Erich Hackl
Die leise Laute
Zur Erinnerung an Friedl Hofbauer (1924 — 2014)
Starten wir, um an die Schriftstellerin Friedl Hofbauer zu erin¬
nern, mit drei Fremdgedichten. Das erste stammt von Gerhard
Schoenberner, dem Berliner Schriftsteller und Publizisten, der
vor ihr verstorben ist, im Dezember 2012, und geht so:
Die Toten brauchen dich nicht
Sei freundlich zu den Lebenden
Verschieb nichts auf morgen
Das zweite von der polnischen Nobelpreisträgerin Wislawa Szym¬
borska, die wegen ihrer heiter grundierten, menschenfreundlichen
Lyrik glatt als Hofbauers Zwillingsschwester durchgehen könnte.
Es trägt den Titel „Die drei seltsamsten Worte“:
Sage ich das Wort Zukunft,
verabschiedet die erste Silbe sich schon in die Vergangenheit.
Sage ich das Wort Stille,
Sage ich das Wort Nichts,
bilde ich etwas, das pafst in kein Nichtsein.
Das dritte Gedicht hat der baskische Schriftsteller Bernardo Art¬
xaga verfaßt, der — wie Friedl Hofbauer — fiir Kinder wie für
Erwachsene schreibt. Es heißt Adan eta bizita, wörtlich „Adam
und Lebensfreude“, in der vom Autor selbst angefertigen spani¬
schen Übersetzung „Das Leben nach Adam“, und handelt davon,
wie Adam im ersten Winter nach seinem und Evas Weggang aus
dem Paradies an Grippe erkrankt und seiner Gefährtin, die er
nicht mit ihrem Namen, sondern mit einem Kosewort anspricht,
erschrocken die Krankheitssymptome benennt, Husten, Fieber,
Kopfweh, dazu noch die Wörter Liebling, Angst und Tod erfindet.
Das waren, schreibt Atxaga, nur die ersten Vokabeln einer neuen,
nicht mehr dem Paradiesischen verpflichteten Sprache — weitere
Begriffe kamen hinzu: Erschöpfung, Schweiß, Gelächter, Gesang,
Zärtlichkeit, Kerker, „und je mehr es wurden, umso faltiger und
voll Runzeln wurden ihre Körper“.
Der Tod, der wirkliche, ereilte Adam, als er schon sehr alt war,
und davor wollte er Eva mitteilen, was er gelernt hatte, seine letzte
Wahrheit.
„Weißt du“, sagte er zu ihr, „die Vertreibung aus dem Paradies war
eigentlich kein
Unglück.
Trotz der Mühsal, trotz des Malheurs mit dem armen Abel, trotz
aller anderen Konflikte
haben wir erfahren, was man gut und gern als Leben bezeichnen
kann.“
Dann starb er, Atxaga zufolge, und auf sein Grab fielen Tränen
aus Wasser und Salz — die meisten vergoß, paradoxerweise, sein
Sohn Kain —, und Eva erinnerte sich voll Rührung daran, wie
sehr Adam bei seiner ersten Grippe erschrocken war, „und alle
beruhigten sich und gingen heim und tranken einen Schluck und
verspeisten einen Krapfen“.
Schoenbergers mahnende, Szymborskas biindige, Atxagas die
Schöpfungsgeschichte bereichernde Verse könnten auch von Friedl
Hofbauer stammen, sind ihren genialen literarischen Einfällen
jedenfalls wesensverwandt. Deshalb hätte ich sie gern vorgelesen
oder nacherzählt, ihr, die ein Gedicht „Aus dem Jahre Schnee“
mit dem Satz begonnen hat:
Ich hab mich unterfangen
zu fragen, was Leben ist.
ein anderes, aus der Warte eines philosophierenden Goldhamsters,
mit tierischer Zuversicht enden ließ:
Voll Abwechslung, so mein ich, ist das Leben.
Man muß nur Ordnung halten und nicht Ruhe geben.
und im „Liebeslied“ für ihren ersten Ehepartner Kurt Mellach,
den Journalisten und ehemaligen Buchenwald-Häftling, geschrie¬
ben hat:
Tod, sei scheu
ein Kuß kann dich töten.
Duck dich, Tod,
bis das Gewitter der Küsse
vorbei ist.
Bei meinem letzten Besuch, an einem heißen Sommertag in der
nach einer blinden Pianistin benannten Wiener Paradisgasse, die
sie in zwei anrührenden Gedichten zur Paradiesgasse geadelt hatte,
sagte Friedl Hofbauer zu mir: „Ich bin eine leise Laute. Aber ich
bilde mir darauf nichts ein.“
Es fällt mir schwer, meine Dankbarkeit angemessen mitzuteilen.
Dafür, daß ich sie kennenlernen durfte, und dafür, daß sie geschrie¬
ben hat, was in der Verbindung von Zärtlichkeit, Übermut und
Verstand in der österreichischen, sogar in der Universalliteratur der
letzten neunzig Jahre einzigartig ist. Karl-Markus Gauß‘ Stoßseuf¬
zer: Ach, herrschte doch wenigstens in der Literaturgeschichte jene
Gerechtigkeit, deren wir schon sonst im Leben bitterlich genug
entraten müssen, könnte auch auf Friedl Hofbauer gemünzt sein,
denn es ist ein Elend, daß ihr umfangreiches Werk im öffentlichen
Bewußtsein nur eine allzu zarte Spur hinterlassen hat. Dabei sind
Generationen von Kindern von Hofbauer aufs beste unterhalten,
zum Lesen verführt, dazu noch unaufdringlich belehrt und in
ihrem Glücksverlangen bestärkt worden.
Der Aufschwung der österreichischen Kinderliteratur ab den
frühen fünfziger Jahren verdankte sich der antifaschistischen Troika
Mira Lobe, Vera Ferra-Mikura und Friedl Hofbauer. Lobe, als
Hilde Mirjam Rosenthal 1913 in Görlitz geboren, war 1936
nach Palästina geflüchtet, wo sie den Schauspieler und Regisseur
Friedrich Lobe heiratete. 1951 ließ sich das Ehepaar in Wien