Richard Zach ist höchster Respekt zu zollen,
seine Gedichte sollen uns immer wieder Ori¬
entierung geben.
Vergiss nicht: Einmal kommt die Stunde,
da trittst Du vor Dich selber hin
und fragst nach Deines Lebens Sinn
und liest nun zögernd ab vom Munde,
was er Dir weitergibt als Kunde.
O mögest Du nicht nutzlos suchen
und — jäh erschreckt vor so viel Leere —
müd werden an der eignen Schwere,
den schal vergangenen Jahren fluchen.
O mögest Du nicht haltlos flackern,
weil nichts in Dir vor Dir besteht
und nichts Dir wuchs, was du gesät,
und es zu spät, nun zu ackern.
Eine Kleinstadt im Burgenland, die Fußball¬
fans mit dem SVM (SV Mattersburg) asso¬
ziieren, streckt seit einiger Zeit auf anderem
Gebiet die Fühler aus. Sensibilität für die Ge¬
schichte des Ortes ist hier relativ neu.
Schon seit einigen Jahren bemüht sich
Gertraud Tometich in Mattersburg, die Ge¬
schichte der jüdischen Bevölkerung, die 1938
ein abruptes und brutales Ende fand, ins Be¬
wusstsein der Menschen zu rufen. Die Spa¬
ziergange durch den Ort, bei denen sie erzählt,
wo die Juden Jahrhunderte lang gewohnt, wie
sie gelebt haben, wo ihre Geschäfte waren, wo
ihre Synagoge stand, wo sie zur Schule gin¬
gen, wo sich die europaweit bekannt gewese¬
ne Talmudschule befand, und mit den Leuten
den Friedhof besucht, sind auf Interesse und
Neugier gestoßen. Es wird mit Unterstützung
der Gemeinde Mattersburg daran gearbeitet
diesen „Gedächtnisweg“ auch als WEB-Appli¬
kation zur Verfügung zu stellen.
Gertraud Tometich hat nun auch ein Buch
geschrieben, das in der Edition Marlit veröf¬
fentlicht wurde. „Als im Burgenland noch das
Schofarhorn ertönte“. In dem Werk wird dem
Leser die Geschichte der jüdischen Gemeinde
von Mattersburg und Umgebung durch viele
Fakten, Zeitzeugenberichte und zahlreiche Fo¬
tos und Bilder nahe gebracht. Die Buchpräsen¬
tation in der Bauermühle in Mattersburg am
23. Oktober mit Peter Menasse als Moderator
war sehr gut besucht und es wurden viele Bü¬
cher verkauft. Bürgermeisterin Ingrid Salamon
gratulierte.
Aber da gibt es auch noch andere Aktionen,
die mit Aufmerksamkeit verfolgt werden:
In der Hintergasse 70 wurde am 26. Ok¬
tober ein „Geschichtenhaus“ eröffnet. Einige
Leute, MattersburgerInnen und WienerInnen,
haben sich zusammengetan, um in den Räu¬
men des alten Bauernhauses an verschiedene
Wendepunkte in der Geschichte des Ortes zu
erinnern. Ein Raum ist dem jüdischen Mat¬
tersburg gewidmet. In Schautafeln und Filmen
wird die Entwicklung und Vernichtung des jü¬
dischen Stadtteils demonstriert und in einer
Broschüre zusammengefasst. In einem anderen
Raum wird die Industrialisierung des Ortes,
v.a. durch die Lebensmittelerzeugung „FELIX
Austria“, präsentiert, ein Raum ist einer Ma¬
lerin des Ortes gewidmet, die seit Jahrzehnten
Zeichnungen des alten Mattersburg herstellt.
Ein Raum beschäftigt sich mit der architek¬
tonischen Entwicklung der Stadt. Außerdem
ist eine wertvolle Briefmarkensammlung zur
Landnahme des Burgenlandes zu sehen. Zur
Eröffnung kamen ca. 70 Leute und feierten
mit den Initiatoren des Museums bis in den
Abend.
