bildenden Künste in Wien und war im Ersten Weltkrieg als Front¬
soldat eingesetzt. Seinen Abschluss machte er an der Badischen
Landeskunstschule. Der Maler und Grafiker war ein engagierter
sudetendeutscher Sozialdemokrat aus dem mährisch-schlesischen
Troppau (sein Vater, ein Jurist, war Vizebürgermeister). Ihre Mutter
Valerie, geb. Weiss, stammte aus Deutsch-Usch in Süd-Pommern
im Netzekreis (heute polnisch Ujcecie) im Nordwesten Polens.
Sie wuchs in Unter-Kubin (wo ihr Vater Arzt war) auf und stu¬
dierte in Berlin; auch ihr Onkel mütterlicherseits, Arnold Weiss,
war ein begabter Künstler (Zeichner und Maler), der vermutlich
1944 im KZ Sachsenhausen ermordet wurde. Er malte unter dem
Pseudonym Peter A.W. Kubincan.
Arnold Weiss brachte noch als Kunststudent seinen Kommili¬
tonen Krommer nach Hause nach Unter-Kubin, wo sich Helmut
und Valerie lieben und schätzen lernten, wenn auch der Vater des
Bräutigams, ein strenger Katholik, schr gegen diese Verbindung
war. Doch das Leben siegte und dem Ehepaar wurde Anna geboren,
später noch die zweite Tochter Barbara. Krommer wuchs dann in
Berlin auf, wo ihr Vater bei der sozialdemokratischen Zeitschrift
Vorwärts als Illustrator tätig war. Nach Hitlers Machtergreifung
kehrte die Familie 1933 zunächst nach Troppau zurück, dann
zog sie 1934 nach Prag; hier besuchte Krommer das deutsche
Mädchenlyzeum bis 1939. Nach dem Einmarsch der deutschen
Wehrmacht in Prag und der Misshandlung der Mutter durch die
Gestapo flüchtete die Familie über Jugoslawien nach England.
Zwei Stipendien ermöglichten es Krommer Kunst und Kunst¬
geschichte zu studieren: zunächst von 1939-1943 an der Kunst¬
gewerbeschule Technical College in Guildford, Grafschaft Surrey
bei London. Eine große Stütze und Inspiration für sie war auch
die Bekanntschaft mit Iheodor Kramer, den sie hier kennen und
schätzen lernte: „Beim Studium der deutschen Literatur traf sie
öfters mit Theodor Kramer zusammen, der in der Bibliothek der
Schule als Bibliothekar arbeitete.“° Anschließend nahm sie ein
Kunststudium an der School of Arts in Chelsea/London (1943¬
1945) auf.
Die Familie lebte bis 1945 in London; 1945 kehrte die Mutter
in die Tschechoslowakei zurück, wo sie in Theresienstadt (Terezin)
als Fürsorgerin arbeitete. Nachdem die jüdischen Familienangehö¬
rigen in Konzentrationslagern ermordet und die ‚arische‘ Familie
ihres Vaters nach Deutschland vertrieben worden war, wollte auch
Anna Krommer in die Tschechoslowakei zurückkehren. Doch ihre
Mutter war inzwischen erkrankt und sollte zurück nach England.
Daraufhin verlor sie ihre tschechoslowakische Staatsbürgerschaft.
Die seelisch und körperlich gebrochene Mutter starb dann 1948
in England. Helmut Krommer kehrte danach in die Tschecho¬
slowakei zurück, wanderte jedoch 1951 nach Amerika aus, wo
schon seine Tochter Barbara lebte.
Dass sich Krommer eine ambivalente Identität bewahrte, ist
auf die Liebe zu beiden Elternteilen zurückzuführen: „Die Erin¬
nerung an Prag, an die umsorgte Kindheit überlagerte sich nach
dem Ende des Krieges mit der Gewissheit des unwiederbringli¬
chen Verlustes der Heimat, denn eine Rückkehr in die CSR war
unmöglich geworden. Nicht die Gesinnung, nicht die Staatsan¬
gehörigkeit, sondern die deutsche Sprache war zu einem neuen
Vertreibungsgrund geworden. Das Exil wurde zum Dauerzustand,
Klrommer] staatenlos.“ Über ihre besondere Lebenssituation
gibt ihr Lebenslauf, den sie 1982 dem Verfasser des vorliegenden
Textes zusandte, Aufschluss: „Als Sudetendeutscher, wenn auch
Antifaschist, konnte [mein] Vater nicht in die Heimat zurück¬
kehren. So musste auch ich mir eine neue Heimat suchen.“ Und
eine Anabasis begann, die bis heute nicht endete.
