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Neben seinem Beruf schrieb Bruno über 80 Kurzgeschichten. Er publizierte einige davon auf Spanisch und auf Deutsch. Er gab seine Erinnerungen in drei Sprachen heraus und in drei Ländern. In seiner Freizeit malte er zwischen 200 und 300 große Landschaften. Er nahm an Ausstellungen in Mexiko und Kalifornien teil, und mit der Zeit kam es zu elf Einzelausstellungen in Mexiko, Kalifornien und Österreich. Bruno war ein wunderbarer Schauspieler. In seiner Freizeit spielte er in neun Filmen, in 19 TV-Programmen und in 20 Theaterstücken mit und führte bei acht selbst Regie. 1986 übernahm er die Titelrolle in „Duet for One“, das über 200 Mal in Mexiko aufgeführt wurde. Ich lebte mit diesem Mann sehr glücklich mehr als 35 Jahre lang. Und ich dachte immer, ich sei die Workaholic und er der Faulpelz. Und am Ende war es Bruno, der produktiv war. Zwei Monate bevor Bruno starb, als wir uns über seine letzten Wünsche unterhielten, sagte er: „Ich bin als Jude geboren, und ich werde als Jude sterben.“ Darum arrangierten wir ein jüdisches Begräbnis. Was er nicht gesagt hat, war selbstverständlich: Dass er Wir trauern um Erika Weinzierl Erika Weinzierl ist am 28. Oktober 2014 in Wien gestorben. Geboren 1925 in Wien, gehörte sie als Geschichte- und Kunststudentin in der NS-Zeit der widerständigen Gruppe um den Geistlichen Karl Strobl an. 1948-1964 am Haus-, Hof- und Staatsarchiv tätig, problematisierte sie schon 1963 das Verhalten der katholischen Kirche in der NS-Zeit. Als Universitätsprofessorin in Salzburg und Wien setzte sie sich für eine kritische Erforschung der österreichischen Zeitgeschichte und für die Exilforschung ein und gab ab 1973 die Zeitschrift „Zeitgeschichte“ heraus. Sie war lange Jahre Präsidentin der „Aktion gegen den Antisemitismus“, Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der von ihr 2002 mitbegründeten Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung. Sie ist Herausgeberin und Verfasserin zahlreicher Bücher, u.a. „Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945“ (1969) und „Frauen in Österreich im 20. Jahrhundert“ (Neuausgabe 2005). Am 8. Juni 2005 wurde ihr die Ehrenmitgliedschaft der Theodor Kramer Gesellschaft verliehen. Karl Müller, Vorsitzender der Theodor Kramer Gesellschaft, würdigte Erika Weinzierl aus diesem Anlass u.a. mit den Worten: Als eine der ersten Universitätshistorikerinnen der Zweiten Republik, wenn nicht als die erste überhaupt, ja als die erste, haben Sie - früh geprägt und aufgerüttelt durch ein antifaschistisches und österreichisch-patriotisches Elternhaus und durch bedrängende persönliche Erfahrungen mit Rassismus, Nationalsozialismus und Krieg - systematisch und schließlich unablässig den skandalösen Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts in das Zentrum ihrer wissenschaftlichen und publizistischen Arbeit gerückt, haben immer wieder nach der Verantwortung nicht nur jedes einzelnen/jeder einzelnen, sondern insbesondere nach den tiefen historischen, gesellschaftlichen und geistig-seelischen Wurzeln von Antijudaismus und Antisemitismus, nicht zuletzt nach der Rolle und 6 _ ZWISCHENWELT auch als Wiener geboren wurde und auch als Wiener gestorben ist — aber als mexikanischer Wiener. Danke, dass Sie alle heute Abend gekommen sind, mit mir Bruno zu ehren. Joan Brodovsky lebt in San Jose (Kalifornien). - Bruno Schwebel, geb. am 16.9.1928 in Wien, ist am 21. Februar 2011 in Mountain View (Kalifornien) verstorben, wo er seit 2006 zusammen mit seiner Frau die letzten Lebensjahre verbrachte. — In ZW bzw. MdZ erschienen etliche Beiträge von und über Schwebel: Der Herr Vorleser (Erzählung, Nr. 1/1998, S. 56f.); Der Abendzug (Erzählung, aus dem Spanischen von K. Kaiser, Nr. 2/2002, S. 68f.); Seine vorletzte Reise (Erinnerung, Nr. 1-2/2007, 5. 12-16). Der künstlerische Nachlass Bruno Schwebels wurde von Joan Brodovsky der Österreichischen Exilbibliothek in Wien übergeben. 2004 kam, hg. von Christian Kloyber und Karl Müller, im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft eine Sammlung von Schwebels Erinnerungen und Erzählungen unter dem Titel „Das andere Glück“ heraus; das Buch ist mittlerweile auch auf Spanisch und Englisch erschienen. Verantwortung von kirchlichen Repräsentanten, aber natürlich auch anderer Institutionen und Instanzen gefragt — gestern und heute. Damit haben Sie es sich in keiner Weise leicht gemacht, ja, Ihre wegweisenden Forschungen — etwa „Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945“ — mussten sich erst gegen eine nach 1945 überlang dauernde Hegemonie des Vergessenmachenwollens, des Verdrängens, des Verniedlichens, ja gegen alle möglichen Formen und Versuche von Geschichtsfälschung Gehör und Stimme verschaffen. Nie haben