Begründung für die Zuerkennung des Preises
Herbert Kuhner, 1935 in Wien geboren, 1939 mit der Familie in
die USA geflüchtet, 1963 zurückgekehrt, lebt als österreichischer
Schriftsteller englischer Sprache in Wien, überträgt sich selbst ins
Deutsche und ist als Übersetzer österreichischer, slowenischer und
kroatischer Lyrik ins Englische hervorgetreten. Er ist zugleich Ent¬
decker ungekannter AutorInnen geworden, so in seiner Anthologie
jüdischer Gedichte aus Nachkriegsösterreich.
In seinen Prosastücken, Erinnerungen, Gedichten, Polemiken
sucht er Verständigung, nicht Versöhnung. Seine Perspektive bleibt
die des aus dem Exil Zurückgekehrten, dem das Leben in Öster¬
reich nicht einfach selbstverständlich ist. Er sieht Kontinuitäten,
wo andere Neues erwacht glauben, Kontinuitäten des routinierten
Umgangs mit geschehenem Unrecht, des fraglosen Weiterspinnens
einer Wunsch- und Fantasiewelt, die ihre Realisierung einst in den
Krematorien der Konzentrationslager fand.
Kuhner ist also ein Aufklärer, aber auch ein Träumer, der eine
Gegenwart erhofft, die sich nicht mit den in der Vergangenheit
geschaffenen Tatsachen abfindet, die Humanismus nicht für obsolet
erklärt, sondern als Aufgabe ansieht. Kuhners Blick erfasst eine
erschütterte Wirklichkeit, und es ist nicht seine Sache, sich sogleich
wieder ans Flicken des Weltenbaus zu machen. So weist er uns
durch seine literarische Arbeit neue Wege unserer Arbeit und Kritik.
(Fortsetzung und Programm auf Seite 2)
Zwei Jahrzehnte nach dem Beginn des blutigen Zerfalls Jugoslawi¬
ens gibt es immer noch keine überzeugende Erklärung für Grund
und Ursache dieser vermeidbaren Tragödie. Unverständnis und
Zweifel, sogar völlige Ablehnung der historischen Fakten, bestim¬
men nach wie vor den Diskurs über das Ende des kommunisti¬
schen Vielvölkerstaates Jugoslawien, dem der friedliche Übergang
zu einer spezifisch demokratischen Form des Zusammenlebens so
schrecklich misslungen ist.
Dabei dachten viele, dass es gerade Jugoslawien leichter fallen
müsste, diese Transition erfolgreich zu bewältigen. In keinem an¬
deren kommunistischen Land des sowjetischen Einflussbereiches
waren bessere Voraussetzungen vorhanden als in eben diesem von
Tito geschaffenen Staat der Serben, Kroaten, Slowenen, Bosnier
und Herzegowiner, Montenegriner, Makedonier, Albaner und
der bunten Volksgruppen, die der Region diesen einzigartigen
europäischen Charakter der kulturellen Vielfalt in der staatlichen
Einheit verliehen hatten.
Was hätten sich die geistigen Väter eines Neuen Europa mehr
wünschen können, als dass Jugoslawien seine Erfahrungen im
gewiss nicht einfachen Zusammenleben dieser südosteuropäischen
Völker einbringen hätte können.
Jugoslawien ist erstursächlich nicht wegen und entlang der eth¬
nischen Linien zerfallen, sondern wegen des gesamtstaatlichen
wirtschaftlichen Bankrotts, der erst die immer schon schwelenden
nationalen Konflikte verschärft und schließlich zur Explosion
gebracht hat. Mit dem Ende des Kalten Krieges — der Fall der
Berliner Mauer am 9. November 1989 hat sich tief im kollektiven
Gedächtnis Europas eingeprägt, vergleichbar nur mit den Maita¬
gen von 1945 — war die Sorge verbunden, dass die Sowjetunion
in einem blutigen Inferno implodieren würde. Die Erinnerung an
Budapest 1956 und Prag 1968 hat gerade uns ÖsterreicherInnen
mit großer Skepsis auf die Revolutionen bei den östlichen Nach¬
barn blicken lassen.
Diese Sorge war freilich unbegründet, wie wir heute wissen.
Während die ziemlich friedliche Auflösung des sowjetischen Im¬
periums durchaus einer Persönlichkeit —- nämlich Michail Gor¬
batschov — anzurechnen ist, hatte die eigentliche europäische
Apokalypse am Balkan stattgefunden.
Kein Havel, kein Walesa weit und breit; nur Milosevids und
Tudjmans. Der Weg ins Unglück war damit vorgezeichnet. Gewiss
sollte man den blutigen Zerfall Jugoslawiens nicht allein auf sie
reduzieren; entscheidenden Einfluss auf Wohl und Wehe der Bür¬
gerlnnen Jugoslawiens hatten diese Führer allemal. Die vom Ende
des Ost-West-Konfliktes ausgelösten, globalen tektonischen Ver¬
schiebungen hatten Jugoslawien ins Mark getroffen. Geostrategisch
war das Balkanland für den Westen plötzlich nicht mehr wichtig.
Der strategisch-ideologisch motivierte finanzielle Zufluss aus den
USA, der Tito ein großzügiges, aber ineflizientes Wirtschaften
erlaubt hatte, war sozusagen über Nacht versiegt. Die Folge waren
Hyperinflation und der ökonomische Bankrott des jugoslawischen
Selbstverwaltungssystems. Die Folge: Politik und Bevölkerung
wurden von einer fundamentalen Identitätskrise erfasst, wobei
sich die alten kommunistischen Eliten in den jugoslawischen
Teilstaaten für ihren Machterhalt des Nationalismus bedienten.
Es mutet wie eine tragische Coda an: Das etwa zur selben Zeit auf
dem amerikanischen Markt lancierte Billigauto YUGO intonierte
den Abgesang auf das gescheiterte Wirtschaftsmodell Yugoslavija.
(Fortsetzung auf Seite 3)