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hier sitzen, das ist sonst eine Beleidigung“, und räumte mit ihrer
Tante und ihrer Cousine alles ab. Mich hatte das sehr verwundert,
war sie doch eine selbstbestimmte Frau, die mit der Idee eines
Patriarchats normalerweise gar nichts anfangen konnte.

Als wir das erste Mal versuchten den Container zu bekommen
und ein Papier gefehlt hatte, regte sie sich auf und meinte: „Ich will
nicht sagen, dass es unter Ben Ali besser war, aber da konnte man
in Ämtern wenigstens noch ein paar Dinar liegen lassen und seine
Sachen bekommen, auch wenn ein blöder Wisch gefehlt hätte!“
Das verwunderte mich, da sie Bestechung oder Korruption hier
offenbar voraussetzte und in Europa so etwas nie sagen würde. Ich
weiß, dass sie den Satz nicht allzu ernst gemeint hatte, aber dass sie
ihn aussprach, zeigte doch schon, dass sie hier einfach anders ist.
Und ich denke nicht, dass sie sich verstellt, sondern hier einfach
so ist. Von außen betrachtet, ist sie hier eine richtige Tunesierin,
auch wenn sie nicht so aussieht, und sie benimmt sich auch wie
eine tunesische Frau. Sie ist nicht gläubig, das unterscheidet sie
vielleicht, sie sieht europäisch aus und raucht vor Männern (sie
hatte mir erzählt, dass man das hier als Frau aus Respekt oder
Höflichkeit eigentlich nicht macht), aber alles in allem, finde ich,
passt sie hier schr gut ins Bild.

Ich sagte ihr das auch, und sie meinte, dass sie sich hier, wie
bereits erwähnt, nur heimatlich fühle, aber eben nicht wie zuhause.

Müll auf den Straßen, Sand, der überall herumwirbelt, Mau¬
errisse und Autos aus den 70ern sind hier normal und für sie
selbstverständlich. Herzlichkeit, Höflichkeit und Respekt vor
Menschen stehen auf dem Tagesprogramm und der Verkehr läuft
einfach so wie er will. Ich musste mich erst daran gewöhnen,
hatte anfangs noch einen kleinen Kulturschock und wusste nicht
genau, wie der Urlaub werden würde, aber jetzt gefällt es mir hier
eigentlich schr gut. Miriam hingegen kennt das alles schon lange
und fährt hier wie alle anderen auch wie eine Wahnsinnige —
wieder ein Unterschied zu ihrem Verhalten in Europa. Vielleicht
verstellt sie sich auch in Europa, aber das kann ich mir irgendwie
nicht vorstellen.

„Lass uns noch ne Runde spazieren gehen und Wasser kaufen“,
meinte Miriam und wir stiegen aus dem Auto. Wenn sie ging,
schlurfte sie mit ihren Flipflops. Auch das tat sie nur in Tunesien.
Das tut hier übrigens jeder. In Wien hab ich sie noch nie so gehen
oder, besser gesagt, latschen schen.

„Miriam?“
„Ja?“

„Ich versteh das immer noch nicht. Du denkst also, dass du,
wenn du keine Herkunft hättest, was zwar nie der Fall sein wird,
aber trotzdem, hypothetisch, du hast keine Herkunft und gehst
davon aus, dass du in dem Fall nie irgendwo dazugehören kannst?“ ,
fragte ich.

„Ja“, antwortete sie, und mir fiel auf, dass sie in Tunesien viel
ruhiger war als in Wien.

Wir schwiegen, bis wir eine Flasche Wasser gekauft und uns
noch eine Zigarette angezündet hatten.

„Na schau her“, sagte sie mit ihrer Wiener Note, „Wien kenn ich.
Aber nur, weil ich dort herkomme. Tunesien kenn ich, aber nur,
weil mein Vater von hier ist, und ich jedes Jahr hierher komme. In
Heidelberg bist du aufgewachsen, deswegen ist das dein Zuhause.
In Wien lebst du, weil du in Wien studierst. Städte und Länder
sind doch nur Orte, an denen man sich befindet. Wo Leute leben.
Wenn du von nirgends kommst, dann passt auch kein Ort zu
dir. Tunesien könnte nicht zu dir passen, weil du die Hitze nicht
aushältst. Wäre ich nie hier gewesen, würde es mir ähnlich gehen.

Wien passt nicht zu dir, weil du nicht der Stadt wegen dort bist,
sondern wegen deinem Studium. Und kämest du von nirgends,
wärest du, egal wo, wegen irgendeinem Grund in einer Stadt oder
einem Land. Hier bist du ja auch wegen Urlaub. Es gibt immer
einen Grund, an einem Ort zu sein. Und ab einer bestimmten
Zeit wird man für sich selbst verantwortlich und auch für jeden
Grund. Und ab dann gibt es nur ein Zuhause. Der Ort, an dem
dich deine Eltern in die Welt geworfen haben, wo du quasi nix
dafür kannst, dass du dort bist. Das ist dann halt Zuhause. Und
gäbe es das nicht, würde man nirgends dazugehören.“

„Ja, aber wenn ich jetzt in einem Kriegsgebiet aufwachsen würde?
Das wäre doch kein Zuhause!“, entgegnete ich.

„Ich denke schon. Werde das aber nie wissen können“, sagte
sie und öffnete die Autotür.

„Miriam, Miriam!“, rief ein Mann und sie ging zu ihm. Es war
der Beamte, der ihren Containerfall übernommen hatte. Ich setzte
mich ins Auto und wartete auf sie.

Sie strahlte, als sie zurückkam. Das mit dem Container hatte
sich erledigt und er würde morgen nach Djerba gebracht werden.
Wir fuhren wieder zurück, über endlos lange Wüstenstraßen, über
das Mittelmeer mit einer Fähre und kamen bei Sonnenuntergang
wieder im Haus ihrer Eltern an.

Wir wollten nicht kochen und entschieden uns nach einer
schnellen Dusche in ein Restaurant zu fahren. Ich zog meine
Djellaba an, die ich mir im Bazar in Sfax gekauft hatte, und wartete
vor dem Auto. Miriam kam in einem Sommerkleid.

„Wo hast du den denn her?“, fragte sie.

„Hab ich im Bazar gekauft, als du auf dem Amt warst.“
„Wie viel?“, fragte sie.

„Bitte?!“

„Wie viel hast du dafür bezahlt?“

„Ich hab ihn von 120 auf 50 Dinar runtergehandelt! Ich war
beinhart! Von wegen ich kann nicht handeln. Ich hab dem Typen
auch noch von dir erzählt, dass du gemeint hast, ich solle nicht
allein in den Bazar gehen und er meinte, ich könne gut handeln!“

Ich hatte ganz vergessen ihr von meinem Ausflug zu erzählen.
Ich war am Vormittag in den Bazar gegangen und schr stolz wieder
rausgekommen. Ich konnte zwar kein Arabisch, aber hatte mich
darauf eingelassen, gut gehandelt und alles, was ich bis jetzt von
ihr gelernt hatte, kopiert. Mit den Händen reden, handeln wie
eine Wahnsinnige, mit den Schuhen schlurfen.

Miriam grinste mich an und wir fuhren los.
„Wieso grinst du?“, fragte ich.
„Der ist maximal 10 wert.“

Yasmin Hafedh, geb. 1990 in Wien, ist eine österreichisch-tunesische
Rapperin, Poetry-Slam-Veranstalterin, Slampoetin und Autorin.
Sie studiert in Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaften. In
ZW Nr. 3-4/2013, 27-28. 2013 erschien ihr zweites Album „Kein
Platz für Zweifel“.

August 2014 33