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ein in dunklem Blau gehaltenes Gemälde, ein anderes Werk „Was Tust du“. Etwas Wehmut schwang in Jürgens Äußerungen über seine neue „Wasser-“-Serie mit dem schönen, nur auf den ersten Blick schlichten Titel „Auf und zu“ mit, als spüre er, dass die Serie unvollendet bleiben würde. Über viele Jahrzehnte hat er ein sehr eigenwilliges dichtes, opakes, stilles Werk geschaffen, eine künstlerische Handschrift entwickelt, die jedes Objekt unverkennbar zu einem „Walter“ macht. Was genau macht das Werk von Jürgen Walter so besonders? Jürgen Walter schafft wundersame Objekte, in denen Unvereinbares, Absurdes, Schmerzhaftes, Illusorisches, Verrücktes und Beinahe Gleiches egalitär nebeneinandergesetzt wird. Er spielt mit der Wirklichkeit, die bei ihm anderen physikalischen Gesetzen zu gehorchen scheint, er präsentiert dem Betrachter realistische Einzelobjekte, die jedoch — wie die klassische Meerjungfrau - anders enden, als sie begonnen haben, sich verwandeln ohne deutlich zu machen, wer oder was sie eigentlich sind oder werden wollen. Hier wird vor allem ein Wandel festgehalten, der jedoch keinem äußerlichen Wandel — aus Wasser werde Wein - entspricht, hier wird cher eine seelische Transformation festgehalten, Traum- oder Alptraumfiguren, mit Armen und Beinen, Wasserhähnen oder Pistolen an Körperstellen, wo man sie nicht vermuten würde, Biomorphes und Technisches Nließt ineinander, es werden Sinnzusammenhänge behauptet, die gar nicht existieren - zumindest nicht in unserem Tagesbewusstsein. Über all dem schwebt etwas Unheimliches, das Gefühl, auf einem Trip zu sein, einen eben begonnenen Gedanken nicht auf die Weise zu Ende denken zu können, die einem vorgeschwebt har. Jürgen Walter verlässt sich hierbei nicht auf Taschenspielertricks, provoziert keine spektakulären Schocks — anders als andere Objektkünstler zielt er nicht auf Überrumplung seines Gegenübers, sondern auf Verführung — durchaus mit schlechten Absichten: zum Beispiel mit der, dem Betrachter einen Teil seines Inneren umzukrempeln, nach außen zu kehren, einen Teil, den dieser vielleicht nicht so gern materialisiert auf einer Leinwand oder einem Sockel - in Augenhöhe - gesehen hätte. Doch geht Walter hierbei sehr subtil vor, sein Werk verwirrt und verändert vielmehr, als dass es attackiert. Der verführerische Charakter wird durch die „schön“ ausschenden Objekte, mit glatten Oberflächen und oft in angenehmen Farben gehalten, unterstrichen. Es sei noch angemerkt, dass diese Objekte handwerklich auf schr hohem Niveau hergestellt werden — der Künstler baut in den meisten Fällen (außer bei seinen kleinen Elementen oder wenn er objets trouves einsetzt) eine Rohfigur, ein Skelett aus Holz, ummantelt es mit Gitterdraht (außer bei sehr kleinen Objekten) und trägt dann Kunststoffpaste darauf. Anschließend wird die Oberfläche dieser Objekte bearbeitet, geschliffen und bemalt. Teilweise handelt es sich dabei um Skulpturen, oft aber um Gemälde, aus denen einzelne dreidimensionale Objekte herausragen, die in die Bildoberfläche integriert sind. Die „schönen“ Werke Walters schmeicheln dem Auge - bis es weh tut, bis aus der schönen Kamera — so das Werk „Mit den Augen eines Anderen“ - eine Pistole geworden ist. Aus dem Kontrast zwischen farblicher und taktiler Harmonie (glatte, glänzende Oberflächen) auf der einen Seite und entstelltem Sinn auf der anderen entsteht ein ganz spezifischer (ästhetisch-)visueller Schmerz. Ein schwer benennbares Unbehagen, das unter die Haut geht. Oft geht Jürgen Walter zunächst vom Klar Verständlichen aus — gern auch mit wissenschaftlichen, kulturhistorischen oder mythologischen Rekursen (antike Themen). Nicht ohne Ironie baute er zum Beispiel Brancusis berühmten „Flug“ in Miniaturformat in eines seiner Werke aus der Serie „Falsche Vögel“ ein. Mit diesen Rekursen schafft er einen kommunikativen Einstieg für den Betrachter, nimmt ihn gnädig an die Hand — um ihn dann sogleich sich selbst zu überlassen. Die zunächst allgemein erscheinenden Themen, die Jürgen Walter für seine Objektserien verwendet wie „Höhenflug“, „Ich und ich“, „Falsche Vögel“, „Symmetrie“ etc. vermitteln Vertrautes, um jäh ins Unvorhersehbare abzustiirzen. Wenn man etwas über Jürgen Walter statuieren kann, dann, dass das zu Erwartende bei ihm nie eintritt. Nicht selten tauchen bei Jürgen Walter abgetrennte Gliedmaßen, Torsi, Masken, Arme, Füße auf, werden mit derselben Akkuratesse in eine Assemblage, in ein Relief eingebaut wie eine Pistole oder ein Glas. Der Körper wird nie intakt, sondern immer nur noch in fragmentierten Teilen, reduziert auf die wesentliche Funktion für das jeweilige Werk, eingesetzt. Körperteile sind bei ihm Objekte wie ein Schuh, ein Tisch oder ein Boot. Der Künstler überlässt nichts sich selbst oder dem Zufall, sondern wirkt gestaltend, sezierend, ordnend, gerade in dem er Unvereinbares, Widersprüchliches in eine oft schmerzhaft erscheinende Synthese — eine höhere Ordnung, eine Waltersche Welt mit anderen physikalischen Gesetzen — zwingt. Dabei ist der Künstler omni- und null-präsent: Er zieht die Fäden nach den Regeln einer anderen Schwerkraft und einer anderen Zug- und Flichkraft, als wir es gewohnt sind, aber gleichzeitig ist er in seinen Werken auch abwesend, er wirkt in ihnen fern wie ein hohes kafkaeskes Gesetz. Manchmal taucht Jürgen Walter auch überraschend selbst auf: er benutzt sich - beispielsweise sein November 2014 21