Ein Grundthema der Frischauerschen Hagiographie stellt Vargas’
Kampf gegen den Nationalsozialismus und fiir die Demokratie dar.
Dabei zieht Frischauer seinen Landsmann, den österreichischen
Bundeskanzler Dollfuß, als Vergleichsgröße heran. Dieser „größte
Feind des Nationalsozialismus“ war am 25. Juli 1934 einem NS¬
Putsch zum Opfer gefallen und von vielen Medien international
zum Märtyrer hochstilisiert worden. Im Jahr zuvor hatte er das
Parlament ausschalten lassen. Deshalb wertete Frischauer es als
historische Ungerechtigkeit, dass Vargas, der denselben Feind
bekämpfe, international attackiert worden sei, als er das Parla¬
ment entmachtet habe. Frischauers Geschichtsklitterung steht im
Dienste einer Rechtfertigungsstrategie, die glauben lassen will,
dass Faschismus nur durch einen „starken Staat“ zu bekämpfen
sei. Dies dachte auch Andrian, der mit Frischauer vermutlich nie
zusammengetroffen ist.
Mit seinem Werk, das auch ins Französische, Englische und
Spanische übersetzt wurde, bot Frischauer — nach den Worten
Leo Léwenthals — eine Soziologie für den Massenkonsum, einen
wichtigen Beitrag zum institutionalisierten Vargas-Mythos. Dieser
sollte mit den außergewöhnlichen Fähigkeiten des Diktators dessen
Macht in der „Umbruchszeit“ legitimieren und ihn als Erwecker
eines nationalen Kollektivbewusstseins, der brasilidade, feiern. Der
Präsident wird als ein Mann aus dem Volk vorgeführt, der mit
einer Reihe von Gaben ausgestattet sei: mit Intelligenz, Umsicht,
scharfer Beobachtungsgabe, Geduld und Raisonnement. Die
Gesten bedächtig, der Blick war beruhigend, das Kinn energisch,
das Lächeln vertrauenseinflößend — damit modellierte Frischauer
das Bild eines Staatslenkers, der sich von Beschreibungen und
Selbstdarstellungen europäischer Diktatoren unterschied. Er war
nicht der völkisch soldatische Held mit stahlhartem Blick, sondern
die nationale Vaterfigur, die sich für das Gemeinwohl aufopfert.
Wie konnte, fragt man sich, Paul Frischauer eine derartige
Hagiographie produzieren — ein Mann, der 1933 sich nach dem
PEN-Kongress in Ragusa (Dubrovnik) öffentlich gegen die Nazi¬
diktatur gewandt hatte und in seinen Romanen (wie jenem über
Prinz Eugen) um ein fundiertes Geschichtsbild bemüht gewesen
war? Zum einen entsprach das Vargas-Bild von Frischauer, der
schon dem Dollfuß-Regime gegenüber keine Berührungsängste
gekannt hatte, durchaus der gewandelten Einschätzung seitens
der Alliierten. Zum anderen konnte der Biograph erheblichen
Nutzen verbuchen: eine ausgezeichnete Position auf dem bra¬
silianischen Buchmarkt mit vier ins Portugiesische übersetzten
Romanen. Bisweilen erhielt er einen Platz auf dem Balkon der
Macht im Palast des Diktators.
Seine zahlreichen Bekanntschaften und Freundschaften mit ein¬
flussreichen Persönlichkeiten ließen Frischauer bis in die 1950er¬
Jahre hinein zu einem rührigen Vermittler zwischen den USA
und Brasilien werden, etwa im Rahmen der Kulturprogramme
des State Department. Freilich brachte ihm das auch Kritik und
Spott ein, gerade in den Kreisen der Exilanten und Fxilantinnen.
Stefan Zweig, der distanziert blieb, schrieb mit Frischauer jedoch
eine Filmskizze über die Geliebte des brasilianischen Kaisers Dom
Pedro I. vor dem Hintergrund der brasilianischen Unabhängig¬
keit. Sie wurde nie verfilmt. 1944 erhielt Frischauer sogar die
brasilianische Staatsbürgerschaft zuerkannt, eine Auszeichnung,
die selbst Stefan Zweig verwehrt worden war.
