ich hatten in der Emigration Autos, Häuser und
Dienstboten. Wir sind in der DDR nicht, weil
wir privilegiert werden, sondern weil wir am
Aufbau mitarbeiten wollen und uns das grosse
Freude macht. (Brief Nr. 598 an Ernst Ginsberg)
Zur selben Zeit schreibt er an den Rechtsan¬
walt seiner Exfrau und seines 23-jährigen Soh¬
nes nach Wien, er möge Georg „beeinflussen,
unbedingt eine Arbeit anzunehmen, welche
immer es sei, da es nicht mehr lange möglich
sein wird“, ihn finanziell zu unterstützen. (Brief
Nr.587 vom 30. April 1951) Und sechs Jahre
davor hatte Hanns Eisler seinem Sohn nach
England geschrieben:
Aber könntest du, fuer die ersten Jahre wenigs¬
tens, noch neben der Malerei etwas anderes z.B.
Architektur (Baumeister) studieren. (...) Selbst¬
verständlich moechte ich Dir, so viel als möglich
finanziell helfen. Leider habe ich kein festes Ein¬
kommen, um festes versprechen zu koennen. Ich
lebe von der Hand in den Mund, einmal habe
ich Arbeit dann wieder nicht. Durch diese un¬
regelmäßigen Einnahmen habe ich immer grosse
Schulden. (Brief Nr.376)
Freundlich ausgedrückt: Hanns Eisler schum¬
melt in dieser Frage nach beiden Seiten politisch
und persönlich. Und er beschummelt sich wohl
auch selbst.
Angesichts des heutzutage vermehrt auftre¬
tenden Qualitätsverfalls mancher Bücherpro¬
duktion halte ich es nicht für nebensächlich, die
präzise wissenschaftliche Struktur und nicht zu¬
letzt auch das vorzügliche Lektorat dieser Brief¬
Edition hervorzuheben, das mich auf lediglich
einen Ziffernsturz (II, S.381: 1906 statt 2006)
und wenige unwesentliche Kleinigkeiten stoßen
ließ. Der Verkaufspreis der Bücher muss auf¬
grund des enormen Arbeitsaufwands als wohlfeil
bezeichnet werden. Eine Preissenkung, vor allem
aber eine Beschleunigung der Edition sämtli¬
cher Eisler’schen Werke wäre möglich, wenn
sich die in Frage kommenden Institutionen
der Republik Österreich ihrer Pflicht bewusst
wären, zur Erhaltung dieses bedeutenden auch
österreichischen Kulturguts beizutragen und die
Herausgabe förderten. Ein frommer Wunsch?
Karl Wimmler
Hanns Eisler, Briefe 1907-1943 (Gesamtausgabe
IX, Band 4.1) und Briefe 1944-1951 (IX, Band
4.2), Wiesbaden: Breitkopf&Härtel 2010 bzw.
2013. 532 bzw. 487 S. Jeweils Euro 39,80
Mark H. Gelber, Professor für vergleichende Li¬
teratur und Leiter des Zentrums für österreichi¬
sche und deutsche Studien an der Ben-Gurion
Universität in Beer Sheva in Israel, befasst sich
seit Jahrzehnten in zahlreichen Aufsätzen mit
dem jüdischen Erbe von Stefan Zweig. Eine
Lücke der umfangreichen Zweig-Forschung war
seine Beziehung zum Judentum; bis zu Gelbers
Buch existierte noch keine Monographie darü¬
ber. Er plädiert darin, wie er schreibt, „für ein
anderes, ein jüdisches Bild von Stefan Zweig“,
jedoch: „Mein diesbezüglicher Erfolg hält sich
aber leider in Grenzen.“
Gelber kritisiert auch die bisherigen Publika¬
tionen über Zweig von seiner Witwe Frideri¬
ke, von Harry Zohn und von den Biographen
Donald Prater und Oliver Matuschek, die alle
dazu tendierten, Zweigs jüdische Interessen
und Verbindungen zu unterschätzen. Zweigs
zahlreiche Verbindungen zu kulturzionistischen
und jungjüdischen Autoren und Publikatio¬
nen, über die Gelber zwei wichtige Aufsätze
veröffentlichte, sind noch lange nicht in all
ihren Einzelheiten erforscht und bekannt. Die
Edition der Korrespondenz mit Scholem Asch,
mit dem Zweig eng befreundet war, und der
Vorworte, die er für dessen Werke schrieb, wä¬
ren ein eigenes Publikationsprojekt. Auch für
den jiddischen Schriftsteller Melech Rawitsch
schrieb der junge Zweig einen Empfehlungsbrief
und empfing ihn „wie ein Prinz einen anderen“.
