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Editorial

De mortuis nihil nisi bene. Dennoch: Durch den Tod des be¬
rühmten österreichischen Architekten Hans Hollein und die ihm
gewidmeten Nachrufe wurde ich auf ein Architektur-Manifest Hans
Holleins und Walter Pichlers aus dem Jahre 1963 aufmerksam.
Darin hieß es u.a.:

Architektur ist elementar, sinnlich, primitiv, brutal, schrecklich, ge¬
waltig, herrschend.

Sie ist aber auch Verkörperung subtilster Emotionen, sensitive Auf¬
zeichnung feinster Erregungen, Materialisation des Spirituellen.

Architektur ist nicht Befriedigung der Bedürfnisse der Mittelmäßigen,
ist nicht Umgebung für kleinliches Glück der Massen. Architektur
wird gemacht von denen, die auf der höchsten Stufe der Kultur und
Zivilisation, an der Spitze der Entwicklung ihrer Epoche stehen. Ar¬
chitektur ist eine Angelegenheit der Eliten.

In der Tageszeitung „Die Presse“ (25.4.2014, S. 23) kommen¬
tierte die Kunstkritikerin Almuth Spiegler dieses Manifest mit den
Worten: „Was zählte, als die Menschen die Kriegstraumata hinter
sich zu lassen versuchten und in Richtung Weltall aufbrachen, war
die Utopie.“ Dieser Satz vernebelt die Konturen und erzählt eine
nette kleine Geschichte von der Nachkriegszeit, die so unschuldig
nie war. Die elitäre Verachtung des „kleinlichen Glücks der Massen“
ist jedoch das Gegenteil einer Utopie, schlimmer noch, eine im
Gestus der Radikalität sich bergende jämmerliche Befangenheit
in einer Gedankenwelt, in der die Einteilung der Menschheit in
Herren- und Sklavenvölker für möglich und nötig gehalten wurde.
Unfreiwillig komisch ist in diesem Zusammenhang der erste Satz
des Manifests, der völlig auf der Linie der zwischen 1930 und 1960
vorherrschenden ästhetischen Anschauungen liegt:

Architektur ist eine geistige Ordnung, verwirklicht durch Bauen.

Der Architekt wäre demnach Verkünder und Deuter einer höhe¬
ren, einer geistigen Ordnung, ähnlich dem damals vielbeschworenen
Vates, dem Dichter und Seher. Zitieren wir Vergleichbares — wie
nämlich der Barde des austrofaschistischen Ständestaates, Rudolf
Henz, 1946 die Situation erklärte:

Wir sind ... aus der vollendeten Desorientierung ... in eine klarere
Organisation eingetreten, wohl nicht in der materiellen und politischen,
doch in der geistigen Welt.

Vor vielen Jahren besaß ich eine Broschüre, in der die Heldentaten
der deutschen Kriegsflotte in der letztlich verlorenen Seeschlacht
von Skagerrak (Mai 1916) geschildert wurden - ein illustriertes
Epos von Schlachtschiffen und Kreuzern, die wie antike Helden
dem Kampfsich stellten und untergingen. Mir kam oft vor, Hollein
miisse die gleiche Broschiire mit Andacht studiert haben, denn
die runden Ausbuchtungen, die Erker seiner Bauten erinnerten
mich fatal an die Geschiitztiirme der Schlachtschiffe, die ihm fast
zur Manier gewordenen Flugdächer an Maschinengewehr- oder
Luftabwehrstellungen, die gegen den Einschlag von Mörsergranaten
und Fliegerbomben geschützt sein sollten. Da durften auch die
Bullaugen nicht fehlen. Wie immer — ich will keine neue Fach¬
sprache der Architektur einführen, in der dann Flugdächer Flie¬
gerabwehrstellungen genannt werden, sondern bloß die für mich
zwingenden Assoziationen (meine Zwangsvorstellungen, wenn
man so will) an Formen, die die Kriegsführung hervorgebracht
hat, eingestehen.

4 ZWISCHENWELT

Ganz neu ist das ja nicht. Schon die Futuristen nahmen in ihrem
Manifest an der damals modernen Kriegsführung Maß für ihre
neue Kunst. Die Vorstellung von äußerster Wirksamkeit — „brutal,
schrecklich, gewaltig, hertschend“ - ging einher mit einem forcier¬
ten Antihumanismus. Dieser Antihumanismus, der leider keine
exklusive Spezialität Marinettis war, hatte seine Wurzeln einesteils
in einem zunehmenden Gefühl bedrückender Ohnmacht in der
Gestaltung sozialer Beziehungen, andernteils in der solche Ohn¬
macht ergänzenden und kompensierenden Identifikation mit den
aggressiven kolonialistischen und imperialistischen Tendenzen der
Epoche. Ein Fortschritt und in bestimmten historischen Zeiten
auch eine Utopie war und ist hingegen das, was der Historiker
Gerald Stourzh unlängst, recht vorsichtig zwar, angesprochen hat:

Der Abbau von Sozial- und Rechtsordnungen mit abgestufter Rechts¬
fähigkeit, die Entwicklung von Sozial- und Rechtsordnungen auf der
Basis gleicher Bürgerrechte und grundsätzlich gleicher Rechtsfähigkeit
fir alle Menschen einschließlich der Ausländer ... — all das betrachte
ich ... als Fortschritt insoferne, als diese Entwicklungen geeignet waren,
vielen Menschen ein weniger angstvolles, weniger verbittertes Leben
zu ermöglichen.

Mag sein, Walter Pichler und Hans Hollein haben sich in ih¬
rer weiteren Entwicklung an die Spitze von ihren früheren, allzu
zeitgebundenen Anschauungen gelöst. Und ungerecht scheint es
zudem, jungen Künstlern, die seinerzeit Kunstgeschichte und nicht
Weltgeschichte machen wollten, ein Bewußtsein des Geschehenen
aufzulasten. Es geht nicht um die Personen. Ich möchte nur die
Vorstellung infrage stellen, daß das Streben nach einer besseren und
gerechteren Welt in der künstlerischen Avantgarde einen geradezu
natürlichen, auf Veränderung und Erneuerung drängenden Bünd¬
nispartner besitzt. Und den Begriff der Utopie in Schutz nehmen.
Und anregen, etwas kritischer und genauer über die Nachkriegs¬
geschichte nachzudenken.

Konstantin Kaiser

Theodor Kramer Gesellschaft sucht
dringend neue Lagermöglichkeiten

Der archivalische und publizistische Eifer der letzten Jahre war
nicht nur geistig fordernd, er brachte auch eine Erschöpfung
unserer Lagerkapazitäten mit sich.

Die letzten freien Regale werden schon in den nächsten Monaten
ihre Last finden.

Wir suchen also relativ dringend günstige, trockene Lagerräume,
idealerweise in einem Erdgeschoss und in der Nähe unserer
Heimatbasis, 1020 Wien, Engerthstr. 204.

Vielleicht hat ja jemand unserer Leser einen Leerstand oder kann
etwas Entsprechendes vermitteln?