OCR
mich zu dem tapfer vor sich hin trinkenden und vertraulich zum Standesbesitzer sprechenden Mann zu gesellen. Solche Würstelstände schmücken ihre Kunden, dachte ich, doch warum sollte ich mich schmücken. Und ich wollte auch weniger von diesem Mann erfahren, als feststellen, dass er offensichtlich tapfer vor sich hin trinkt und bisweilen vertraulich zu sprechen anfängt. Nach wenigen Schritten blieb ich erneut stehen, ein paar Tauben irrten am Gehsteig umher. Ich beugte mich zu ihnen herab, versuchte ihnen ins Gesicht zu blicken und erinnerte mich an den Begriff „Luftratte“. Ich scheuchte sie auf wie ein spiellustiges Kind. Sie landeten bald wieder. Die sind mir ganz recht hier anzutreffen, dachte ich, und sprang noch einmal mit voller Wucht vor sie hin, sodass sie sich wieder erheben mussten. Fin Wartender auf einer Bank sah zu mir auf. Er schleckte seinen Finger ab, der dafür bestimmt war, die nächste Zeitungsseite umzublättern. Ich hielt mir die Hand mit der Innenfläche schützend an die Stirn. Sein Blick meinte, was mir einfiele, hierher zu springen, was mir überhaupt einfiele, nicht zu Hause zu bleiben. Meine Hand auf der Stirn sagte, das hätte ich mir in den Kopf gesetzt, nicht zu Hause zu bleiben, das hätte ich auch nicht mehr aus dem Kopf bekommen, blitzartig in die unermüdlich den Boden absuchende Taubengruppe zu springen. Ich pfiff leise aus, doch erreichte den wartenden Mann nicht. Der Pfiff sagte, die Unermüdlichkeit der Tauben, ihr Absuchen mache mich krank. Niemals sind diese Tiere ungestört, dachte ich, wieder den Tauben zugewandt, wenn sie sich nicht in der Luft befinden oder irgendwo thronen. Wirklich unermüdlich, murmelte ich, und wieder fuhr eine Straßenbahn in die Richtung, aus der ich gekommen war. An der Haltestelle fanden sich Leute ein, blickten auf ihre Uhren, oder ins Nichts, in das Leben auf der Straße, das sich ihnen bot. Ich las an einer öffentlichen Uhr die Zeit ab, doch es nützte mir nichts. Es nützte mir jegliche Zeigerstellung nichts. Ich hatte in der Wohnung bestenfalls ein Fenster offen gelassen. Vielleicht lag auch ein Kuvert am Boden, das ich entsorgen könnte. Doch danach wäre der Boden wieder leer und die Fenster geschlossen und ich zurück in der ewig selben Luft, der ich jahrelang schon ausgeliefert war. Mein Absagen war nicht gelogen, dachte ich, meine Verhinderung ist wahrhaftig. Alfred Hirschenberger Das Feigenblatt Wer oder was platzierte das Feigenblatt? Lebewesen erhoben einst sich von den vier Beinen, sahen an sich hinab... und sahen sich nackt. Sich schämend wurden sie sich ihrer bewußt. Einher das Ego, mit ihm die Begehrlichkeit. Eine Gewichtung, die die Welt erklärt. Das Desaster ist gesät. Das Zipfelchen Tuch oder eben das Feigenblatt, bestätigt den Austritt aus dem Paradies in die Welt des „Ichs“.! Und sie agieren unter der vorgegebenen Prämisse des Maßnehmens. Ein abstrakter Vorgang, abgehoben von dem der lebenden Materie.? Ein Konstrukt - entsprechend naiv ihr abgelegtes Zeugnis - ein Differenzieren, ein Unterscheiden, von der Natur abgeschieden. Ein zwangsweises Nachgehen von einem angenommenen Mehr und Weniger, einem Mir und Dir. Anschaulich wird dieser Vorgang mit dem Zustandekommen der Perspektive, die sich konträr aus 52 ZWISCHENWELT Sowie ich die Haustüre geöffnet hatte, welche sich nach innen aufmachen lässt, waren die beiden Kinder, ohne mich zu beachten, in den Hof gerannt. In demselben Drang, der mich hinaus beschleunigt hatte, waren sie herein gekommen. In der Sekunde, bevor ich das Haus verlassen hatte, war ich hinter dem Türflügel gestanden, sodass mich kein Hereingehender hätte schen können. Der Platz war ein enges, kühles Versteck gewesen. Ich hatte den Kindern nachgeblickt, wie sie an den Büschen, die ich gepflückt hatte, vorbeigerannt und im Stiegenhaus verschwunden waren. Vor dem Haus hatte ich an meiner Hand den Saft der Blätter gerochen. Ich hatte mir eine dieser Frauen herbeigedacht, die aus dem Fenster gelehnt, in göttlicher Fadesse die Welt beobachten. Wie sie zugesehen hatte: ich mit meiner Hand vor der Nase, vor die Türe hingestellt, sodass mein Schopf die Türe leicht berührte. Die andere Hand hatte ich in die Hüfte gestemmt. Die Bewegung der Kinder war recht verstörend gewesen, verstörend für mich. In einer Quergasse sah ich eine große Baumkrone, die einen Park ankiindigte. In diesem sollte man, an den Baumstamm gelehnt, ein wenig durch diese Baumkrone blinzeln, und wie erholsam solch ein Schatten sein könnte, dachte ich mir. So dachte ich mit erhobenem Bein. Ich stand zur Straßenecke gerichtet, wie ein aufrechtes Dressurpferd, und konnte jederzeit, mit dem nächsten Auftreten des Fußes, meine Richtung bestimmen. Ich entschied entlang der Geleise weiterzugehen. Ich hustete bewusst, um mich meiner Verkühlung zu vergewissern. Da spürte ich meine Beine, ein wenig vertreten, doch das sanfte Abendlicht traf mich im Gesicht. Ich verlangsamte meinen Gang, steckte meine Hände in die Hosentaschen und ergriff den inneren Stoff. Den Gürtel, sagte ich mir, den Gürtel mache ich nun überflüssig. In diesem Moment sah ich nicht ein, irgendwoanders hinzugehen, irgendwohin abzubiegen, ich sah gar nicht ein, irgendeiner anderen Tätigkeit nachzugehen, als mich in die Richtung zu bewegen, aus der ich gekommen war. Thassilo Veit Hazod, geb. 1990 in Wien, begann 2009 das Studium der Geschichte und später das Studium „Sprachkunst“ an der Universität für angewandte Kunst in Wien. der Weite des Gesichtsfeldes ergibt und, erdacht auf ein Blatt, eine künstliche Raumtiefe schafft. Die Habsucht erschloß eine Handhabung, von der Funktion des Gehirns geschaffen, ein Artefakt. Das ist der Austritt aus dem „Paradies“ in die Welt der „Erkenntnis“?! Ein Wechseln von einem Unbewussten in ein unter fraglichen Umständen zustande kommenden Bewußtseins. Und der freie Wille als auch die Logik eingenommen vom „Haben“ legen es aus. Gar so neu ist dieser Gedankengang auch wieder nicht, denn die Altvordern wußten es längst, wenn auch in einer anderen Wortwahl: „Der Mensch denkt, Gott lenkt.“ Ist die Welt nun doch nur eine Reproduktion fraglicher Annahmen, vom Ego geformt, oder läuft die sich ergebende Einheit von Frage und Antwort nicht doch kongruent mit dem Lauf der Natur, ihr entsprechend?