Nach fünfjährigem Exil kehrte Leopold von Andrian Ende August
1945 per Flugzeug nach Europa zurück. Zwei Monate musste er
in Portugal verbringen, bis er die nötigen Papiere zur Weiterreise
erhielt. Erst im Dezember desselben Jahres traf er in Nizza ein.
Nach Österreich kam er erst wieder 1950, ein Jahr vor seinem
Tod. Es war ihm in dieser Zeit bürokratischer Mühen gelungen,
die Familienvilla in Altaussee restituiert zu erhalten. Ihre Besitzerin
erklärte sich einige Wochen vor Andrians Tod zu einem Vergleich
bereit, in der Höhe von 5000 Schweizer Franken.
Frischauer hingegen migrierte 1945 in die USA, als Vargas’ Stern
im Sinken begriffen war. Die Allianz mit den Amerikanern, mit
einem umfassenden bilateralen Vertrag über amerikanische Waf¬
fenlieferungen nach Brasilien, der den Bau von elf amerikanischen
Militärbasen auf brasilianischem Boden und Rohstoffexporte
von Kautschuk, Eisenerz, Kaffee, Mica, Rohdiamanten u.v.a.m.
in die USA besiegelte, hatte der Bevölkerung keine materiellen
Vorteile gebracht. Im Gegenteil. Die Eliten hatten sich berei¬
chert, die Korruption blühte fort und Vargas dachte nicht an
eine Rückkehr zur Demokratie. Im Oktober 1945 wurde er zum
Rücktritt gezwungen.
Frischauer lebte mehrere Jahre in den USA, versuchte sich als
Drehbuchautor in Hollywood, schrieb Romane und kehrte schlie߬
lich 1958 nach Österreich zurück, wo er einige populärhistorische
Bestseller veröffentlichte. Mit seiner vierten Ehefrau Gaby von
Schönthan zog er in eine Villa in Schönbrunner Gelb im Wiener
Gemeindebezirk Penzing. 1977 verstarb Paul Frischauer in seiner
Heimatstadt.
Während Leopold von Andrian im Exil meist ängstlich bemüht
war, seinen Namen in politischen Zusammenhängen öffentlich
nicht aufscheinen zu lassen, und die Zukunft als Restauration
des lange Vergangenen erträumte, scheute Frischauer weder das
Rampenlicht noch die Neuorientierung. Ragusa hatte ihm eine
Positionierung auf der Seite jener Autoren bedeutet, die den
gleichgeschalteten deutschen PEN-Club verlassen hatten. Die
Emigration bedeutete einen Bruch, aber auch die Möglichkeit
eines neuen Habitus. Um „Wahrheit“ ging es erst in zweiter Linie.
Das Verhalten der Menschen, schreibt Pierre Bourdieu, könne
als eines von wirtschaftlichen Subjekten charakterisiert werden,
die mit knappen Ressourcen einen maximalen Ertrag erarbeiten
wollen. Der weitaus jüngere Frischauer erreichte dies im brasi¬
lianischen Exil. Er und Andrian entwickelten Lebensstrategien,
wenn auch in unterschiedlicher Intensität, die im Spannungsfeld
zwischen Engagement und Arrangement zur Wirkung kamen,
um überleben und zurückkehren zu können.
Gerade das Streben zurückzukehren war für den Monarchisten
Andrian, dessen Eltern den Anschluss nicht erleben mussten,
ein Heilmittel gegen die Resignation. Frischauer, der seine EI¬
tern in Auschwitz verlor, hatte wie Andrian die Zerstörung des
sozialen Netzwerkes der Zwischenkriegszeit zu überwinden. Ihre
sprachlichen Identitäten konnten und wollten beide freilich als
Heimat bewahren.
Ursula Prutsch, geb. 1965 in Graz, dissertierte über „Die Auswan¬
derung von Österreichern nach Brasilien in der Zwischenkriegszeit“
und habilitierte sich 2006 mit einer Arbeit über die USA und La¬
teinamerika im Zweiten Weltkrieg. Sie lehrt am Amerika-Institut
der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie veröffentlichte
zuletzt u.a. „Eine kleine Kulturgeschichte Brasiliens“ (zusammen mit
Enrique Rodrigues-Moura, Bielefeld 2013), und „Iberische Diktatu¬
ren. Portugal unter Salazar, Spanien unter Franco“ (Innsbruck 2012).