Im Exil in London, im Zusammenhang mit
seiner Freundschaft mit Joseph Leftwich, begann
Zweig sich ebenfalls wieder sehr für jiddische
Literatur einzusetzen und zu interessieren.
Ein wichtiges Kapitel behandelt Stefan Zweigs
Beziehung zu seinem Vetter Egon Michael
Zweig, einem zionistischen Funktionär und
Publizisten, der 1949 in Israel starb und dessen
Nachlass in einem Jerusalemer Antiquariat auf
einen Käufer wartet.
Aus der jüdischen Rezeption Zweigs, die eben¬
falls noch nicht gründlich erforscht ist, entdeckte
Gelber einen langen Text des Zürcher Philo¬
sophen Hermann Levin Goldschmidt (1914
- 1998), der in der im Wiener Passagen Verlag
publizierten Gesamtausgabe seiner Schriften
nachlesbar ist. Das letzte Kapitel befasst sich mit
„Kinder ich würde Bände schreiben, wenn ich
ein Heft hatte“, heifst es in einem Brief, der mit
dem Namen Fritz gezeichnet ist. Der Verfasser
des Briefes ist in einem transnistrischen Lager
interniert, er schreibt keine Bande, sondern
richtet seine Hilferufe in Briefform an seine
„Lieben“ zu Hause.
Unter dem Titel Schwarze Milch. Zurückge¬
haltene Briefe aus den Todeslagern Transnist¬
riens liegt nun ein Buch mit über 1.000 Seiten
Umfang vor, das die im Czernowitzer Gebiets¬
archiv unter der Aktennummer F1061 gefun¬
denen Briefe aus den transnistrischen Lagern
versammelt. Die als „Hilferufe“ bezeichneten
Texte geben Auskunft darüber, wie man in den
transnistrischen Lagern lebte, sie zeichnen Bezie¬
hungsnetzwerke zwischen Freunden, Nachbarn,
Kollegen und Verwandten nach und verdeutli¬
chen zugleich die unüberbrückbare Kluft zwi¬
schen den Deportierten und den Gebliebenen.
Zustellung in Form eines Buches
Die 2013 in Buchform von Benjamin M. Grilj
herausgegebenen Briefe wurden zwischen No¬
vember und Dezember 1941, kurz nach der
Errichtung der Lager, verfasst und erreichten nie
ihre eigentlichen Adressaten, Freunde, Familie
Zweigs hebräischen Übersetzungen und seiner
Rezeption in Israel. Weiters publizierte Gelber
einen kurzen, bislang unbekannten Text Zweigs
über Palästina, in dem dieser Palästina „von
Anfang an eine moralische Leistung“ nannte.
Gelber ist sich der Grenzen seiner These be¬
wusst. Zweig war kein religiöser Jude; er dis¬
tanzierte sich früh vom politischen Zionismus,
lehnte die ihm angebotene Redaktion von Herzls
„Welt“ ab und besuchte nie Israel.
Zusammenfassend schreibt Gelber über
Zweig: „Ich behaupte, dass das Judentum und
der Zionismus nicht lediglich am Rande oder
fernab seiner Hauptinteressen lagen. [...] Es
muss gleichzeitig betont werden, dass diese jü¬
dischen Aspekte seine Karriere und Schriften
nicht dominieren.“
Mark H. Gelber: Stefan Zweig, Judentum und
Zionismus. Innsbruck: Studien Verlag 2014. 270
S. Euro 29,90 (Schriften des Centrums für Jüdische
Studien. Bd. 24).
und Kollegen in Czernowitz und Umgebung.
Eröffnet wird der nun vorliegende umfangrei¬
che Band durch ein Vorwort des Herausgebers
und die Einleitungen von Dieter A. Binder und
Andrei Corbea-Hoisie, den Hauptteil bilden die
Briefe selbst in faksimilierter Form mit Tran¬
skriptionen bzw. Übersetzungen in die Spra¬
chen Deutsch, Rumänisch, Ukrainisch und
Englisch. Die Reihenfolge der faksimilierten
Briefe entspricht jener, in der sie im Czerno¬
witzer Gebietsarchiv gefunden wurden. Durch
die Übersetzung der zumeist auf Deutsch oder
Rumänisch, aber auch in jiddischer und heb¬
räischer Sprache verfassten Briefe in die vier