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Preisträgerin unermüdlich publiziert, sie arbeitet weiter. Sie hat,
noch unpubliziert, Aufsätze jüdischer Kinder, die den Horror der
Deportationen von Czernowitz nach Transnistrien überlebt haben,
und die von einem ganz bedeutenden Mann, Hersch Segal, dem
Mathematiklehrer Margits, der nach Palästina fliehen konnte,
gesammelt wurden, aus dem Jiddischen ins Deutsche übersetzt.
Und ein weiterer Band, „Selma und Margit“ über ihre Freund¬
schaft mit der 18jährig in einem deutschen Lager verstorbenen
Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger, steht vor der Publikation.

Ein großer Reiz von Margit Bartfelds Werken liegt darin, dass
sie nicht aus einer vergangenen Welt berichtet, sondern aus zwei
untergegangenen Welten, die verschiedener nicht sein könnten.
Da ist einerseits die jüdisch-bürgerliche Welt von Czernowitz in
der Zwischenkriegszeit, zwar unter rumänischer Herrschaft ein¬
schließlich nationalistischer und antisemitischer Komponenten,
aber doch durch die deutschsprachige Assimilation noch vielfach
altösterreichisch geprägt; auch Margits Vater hatte in der k.u.k.
Armee gedient. Dank eines harmonischen Familienlebens und
in ein Netz guter Freundschaften eingebunden, gibt uns Margit
Bartfeld-Feller Berichte einer glücklichen und friedlichen Kindheit
und Jugend in einer seither restlos zerstörten Welt. Die zweite
untergegangene Welt ist jene des Sowjetsystems, Berichte des
Lebens — und Sterbens in der sibirischen Verbannung, der Willkür
der sowjetischen Kommandanten und Funktionäre ausgeliefert,
in einem paranoiden System immer wieder Verdächtigungen und
zusätzlich auch antisemitischen Äußerungen ausgesetzt.

Zwei Merkmale von Margits schriftstellerischem Werk möchte
ich besonders hervorheben.Sie ist eine großartige Geschichten¬
erzählerin. Margit Sprachduktus ist einfach, unpathetisch. Die
Authentizität ihrer Erzählungen nimmt den Leser gefangen und
ist wohl der Schlüssel zu ihrem großen Leseerfolg. Ihr Werk prä¬
sentiert sich als ein wunderbares Mosaik von vielen, vielen Ge¬
schichten, in denen sich die Schilderung der Menschenschicksale
mit genauer Beschreibung der umgebenden Natur verbindet,
zumal in den Erzählungen aus Sibirien. Die dunklen Gewässer
des Flusses Wasjugan haben Margit magisch angezogen. Der
Fluß war Schauplatz erfolgloser Fluchtversuche und erfolgreicher
Fluchten und Rettungen, er war durch fast anderthalb Jahrzehnte
buchstäblich der Schicksalsfluß Margits und ihrer Familie.

Ein zweites Merkmal ist Margit Bartfelds enges Verhältnis zur
lyrischen Dichtung. Zwei Rilke-Bändchen aus dem Inselverlag,
die sie in Sibirien von einem jungen Mit-Deportierten bekam.
Die beiden Bändchen, ich zitiere, „trug ich auch bei schwerer
physischer Arbeit immer in meiner Hosentasche mit mir.“ Ge¬
dichte oder Gedichtzeilen unterbrechen immer wieder ihre Texte.
Rilke, Hilde Domin, Rose Ausländer, die in Israel in deutscher
Sprache dichtende Hanna Blitzer wären zu nennen, aber auch
der im Czernowitzer Ghetto verstorbene David Goldfeld oder
der Jiddissche Kindergedichte schreibende Elieser Steinbarg. Ihr
großer Einsatz für die schon genannte Selma Meerbaum-Eisinger
ist bekannt.

In Margit Bartfeld-Fellers Werk spiegelt sich ihre Persönlichkeit.
Zwei herausragende Eigenschaften möchte ich nennen. Zuerst:
die Abwesenheit von Bitterkeit und Haß. „Dennoch Mensch
geblieben“, die drei Titelworte ihres ersten Buches, fassen ihre
Persönlichkeit, begabt für Freundschaft und Hilfsbereitschaft, zu¬
sammen. Und ein Zweites: Margit Bartfeld hat alles getan, um die
Namen ihrer in Sibirien umgekommen Landsleute dem Vergessen
zu entreißen, in ihren Werken, aber auch in eigenen Namenslisten,
die sie veröffentlicht hat. Sie hat damit vielen umgekommenen

6 _ ZWISCHENWELT

Landsleuten ihre Namen wiedergegeben. Wenn beim Propheten
Jesaja das Gotteswort „Bei Deinem Namen habe ich Dich geru¬
fen“ überliefert ist, so kann auch als irdisches Motto über Margit
Bartfeld-Fellers Erinnerungswerk stehen: „Bei ihrem Namen habe
ich sie gerufen.“ Und wenn in den Statuten des Theodor Kramer
Preises festgehalten wird, „dass nicht die literarische Qualität
allein, sondern darüber hinaus die Haltung und das Schicksal
der Preisträgerin oder des Preisträgers“ gewürdigt werden soll,
dann trifft dies auf Margit Bartfeld-Feller in jeder Hinsicht zu.

Gerald Stourzh, Univ.-Prof.emer., geb. 1929 in Wien, Histori¬
ker, veröffentlichte zuletzt „Spuren einer intellekteullen Reise. Drei
Essays“ (Wien u.a, 2009) und „Der Umfang der österreichischen
Geschichte. Ausgewählte Studien 1990-2010“ (Wien 2011). —
2008 gab er eine Sammlung der Aufsätze seines Vaters Herbert
Stourzh heraus („Gegen den Strom. Ausgewählte Schriften gegen
Rassismus, Faschismus und Nationalsozialismus 1924-1938“).

Berndorfistr. 4

50968 Köln, 1. Februar 2014
Tel.: (0221) 3761810

Fax: (0221) 386186

Dr.phil.he. Ralph Giordano

Liebe Anita,

Endlich komme ich dazu, Deine Sendung vom Vor¬
jahr zu beantworten - „Zwischenwelt“, die Kom¬
mentare zum Lebensweg Deiner Mutter, den Theo¬
dor Kramer Preis 2013 samt Laudatio und die CD
„Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Euro¬
pas“ - welch ein produktives Leben, welche Uner¬
müdlichkeit. Ich habe mich in dieWerke von Margit
richtig eingelebt, sie gehören zu meinem Leben und
ich gratuliere ihr von ganzem Herzen für die gewal¬
tige Arbeit, die sie geleistet hat - Chernowitz müßte
ihr ein Denkmal setzen! Deine Mutter ist die Seele
dieser Kultur. Unter den Lebenden hat sich niemand
verdienter um sie gemacht als Margit Bartfeld¬
Feller.

- Sag ihr das, teil es ihr mit und umarme sie von

mir. Ganz herzlich und immer neugierig auf sie

Der, bu “Uy