„kleinen“ Dingen. Und nennt Namen: „Da z.
B. gab es den Botaniker Bouvier, der, ich darf es
ruhig sagen, von seinen Fache so viel verstanden
hat, als ich vom Innenleben der Hottentotten.
Und dann die Herren Webinger, Vodopiutz
und wie alle diese Kreaturen des Herrenvolkes
geheißen haben. Sie alle schürten Hass.“(Vor
1938) Oder nach dem „Anschluss“ auch solches:
„Der im Vorraum befindliche Polizist kam auf
mich zu und (...) sagte mir, er war heute in
der Kirche und eine Stimme rief ihm zu: Hilf
den Unglücklichen. Ach, ich möchte Euch so
gerne helfen, aber ich bin machtlos. Aber Sie,
Herr Landesrabbiner, der Sie so abgeklärt und
so ruhig Ihr Schicksal tragen, helfen Sie diesen
unglücklichen Menschen. Und was mich an¬
belangt, werde ich trachten, so bald als möglich
von hier zu verschwinden.“ (Leider in diesem
Karl Pfeifer wuchs zusammen mit seinem 15
Jahre älteren Bruder Erwin in Baden bei Wien
auf. Sein Vater vertrat als Reisender den Wissen¬
schaftsverlag Springer in der Tschechoslowakei
und in den Balkanländern. Da die Familie des
Vaters aus Ungarn stammte, beschlossen die
Pfeifers 1938 die Flucht in dieses Land. Karl
kam in ein jüdisches Internat in Debrecen
und trat später der jüdischen Jugendbewegung
Schomer Hazair bei. 1942 erlaubte die ungari¬
sche Regierung die Ausreise von 50 jüdischen
Jugendlichen, unter ihnen Karl Pfeifer, nach
Palästina. Seinen Vater sah er beim Abschied
am Bahnhof zum letzten Mal; die Mutter war
schon 1940 an Krebs gestorben. In Haifa sah
„Galizien. Peripherie der Moderne — Moderne
der Peripherie?“ — unter diesem Titel fand im
November 2011 in der Aula des Campus der
Universität Wien eine Konferenz des Doktorats¬
kollegiums Galizien statt. Gleich dem alten All¬
gemeinen Krankenhaus, dem heutigen Campus,
wurde auch das Kronland Galizien von Joseph
II. „erfunden“. Galizien ist nicht nur nach wie
vor ein grofses Thema fiir geistes-, literatur- und
kulturwissenschaftliche Forschungen, sondern
auch Ort der Projektionen und Reminiszenzen
für die vielen Galizien- und Bukowina-Affinen
unter uns.
Nun liegt der Bericht der Tagung vor, die vom
Doktoratskolleg „Das österreichische Galizien
und sein multikulturelles Erbe“ veranstaltet
wurde. Das Doktoratskolleg befasst sich „mit
den interdependenten Kulturen, Literaturen,
Sprachen, Religionen, Ökonomien, ethnischen
und sozialen Gruppen des österreichischen
Kronlandes Galizien und Lodomerien von
Fall ohne Namensangabe.) Historisch bedeut¬
sam sind nicht zuletzt auch Herzogs präzise
Schilderungen seiner Verhaftung im März 1938,
das Quälen und Foltern im Polizeigefängnis am
Paulustor (dort u.a. gemeinsam mit dem No¬
belpreisträger Otto Loewi), sowie des Pogroms
im November in seiner besonders bestialischen
Grazer Variante.
„Wie bei CLIO-Publikationen dankenswerter¬
weise üblich“, so Helene Belndorfer vor einem
Jahr an dieser Stelle über ein anderes CLIO¬
Buch, wird Herzogs Text begleitet nicht nur von
einer von Gerald Lamprecht verfassten kurzen
Biographie des Autors, sondern vor allem von
einem akribisch recherchierten editorischen An¬
hang aus der Feder des CLIO-Leiters Heimo
Halbrainer, in dem alle (!) im Text genann¬
ten Personen (,,Verfolgte Juden, Helfer und
Karl nach acht Jahren endlich wieder seinen Bru¬
der Erwin wieder, der beim britischen Militar
diente. Pfeifer kam in die Kibbuzim Maabarot
und Schaar Haamakim, wo er eine moderne
säkular-jüdische Erziehung erhielt. Im Alter
von 18 Jahren trat er 1946 dem paramilitä¬
rischen Palmach bei, der an der Seite der Alli¬
ierten kämpfte. Er nahm auch am israelischen
Unabhängigkeitskrieg teil, entschloss sich aber
danach zu einer Ausbildung in Europa. Ver¬
wandte in Zürich finanzierten ihm den Eintritt
in die Hotelfachschule in Luzern. Nach deren
Abschluss kehrte er nach Österreich zurück.