Nach dem Krieg lebte Krommer in Deutschland (1945-49), wo
sie zunächst (1946-47) bei der US-Army in Offenbach am Main
in der Civil Censorship Division (Zensorin) und als Sekretärin
tätig war. Es folgten zwei temporäre Einwanderungen nach Israel,
wovon später noch die Rede sein wird. 1952 emigrierte sie in
die USA, wo sie sich endgültig niederließ. Zunächst lebte sie in
Boston, dann in New York und seit 1962 in Washington D.C.,
ihren Lebensunterhalt als Sekretarin verdienend; daneben war
sie journalistisch und schriftstellerisch tätig.
In ihrer Mitteilung an den Herausgeber von Karpatenland und
Impressum? heißt es weiter: „Im Jahr 1977 besuchte ich nach fast
vierzig Jahren meine Heimatstadt Dolny Kubin (Unter-Kubin).
Von meinen Verwandten und allen Bekannten war keiner am
Leben geblieben. Nur eine alte Dame aus der Zips [eine Zipser¬
deutsche; d. Verf.], die mit meinem Onkel verheiratet gewesen
war, konnte mir über Geschehnisse berichten. Auch das Vaterhaus
in Troppau suchte ich auf. Es sah vernachlässigt [aus] und von
Tschechen bewohnt. Ich wagte es nicht, das Haus zu betreten,
spähte aber über den Gartenzaun in den verwilderten Garten,
in dem ich als Kind gespielt hatte. Ich kehrte in die amerikani¬
sche Bundeshauptstadt Washington zurück, in der ich seit 1962
wohne. Deutschspr[achige] Zeitungen und Zeitschriften blieben
eine letzte Verbindung mit der Heimat [! -d. Verf.] und mit der
Muttersprache.”
Das bedrückende Gefühl der Heimatlosigkeit und des Heim¬
wehs suchte Jahrzehnte in der weiten, fremden Welt nach einer
Art Ventil, einem Gegenpol, der jenes wenigstens teilweise elimi¬
nieren und somit erträglich machen bzw. als Ersatz dienen sollte:
Dies war für die äußerst empfindsame (geistig wie körperlich)
Dichterin und die so oft strapazierte Seele der Künstlerin Anna
Krommer vor allem die lyrische Dichtung. Schon seit frühen
Jahren war sie von Dichtern wie Heinrich Heine, Ilja Ehrenburg,
Sinclair Lewis und Franz Kafka tief beeindruckt. Und das Ganze
wurde noch intensiver während des Krieges in England, als sie mit
der österreichischen Literatur in Berührung kam: „K[rommer]
s Verbindung zur österreichischen Literatur begann in Guilford
(Surrey), wo sie während des Krieges [...] studierte und mit [...]
‘Theodor Kramer Freundschaft schloss. Sie blieb ihm bis zu seinem
Tod verbunden. Seine unsentimentalen Gedichte voll Heimweh
und unheilbarer Verzweiflung beeindruckten sie tief, während
Kramer seinerseits von ihrer lyrischen Begabung überzeugt war.
Ihre frühen Gedichte sind in gereimter Form abgefasst, die dem
noch unmittelbar Erlebten und Erfahrenen zu einer Instanz gül¬
tiger Mitteilung wird. Doch was die Flüchtenden zurückgelas¬
sen hatten, wurde im Resultat der Verfolgung und des Mordens
zum entleerten, erstarrten Raum. Alle Verwandten K[rommer]s
mütterlicherseits waren als ‚Juden‘ in NS-Konzentrationslagern
ermordet worden. In ihren Gedichten gestaltet K[rommer] den
Erfahrungsbruch, der zugleich als Mißtrauen gegen die eigene
Herkunft und Identität erfahren wird, denn ‚Was ferner Abschied
weggenommen/ bestand in einer Spiegelung‘ (Rückkehr, in: Spie¬
gelungen, 1971). Der Erinnerung, versetzt mit der ‚Säure der
Angst‘, wird unter dem doppelten Gesichtspunkt einer inneren
und äußeren Verstrickung nachgegangen, bei der man mit zweien
oder mehreren Ichselbst und doch mit einem zu tun hat. Einem
möglichen Verlust der Erinnerung, die wie ‚abgebröckelter Mörtel
von Häusern‘ langsam schwindet, Widerstand zu leisten, wird
zur Aufgabe: Pogrom, Deportation, jüdischer Friedhof sprechen
von einsamer Zeugenschaft und paradoxer Unentschiedenheit: