Robert Sedlaczek, früherer Geschäftsführer des
Bundesverlags und zwei Jahre lang Mitarbeiter
Bruno Kreiskys, hat sich auf die Spurensuche
nach zwei Persönlichkeiten gemacht, die in der
österreichischen Literatur zwar viel genannt,
aber wie sein Buch beweist, bisher kaum er¬
forscht wurden. Mit Hilfe des österreichischen
Rechtsanwalts Peter Wrabetz, der ihm seine
Materialsammlung über Dr. Hugo Sperber zur
Verfügung stellte, recherchierte er die Biogra¬
phie dieses prominenten sozialdemokratischen
Anwalts, der auch zwei Bücher publizierte (das
erste, „Die Lüge im Straferecht“, erschien 1927
bei dem kurzlebigen Verlag „Zahn und Dia¬
mant“, mitbegründet von dem österreichischen
Historiker und Genealogen Paul J. Diamant).
Sperber, der 1938 im KZ Dachau ermordet
wurde, lebte in den von Friedrich Torberg
überlieferten Anekdoten fort. Torberg wollte
sogar ein eigenes Buch über ihn publizieren;
in seinem umfangreichen Nachlass fand Sed¬
laczek zahlreiche Hinweise, die er für sein Buch
auswerten konnte.
Die zweite Persönlichkeit, über die Sedlaczek
recherchierte, war Torbergs berühmte Tante Jo¬
lesch. Er konnte dabei zwar sehr viel über die
Familie, den Neffen Franzl, die Firma Jolesch
in der Nähe von Iglau finden, aber die Tante
blieb ein Rätsel. Einiges berichtet er auch über
die erste kurzzeitige Ehefrau von Franz Jolesch,
Luise Gosztonyi, die 1937 Hanns Eisler und
1955 Ernst Fischer heiratete. Über die Tante
Der 1932 in Chemnitz geborene, in der Nähe
Berlins lebende DDR-Schriftsteller Rolf Schnei¬
der hatüberaus lesenswerte Erinnerungen vorge¬
legt. Er berichtet von seinem Studium in Halle
und bei Victor Klemperer. In den fünfziger Jah¬
ren arbeitete er für die Zeitschrift „Aufbau“, er
besuchte Georg Lukäcs und Polen, ein Land,
das ihn sehr beeindruckte. Die DDR nach dem
Mauerbau nennter ein ,,Gefangenenlager*, die
DDR-Behörden ungebildet. Spater erklart er
seinen Lesern auch die familiären Gründe, die
dafür verantwortlich waren, dass er das Land
nie verließ. 1965 erhielt er eine Einladung der
Gruppe 47, die er plastisch schildert. Schneider
war nie SED-Mitglied und trug 1976 den Protest
gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns mit.
In den 1970er Jahren betreute er für den Verlag
Volk und Welt eine Robert Musil-Werkausgabe.
Dies brachte ihn in Kontakt mit Österreich und
einigen bekannten Österreichern, so Bruno
Kreisky, Hans Weigel und Friedrich Torberg.
Weigel überredete ihn, zum Ingeborg Bach¬
mann-Wettbewerb nach Klagenfurt zu fahren,
dessen Atmosphäre und die anschließenden
Kontakte mit Marcel Reich-Ranicki und Joa¬
chim Fest er klug und scharfsinnig beschreibt.
schreibt er abschließend: „Leider ist es uns in
zwölf Monaten intensiver Recherchen nicht
gelungen, die Tante Jolesch zu identifizieren.
Wir konnten immerhin klären, dass die direkten
Tanten von Franz Jolesch nicht in Frage kom¬
men.“ Die im Anhang publizierte umfangrei¬
che Genealogie der Familie Jolesch hat Georg
Gaugusch, der Verfasser des Buches „Wer einmal
war. Das jüdische Großbürgertum Wiens“ zur
Verfügung gestellt.
E.A.
Robert Sedlaczek: Die Tante Jolesch und ihre Zeit.
Eine Recherche. In Zusammenarbeit mit Melita
Sedlaczek und Wolfgang Mayr. Innsbruck, Wien:
Haymon 2013. 291 S. Euro 19,90
Es ist ein sympathisches Buch eines Autors,
der auf ein in 20 Sprachen übersetztes Werk,
zahlreiche Romane, Stücke und Sachbüchern
zurückblicken kann und dafür mit dem Lessing¬
Preis der DDR und dem Bundesverdienstkreuz
erster Klasse ausgezeichnet wurde. Privates wird
nicht ausgespart, sondern kurz und unaufdring¬
lich erwahnt.
