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Jahre veröffentlichen, sowie 1936/37 einen Zeitungsabdruck ihres mutmaßlich letzten Romans im „Wiener Tag“ erreichen, eines Angestellten-Romans mit dem Titel Junge Bürokraft übernimmt auch andere Arbeit. Trotz ihrer beachtlichen schriftstellerischen Leistungen und Erfolge in der Zwischenkriegszeit konnte sich Lili Grün, die 1942 im Alter von nur 38 Jahren durch die Nationalsozialisten gewaltsam zu Tode kam, mit ihrem Werk dennoch nicht dauerhaft im kulturellen Gedächtnis verankern: Bezogen auf die deutschsprachige Literaturgeschichtsschreibung zählt sie zu den heute weitgehend unbekannten Schriftstellerinnen. Dass Lili Grün nicht gänzlich „vergessen“ ist, „rom Erdboden weggewischt, als hätte es sie nie gegeben“, ist vermutlich Hilde Spiel zu verdanken, welche in ihrem 1976 publizierten literaturgeschichtlichen Grundlagenwerk Die zeitgenössische Literatur Österreichs zwar kurz nur, aber explizit auf die einstige Schriftstellerkollegin und zeitweilige Weggefährtin hinwies. Mit Blick auf „Die österreichische Literatur nach 1945“ beklagte Spiel die auf ein rasches Vergessen drängende unmittelbare Nachkriegszeit und erinnerte an die Verfolgung, Vertreibung und Ermordung zahlreicher ihrer schreibenden ZeitgenossInnen während der dunklen Jahre der NS-Okkupation Österreichs — darunter auch Lili Grün.’ Dessen ungeachtet fanden längere, gleichwohl äußerst lückenhafte Lexikon-Einträge zu Leben und Werk Lili Grüns nachfolgend nur selten und vor allem erst nahezu zwanzig Jahre später Eingang in die einschlägigen bio-bibliographischen Nachschlagewerke zur deutschsprachigen Literatur: Einen ersten ausführlicheren Eintrag, auf den danach erschienene Literatur-Lexika meist rekurrierten, enthält das 1995 von den Berliner Literaturwissenschaftlerinnen Petra Budke und Jutta Schulze verfasste Nachschlagewerk Schriftstellerinnen in Berlin 1871 bis 1945°, 2000 folgte ein Abriss zu Leben und Werk Lili Grüns im Lexikon der österreichischen Exilliteratur, publiziert von den Wiener ExilforscherInnen Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser.’ Da von Lili Grün zudem kein persönlicher Nachlass überliefert ist - ihre letzte Habe wurde vermutlich spätestens mit ihrer Deportation aus Wien 1942 vernichtet —, sich lediglich ihre schmale Geschäftskorrespondenz mit dem Paul Zsolnay Verlag im Österreichischen Literaturarchiv in Wien erhalten hat, gestaltet sich die von mir verfolgte Rekonstruktion ihrer Lebensgeschichte und ihres Werks heute als schwierige, geradezu detektivische Herausforderung. Lili Grün, geboren am 3. Februar 1904 als Elisabeth Grün in Wien, wuchs als jüngstes von vier Kindern des aus Ungarn stammenden Kaufmanns Hermann (Ärmin) Grün und seiner Wiener Frau Regine (Regina) im heutigen 15. Gemeindebezirk RudolfsheimFünfhaus auf, einem seit der Gründerzeit vorwiegend proletarisch bis kleinbürgerlich geprägten ehemaligen Vorstadtbezirk. Bereits in jungen Jahren verlor Grün ihre Eltern: Als sie elf Jahre alt war, starb ihre Mutter überraschend an einem Hirnschlag; ihr Vater erlag einem während seines Kriegsdiensts zugezogenen chronischen Nierenleiden, als sie 17 war. Vor allem der Tod der geliebten Mutter markierte das abrupte Ende der bis dahin wohl recht behüteten, unbeschwerten Kindheit Lili Grüns. Den vermutlich als