Dr. Richard Berczeller, bekannt als Schrift¬
steller, war jahrelang Arzt in Mattersburg, bis
er 1938 mit seiner Familie die Stadt verlas¬
sen musste und nach einer Odyssee durch
Frankreich und Afrika schließlich im Exil
in den USA landete, wo er mit seiner Fami¬
lie bis zu seinem Tod 1994 lebte. 2011 gab
sein Sohn Dr. Peter Berczeller (geb. 1931) die
Geschichten seines Vaters aus dem Magazin
„New Yorker“ in dem Bändchen „Die Fahrt
ins Blaue“ heraus. Jetzt hat auch er ein Buch
veröffentlicht. Seine Memoiren erschienen im
Metroverlag unter dem Titel „Der kleine weiße
Mantel“. Der Band wurde am 6. November
in Wien im Looshaus in einer Veranstaltung
des Jüdischen Museums präsentiert. Peter
Berczeller kam aber auch nach Mattersburg.
Am 8. November füllte sich der Stadtsaal im
Rathaus mit vielen Leuten, die zur Buchprä¬
sentation unter Moderation von Christof Ha¬
bres mit Lesungen des Schauspielers Wolfgang
Klavina kamen. Mit großem Interesse lauschte
das Publikum den Erzählungen über Vertrei¬
bung, Emigration und Leben in den Staaten.
Das Buch fand regen Absatz. Es saßen einige
ältere Leute im Saal, die sich an die Familie
Berczeller noch erinnern können.
Auch Gerda Frey, geb. Brandl, musste 1938
mit ihrer Familie den Ort verlassen und hat
O mög’ Dich dann ein Feuer nähren,
das Du Dir einst entzündet hast.
Denn hast Du Deine Zeit verprasst,
so wird Dich Deine Zeit verzehren
und nichts an Dir wird weiter währen.
Vergiss nicht: Einmal kommt die Rast.
eine abenteuerliche Überlebensgeschichte
mit Versteck in Ungarn zu erzählen. Das tat
sie am 13. November im Cafe Savio, einem
beliebten Jugendlokal in Mattersburg, das
in einem Haus des ehemaligen Judenviertels
untergebracht ist. Unter den Zuhörern waren
Menschen aus mindestens drei Generationen.
Die Familie Brandl war die einzige jüdische
Familie, die 1945 nach Mattersburg zurück
kam. Sie blieb fünf Jahre und übersiedelte
dann nach Wien. Rührend bei der Veranstal¬
tung war eine Begegnung Gerda Freys mit ei¬
ner alten Schulfreundin aus der Mattersburger
Volksschule.
Peter Berczeller, der auf ein halbes Jahr nach
Wien gekommen war und jetzt in Frankreich
lebt, ist auch Mitinitiator eines Vereins, der
sich in Mattersburg im Mai gegründet hat.
„wir erinnern — Begegnung mit dem jüdi¬
schen Mattersburg“ setzt sich zum Ziel, die
Geschichte des jüdischen Mattersburg und
dessen Vernichtung und gewaltsame Zerstö¬
rung sichtbar zu machen. Als erstes großes
Projekt soll eine repräsentative Begegnungs¬
und Gedenkstätte an der Stelle der 1940
gesprengten Synagoge des Ortes realisiert
werden. Demnächst sollen Ausgrabungen an
der Stelle durchgeführt werden, die eventuell
noch Gemäuer zu Tage bringen könnten, das
dann in die Gestaltung der Begegnungsstätte
einbezogen werden könnte. Die Gemeinde
hat bisher zunächst einmal mündlich ihre
Unterstützung zugesagt. Um die Bevölkerung
möglichst schnell einzubinden, wurde eine
Bausteinaktion gestartet, bei der jeder Bürger
einen symbolischen Baustein um zehn Euro
kaufen kann. Es ist zu hoffen, dass sich einige
Institutionen über die Gemeinde hinaus fin¬
den, die dieses wichtige Vorhaben fördern.
Anna Mayer-Benedek ist Mitglied des Vereins
„wir erinnern — Begegnung mit dem jüdischen
Mattersburg und Mitarbeiterin im Geschichten¬
haus Mattersburg, Hintergasse 70.