Rolf Schneider: Schonzeiten. Ein Leben in Deutsch¬
land. Berlin: be.bra Verlag 2012. 316 S. Euro
20,60
Anfang Mai 2013 legte die Bundesvertretung
der Österreichischen HochschülerInnenschaft,
als Ergebnis eines landesweiten Projekts, den
Sammelband „Österreichische Hochschulen
im 20. Jahrhundert“ vor. Studierende von acht
Universitäten forschten in sieben Seminaren zur
Geschichte ihrer Hochschule, vor allem in der
NS-Zeit. Neben Universitäten mit institutio¬
nell verankerter zeitgeschichtlicher Forschung,
beteiligten sich auch Spezialisten-Hochschulen,
wie die Universität für Bodenkultur, die tech¬
nischen Hochschulen Graz und Wien oder das
Mozarteum in Salzburg. Als Projektziele wur¬
den, neben der Vergleichbarkeit der Ergebnisse,
drei Hauptfelder der Beschäftigung ausgegeben:
Studierende und Studierendenvertretung, Hoch¬
schule und Gesellschaft, sowie Kontinuitäten
und Brüche im Hochschulwesen.
Der über den Zeitraum 1938 bis 1945 erwei¬
terte Betrachtungszeitraum ermöglicht es, in
vielen der 29 Beiträge historische Kontinuitäten
herauszulesen, etwa am Beispiel der Studieren¬
denvertretung. Sie kann durchaus als antise¬
mitische „Avantgarde“ vor bzw. in der Zeit des
Austrofaschismus und als Nachhut der Reaktion
bis in die siebziger Jahre bezeichnet werden. Die
Umtriebe studentischer Organisationen, von
Selbstvertretungsorganen und Burschenschaf¬
ten, werden beispielsweise in den Beiträgen zum
NSDitB an der Universität für Bodenkultur oder
den studentischen NS-Aktivitäten in Leoben
und Graz zwischen 1930 und 1938 exemplarisch
abgehandelt.
In mehreren Artikeln werden ideologische
und praktische Funktionen der Hochschulen
für die Integration der nationalsozialistischen
Ideologie in alle Lebensbereiche verdeutlicht.
Die „Nexusstellung“ der 1941 zur Universität
gewordenen „Reichshochschule für Musik“ am
Schnittpunkt zwischen Staatsoper, Musikverein,
Philharmonikern, Burg- und Akademietheater
wird dabei ebenso besprochen wie die eher ba¬
nale Aufgabe des Instituts für Musikerziehung
der selbigen Universität, Angehörigen der Hit¬
lerjugend Chorunterricht zu erteilen, um ihrem
„Stimmschäden verursachenden Gesangstil“
entgegenzuwirken.
Besonders der umfassendste, die Publikation
abschließende, Beitrag über die hochdekorierte
Gründergeneration der Universität Salzburg gibt
Aufschlüsse über Verschweigen und Verdrängen
der NS-Zeit in der Zweiten Republik. An die
1963 wiedergegründete Universität Salzburg
wurde der bereits vor dem „Anschluss“ illegal
als Nazi aktive Egon Lendl als erster Dekan der
philosophischen Fakultät und erster Rektor der
Hochschule berufen. Der NS-Philosoph Walter
Del-Negro ergatterte einen Lehrauftrag und
wurde zum a.o. Prof ernannt, der SS-Offizier
Kurt Willvonseder durfte Geschichtevorlesun¬
gen abhalten, das NSDAP-Mitglied Herbert
Seidler übernahm die Germanistik und der Psy¬
choanalytiker Igor A. Caruso, in der Zeit des
Nationalsozialismus Arzt am Wiener „Spiegel¬
grund“, einer NS-Euthanasieanstalt, wurde Pro¬
fessor am psychologischen Institut. Am Beispiel
Gerhart Harrers wird gezeigt, wie u.a. der Bund
sozialdemokratischer Akademiker (BSA), aber
auch die Volkspartei ehemalige Nazis schützten
und in einflussreiche Positionen hievten.
Wird hier klar, wie stark die personellen, ideo¬
logischen und inhaltlichen Kontinuitäten nach
1945 dominierten, nimmt eine andere Konti¬
nuität, nämlich die der „Vertriebenen Vernunft“
(Fritz Stadler, 1988), eine untergeordnete Rolle
in der Publikation ein. Dem Wissenschaftsexil,
der Vertreibung der Psychoanalyse aus Wien, der
Reformpädagogik, der Sozialwissenschaft um