Die bitteren Erfahrungen bei seiner Rückkehr
beschrieb der Autor in knapper Form bereits
seiner Inkorporation in das Habsburger Reich
im Jahre 1772 bis zum Jahre 1918 und mit
dem multikulturellen Erbe Galiziens in Polen,
der Ukraine und Österreich sowie in der Emi¬
gration bis zur Gegenwart.“ Eine einzigartige
Initiative, nennt es Alois Woldan vom Institut
für Slawistik der Universität Wien, das neben
den Instituten der Germanistik, Geschichte
und Politikwissenschaft an diesem Programm
teilnimmt. Der transdisziplinäre Zugang setze
auf methodologische Innovationen und sensib¬
lisiere für neue Herangehensweisen. Zu danken
sei den Förderern, dem österreichischen Fonds
für wissenschaftliche Forschung und der Uni¬
versität Wien.
Die DissertantInnen des Doktoratskollegs ha¬
ben in Berlin, Budapest, Frankfurt an der Oder,
Kiew, Ivano-Frankivsk, Lviv/Lemberg, Moskau,
Paris, Passau, Prag, St. Petersburg, Warschau
und Wien Germanistik, Geschichte, Kultur¬
wissenschaften, Politik, Romanistik, Slawistik,
Antisemiten“), ob aus der Grazer oder Londoner
Zeit des Rabbiners, vorgestellt und manchmal
auch ihr tragischer oder schändlicher Lebensweg
in knappen Worten nachgezeichnet werden.
Auch werden Verwechslungen korrigiert oder
Namen genannt, die dem Autor im englischen
Exil entfallen waren. Kurz: Ein jahrzehntelang
unerwünschtes Buch ist endlich verfügbar. Es
sollte (zumindest in der Steiermark) nicht nur
in jeder Schulbibliothek stehen, sondern auch
im Unterricht verwendet werden. Der Gele¬
genheiten gäbe es genug.
Karl Wimmler
Meine Lebenswege. Die persönlichen Aufzeichnun¬
gen des Grazer Rabbiners David Herzog. Hg. von
Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht, Andreas
Schweiger. Graz: CLIO 2013. Euro 25,¬
1996 im ersten Abschnitt seines Buches „Nicht
immer ganz bequem“. Seine nun publizierten
Jugenderinnerungen brechen an dieser Stelle ab.
Ein Rückblick auf seinen weiteren Lebensweg,
der ihn 1979 als Chefredakteur der „Gemeinde“,
des offiziellen Organs der Wiener Israelitischen
Kultusgemeinde, schließlich in den jüdischen
Journalismus führte, in einem Fortsetzungsband
ware sehr erwiinscht.
Karl Pfeifer: Einmal Palästina und zurück. Ein
jüdischer Lebensweg. Mit einem Nachwort von
György Dalos. Wien: Edition Steinbauer 2013.
173 S. Eu 22,50
Soziologie, Sozialanthropologie, Vergleichende
Literaturwissenschaften und Wirtschaft studiert
und nähern sich - programmgemäß — dem The¬
ma aus ganz verschiedenen Richtungen. Ihre
Beiträge wurden zu vier Gruppen zusammenge¬
fasst - Galizien in Diskursen über die Moderne,
Galizien im Zeichen der Modernisierung, Ga¬
lizien —- Kaleidoskop moderner Ideologien und
Identitätskrisen sowie Galizien als postmoderner
Erinnerungsraum.
Einführende Überlegungen zu den Begriffen
Moderne und Peripherie stellt Moritz Csäky,
Obmann des Literatur- und Kulturwissenschaft¬
lichen Komitees der ÖAW, an, der sich in Publi¬
kationen bereits mehrfach mit kollektiven Iden¬
titäten in Zentraleuropa - er bevorzuge, so sagte
er in seiner Präsentation, dieses „unbelastete“
Wort gegenüber „Mitteleuropa“ - auseinander¬
gesetzt hat. Die dargestellten Mehrdeutigkeiten
der beiden Tagungswegweiser finden sich in den
gut gegliederten Beiträgen wieder. Sie zeichnen