mich zu dem tapfer vor sich hin trinkenden und vertraulich zum
Standesbesitzer sprechenden Mann zu gesellen. Solche Würstel¬
stände schmücken ihre Kunden, dachte ich, doch warum sollte
ich mich schmücken. Und ich wollte auch weniger von diesem
Mann erfahren, als feststellen, dass er offensichtlich tapfer vor
sich hin trinkt und bisweilen vertraulich zu sprechen anfängt.
Nach wenigen Schritten blieb ich erneut stehen, ein paar Tau¬
ben irrten am Gehsteig umher. Ich beugte mich zu ihnen herab,
versuchte ihnen ins Gesicht zu blicken und erinnerte mich an
den Begriff „Luftratte“. Ich scheuchte sie auf wie ein spiellustiges
Kind. Sie landeten bald wieder. Die sind mir ganz recht hier an¬
zutreffen, dachte ich, und sprang noch einmal mit voller Wucht
vor sie hin, sodass sie sich wieder erheben mussten. Fin Wartender
auf einer Bank sah zu mir auf. Er schleckte seinen Finger ab, der
dafür bestimmt war, die nächste Zeitungsseite umzublättern. Ich
hielt mir die Hand mit der Innenfläche schützend an die Stirn.
Sein Blick meinte, was mir einfiele, hierher zu springen, was mir
überhaupt einfiele, nicht zu Hause zu bleiben. Meine Hand auf
der Stirn sagte, das hätte ich mir in den Kopf gesetzt, nicht zu
Hause zu bleiben, das hätte ich auch nicht mehr aus dem Kopf
bekommen, blitzartig in die unermüdlich den Boden absuchende
Taubengruppe zu springen. Ich pfiff leise aus, doch erreichte den
wartenden Mann nicht. Der Pfiff sagte, die Unermüdlichkeit der
Tauben, ihr Absuchen mache mich krank. Niemals sind diese Tiere
ungestört, dachte ich, wieder den Tauben zugewandt, wenn sie
sich nicht in der Luft befinden oder irgendwo thronen. Wirklich
unermüdlich, murmelte ich, und wieder fuhr eine Straßenbahn
in die Richtung, aus der ich gekommen war.
An der Haltestelle fanden sich Leute ein, blickten auf ihre Uhren,
oder ins Nichts, in das Leben auf der Straße, das sich ihnen bot.
Ich las an einer öffentlichen Uhr die Zeit ab, doch es nützte mir
nichts. Es nützte mir jegliche Zeigerstellung nichts. Ich hatte in
der Wohnung bestenfalls ein Fenster offen gelassen. Vielleicht
lag auch ein Kuvert am Boden, das ich entsorgen könnte. Doch
danach wäre der Boden wieder leer und die Fenster geschlossen
und ich zurück in der ewig selben Luft, der ich jahrelang schon
ausgeliefert war. Mein Absagen war nicht gelogen, dachte ich,
meine Verhinderung ist wahrhaftig.
Wer oder was platzierte das Feigenblatt?
Lebewesen erhoben einst sich von den vier Beinen, sahen an
sich hinab... und sahen sich nackt. Sich schämend wurden sie
sich ihrer bewußt. Einher das Ego, mit ihm die Begehrlichkeit.
Eine Gewichtung, die die Welt erklärt. Das Desaster ist gesät.
Das Zipfelchen Tuch oder eben das Feigenblatt, bestätigt den
Austritt aus dem Paradies in die Welt des „Ichs“.!
Und sie agieren unter der vorgegebenen Prämisse des Maßneh¬
mens. Ein abstrakter Vorgang, abgehoben von dem der lebenden
Materie.?
Ein Konstrukt - entsprechend naiv ihr abgelegtes Zeugnis - ein
Differenzieren, ein Unterscheiden, von der Natur abgeschieden.
