Spira im Joanneum, Graz, wo die Ausstellung „Der Tempel brennt“ bis zum 7. Juni zu sehen war. Reet Kudu Mela Spira: Vase mit Blumen. Öl auf Leinwand, Faserplatte, um 1965. (Neue Galerie Graz/Universalmuseum Graz) Ich selbst konnte zu sowjetischer Zeit in estnischer Sprache lernen — in meiner Muttersprache! Den russischsprachigen Kindern wird dies im heutigen Estland oftmals verweigert, obwohl die Estnische Republik ein Staatsreglement hat, dass jedem Kind das Recht einräumt, in seiner Muttersprache unterrichtet zu werden. Das ist dringend notwendig, da es in Estland Regionen gibt, in denen kaum Esten leben, nur Russen. Dort mangelt es natürlicherweise an estnischsprachigen Lehrern. Wenn wir den Unterricht in russischer Sprache verbieten, verweigern wir den Kindern eine gute Bildung. Das erschwert die Integration. Und führt letzten Endes zu Armut, Kriminalität und Korruption. Die russische Sprache gilt in den Augen der estnischen Politiker, die heute an der Macht sind, als „Sprache der Okkupanten“. Das hat beispielsweise der estnische Präsident Toomas-Hendrik Ilves in der Schweiz behauptet. Allerdings waren diese so genannten Okkupanten lediglich russische Fremdarbeiter, die nicht einmal der kommunistischen Partei angehörten. Oder sie gehörten zur jüdisch-russischen Intelligenz. Die wahren Okkupanten waren die estnischen Kollaborateure, die jetzt an den Hebeln der Macht sitzen und Nationalhass schüren, Hass gegen einen großen Teil der Menschen, die in Estland leben. In Tallinn etwa haben 50% der Einwohner nicht Estnisch als Muttersprache. Und immer noch — 20 Jahre nach der Wende — leben in Estland auch 100.000 russischsprachige Menschen ohne jede Bürgerschaft. (Sie haben nur einen grauen Pass, fast so, wie die Juden einmal den J-Stempel in den Pässen hatten.) Ihnen wurde — anders als in Litauen — die Staatsbürgerschaft in Estland und in Lettland verweigert, obwohl sie in der Sowjetzeit in diesen Ländern geboren wurden. Die Staatsbürgerschaft gibt es nur nach einem Sprachexamen. Für Sprachkurse allerdings fehlt den russischsprachigen MitbürgerInnen in der Regel das Geld. September 2013 41