traumatisch erlebten Verlust suchte sie später wiederholt literarisch zu verarbeiten, indem sie die Protagonistinnen ihrer autobiographisch gefärbten Romane stets als Halb- oder Vollwaise zeigte, die ihrer plötzlich mutter- und damit lieblos gewordenen Kinderwelt beständig hinterhertrauern. Die nun elternlose, noch minderjährige Lili Grün wurde alsdann unter Vormundschaft gestellt. Obwohl ihre eigentliche Liebe von Kind an dem Theater galt, absolvierte die junge Grün nach Abschluss der Volks- und Bürgerschule zunächst eine kaufmännische Ausbildung zur Kontoristin als soliden, aber leidigen ‚Brotberuf‘. Vor allem ihr 1935 erschienener Backstage-Roman Loni in der Kleinstadt, in dem Lili Grün launig und flott die turbulenten Anfänge einer angehenden Schauspielerin vor und hinter den Kulissen einer kleinstädtischen Bühne schildert, legt nahe, dass sie die aufregende, bunte Welt des Theaters vermutlich als tröst lichen Fluchtpunkt aus dem sie bedrückenden einsamen und tristen Dasein ihrer Kindheit und Jugend erlebte. Um ihren Traum von einer Karriere als Schauspielerin doch einmal realisieren zu können, spielte die theaterbegeisterte Grün neben ihrer Tätigkeit als Kontoristin beständig kleine Rollen an Wiener Bühnen und nahm wohl auch privaten Schauspielunterricht bei einem älteren und erfahrenen Schauspieler. Möglicherweise debütierte sie sogar, wie in Loni in der Kleinstadt dargestellt, über ein Anfängerinnenoder Gastspiel-Engagement an einem der damals zahlreichen deutschsprachigen Theater in der tschechischen Provinz. In den 1920er Jahren schließlich spielte sie im „Roten Wien“ an der neugegründeten Bühne der Sozialistischen Arbeiterjugend. Wie sehr sich Lili Grün damals den - ihr offenbar versagt gebliebenen — Durchbruch zum großen Star gewünscht haben mag, machen ihre autobiographisch inspirierten kleinen Bühnen-Geschichten, beispielweise die 1933 im „Wiener Tag“ publizierte anekdotische Erzählung „Die Tränen der Kollegin“, deutlich. Vergeblich hofft hier eine angehende Jungschauspielerin, ihr enormes, aber noch immer „im Verborgenen“ blühendes Talent werde endlich vom Regisseur entdeckt und gefördert werden; doch: „Zwischen ihr und diesen großen Rollen steht die unübersteigbare Chinesische Mauer, die noch kein Anfänger ohne Protektion, Zufall und Glück durchbrochen hat.“ Ende der 1920er Jahre verließ Lili Grün ihre Heimatstadt Wien, da sie sich von der glitzernden Kulturmetropole Berlin mit ihrer Vielzahl an Theatern, Kleinkunstbühnen, Rundfunk- und Filmstudios bessere Arbeitsmöglichkeiten für sich als Schauspielerin versprach. Da die erhofften Angebote von Theater und Film jedoch ausblieben, arbeitete sie zeitweise als Verkäuferin und Küchenhilfe. Als sie mit der umtriebigen Berliner Künstler- und KreativenSzene jener Zeit in Berührung kam, schloss sie sich im Frühjahr 1931 mit einigen ihrer KünstlerfreundInnen, darunter Julian Arendt, Ernst Busch, Hanns Eisler, Annemarie Hase, Erik Ode und Erwin Straus, im ambitionierten linkspolitisch-literarischen Kabarett-Kollektiv „Die Brücke“ zusammen. Für die KabarettBühne, so für „Die Brücke“, waren auch einige ihrer charmanten, frechen Gedichte und kleinen, bissig-anekdotischen Geschichten geschrieben, die Grün Ende der 1920er Jahre in Zeitungen und Zeitschriften wie „Berliner Tageblatt“, „Jugend“ oder „Prager Mai 2014 41