Ein zwangsweises Nachgehen von einem angenommenen Mehr
und Weniger, einem Mir und Dir. Anschaulich wird dieser Vorgang
mit dem Zustandekommen der Perspektive, die sich konträr aus
Sowie ich die Haustüre geöffnet hatte, welche sich nach innen
aufmachen lässt, waren die beiden Kinder, ohne mich zu beach¬
ten, in den Hof gerannt. In demselben Drang, der mich hinaus
beschleunigt hatte, waren sie herein gekommen. In der Sekunde,
bevor ich das Haus verlassen hatte, war ich hinter dem Türflügel
gestanden, sodass mich kein Hereingehender hätte schen können.
Der Platz war ein enges, kühles Versteck gewesen. Ich hatte den
Kindern nachgeblickt, wie sie an den Büschen, die ich gepflückt
hatte, vorbeigerannt und im Stiegenhaus verschwunden waren.
Vor dem Haus hatte ich an meiner Hand den Saft der Blätter
gerochen. Ich hatte mir eine dieser Frauen herbeigedacht, die aus
dem Fenster gelehnt, in göttlicher Fadesse die Welt beobachten.
Wie sie zugesehen hatte: ich mit meiner Hand vor der Nase, vor
die Türe hingestellt, sodass mein Schopf die Türe leicht berührte.
Die andere Hand hatte ich in die Hüfte gestemmt. Die Bewegung
der Kinder war recht verstörend gewesen, verstörend für mich.
In einer Quergasse sah ich eine große Baumkrone, die einen Park
ankiindigte. In diesem sollte man, an den Baumstamm gelehnt,
ein wenig durch diese Baumkrone blinzeln, und wie erholsam
solch ein Schatten sein könnte, dachte ich mir. So dachte ich mit
erhobenem Bein. Ich stand zur Straßenecke gerichtet, wie ein
aufrechtes Dressurpferd, und konnte jederzeit, mit dem nächsten
Auftreten des Fußes, meine Richtung bestimmen. Ich entschied
entlang der Geleise weiterzugehen. Ich hustete bewusst, um mich
meiner Verkühlung zu vergewissern. Da spürte ich meine Beine,
ein wenig vertreten, doch das sanfte Abendlicht traf mich im
Gesicht. Ich verlangsamte meinen Gang, steckte meine Hände
in die Hosentaschen und ergriff den inneren Stoff. Den Gürtel,
sagte ich mir, den Gürtel mache ich nun überflüssig. In diesem
Moment sah ich nicht ein, irgendwoanders hinzugehen, irgend¬
wohin abzubiegen, ich sah gar nicht ein, irgendeiner anderen
Tätigkeit nachzugehen, als mich in die Richtung zu bewegen,
aus der ich gekommen war.
Thassilo Veit Hazod, geb. 1990 in Wien, begann 2009 das Stu¬
dium der Geschichte und später das Studium „Sprachkunst“ an der
Universität für angewandte Kunst in Wien.
der Weite des Gesichtsfeldes ergibt und, erdacht auf ein Blatt,
eine künstliche Raumtiefe schafft.
Die Habsucht erschloß eine Handhabung, von der Funktion
des Gehirns geschaffen, ein Artefakt. Das ist der Austritt aus
dem „Paradies“ in die Welt der „Erkenntnis“?! Ein Wechseln von
einem Unbewussten in ein unter fraglichen Umständen zustande
kommenden Bewußtseins. Und der freie Wille als auch die Logik
eingenommen vom „Haben“ legen es aus.
Gar so neu ist dieser Gedankengang auch wieder nicht, denn
die Altvordern wußten es längst, wenn auch in einer anderen
Wortwahl: „Der Mensch denkt, Gott lenkt.“
Ist die Welt nun doch nur eine Reproduktion fraglicher An¬
nahmen, vom Ego geformt, oder läuft die sich ergebende Einheit
von Frage und Antwort nicht doch kongruent mit dem Lauf der
Natur, ihr entsprechend?