Sie in Ihren Arbeiten die Tragödie der Opfer des rassistischen Wahns und jene, die Widerstand geleistet haben, aus den Augen verloren. Ihrem inneren Festhalten am Streben nach Gerechtigkeit in aller lebendigen Widersprüchlichkeit des Faktischen begegnen wir mit großem Respekt. Geschichte war für Sie nie Vergangenes, sondern unmittelbar Gegenwärtiges, dessen Schoß nicht frei zu werden scheint von Kontinuitäten und Phänomenen des Rassistischen, des Inhumanen, des Vorurteils. Daraus ergibt sich Ihr authentisches öffentliches Engagement — in der Einmahnung von politisch-moralischer Verantwortung bei den politischen Eliten ebenso wie bei den Staatsbürgern, Ihre pazifistische Haltung, Ihr Eintreten für eine humane Asyl- und Migrationspolitik, Ihre Menschenrechtsaktivitäten. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten leisteten und leisten einen unverzichtbaren Beitrag für das, was man heute „Gegenerinnerung“ nennen kann, die es bis heute nicht leicht hat in diesem Österreich, dem Sie in Zuneigung und zugleich Sorge verbunden sind, wie Sie kürzlich einmal gesagt haben. [...] Ihre Forschungen und die vielen, vielen Forschungen, die Sie angeregt und die eine Generation von Historikern entscheidend vorangebracht haben, waren immer auch eine Grundlage und Voraussetzung unserer Arbeit. Vladimir Vertlib Je suis Charlie Wie viele andere Menschen in Europa, so beeindruckt auch mich die Reaktion der Zivilgesellschaft auf die abscheulichen Terroranschläge von Paris. Dabei geht es nicht primär darum, ob jemand Mohammedkarikaturen witzig, treffend oder geschmacklos findet, und es geht in erster Linie nicht einmal um islamistische Fanatiker in Frankreich und anderswo, denen durch die zahlreichen Kundgebungen, auf denen der Opfer der Attentate vom 7.-9. Jänner gedacht wurde, gezeigt werden sollte, dass sie es niemals schaffen werden, unsere Demokratien zu zerstören. Vielmehr haben die meisten Menschen in West- und Mitteleuropa erkannt, dass Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit ohne Einschränkungen und ohne Kompromisse unser wertvollstes Gut ist. Dies erklärt die Kugelschreiber, Füllfedern und Bleistifte, die viele Kundgebungsteilnehmerinnen und -teilnehmer in die Höhe hielten. Dies erklärt auch die Schilder mit der Aufschrift „Je suis Charlie“. Diese Aktion ist nicht nur als Zeichen der Solidarität mit dem Satiremagazin oder als Identifikation mit den Opfern des Verbrechens zu verstehen, sondern impliziert die weit darüber hinaus gehende Aussage: Schaut her, auch ich, ich persönlich, fühle mich angegriffen. Doch ich wehre mich dagegen und lasse nicht zu, dass mir meine Freiheit und meine Rechte genommen werden! „Charlie“ ist ein Symbol geworden, ein Ausdruck für die Werte und Haltungen, denen wir uns verpflichtet fühlen und für die wir einstehen. Offensichtlich wissen die meisten West- und Mitteleuropäer — ob bewusst oder intuitiv —, dass die Einschränkung des Rechts auf Meinungsäußerung in jeglicher Form sehr rasch in die Barbarei führt; diese wiederum führt in letzter Konsequenz zu Verfolgung, Vernichtung, Armut, Verrohung, Korruption, zu kulturellem und moralischem Niedergang. Um dies an aktuellen Beispielen zu verdeutlichen, braucht man nicht unbedingt islamische Länder und die dort herrschenden politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse anzuführen. Es genügt schon der Hinweis aufein Land, das nur wenige Hundert Kilometer von Österreich entfernt ist, Weißrussland nämlich, oder auf die Russische Föderation. Ich habe in den letzten Tagen im Internet nachgeschaut, wie denn die russischen Reaktionen auf die Terroranschläge in Paris gewesen sind. Wie wurde darüber im Fernsehen berichtet? Was sagen Journalisten und so genannte Experten, was schreiben Blogger und andere „Kommentatoren“? Das Ergebnis war mehr als ernüchternd. Die Erkenntnis, dass Meinungs-, Rede- oder Pressefreiheit unser wertvollstes Gut ist, versteht sich in einem Land wie Russland keineswegs von selbst. Manche erklären oder schreiben mehr oder weniger offen, die ermordeten Karikaturisten hätten bekommen, was sie verdienten, oder seien selbst schuld an ihrem Schicksal. „Wer bewusst provoziert und die religiösen Gefühle anderer derart verletzt“, heißt es, „muss selbstverständlich damit rechnen, irgendwann erschossen zu werden...“ Ich bin froh, in einem Europa zu leben, in dem es für Millionen von Menschen eine Selbstverständlichkeit ist, dass das soeben Zitierte keine Selbstverständlichkeit sein darf. Die islamistischen Verbrecher haben mit ihrem Terrorangriff genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie intendiert hatten. Sie wollten zerstören, haben aber die Zivilgesellschaft gestärkt; sie wollten Moslems und Mehrheitsbevölkerung in Europa einander zu Feinden machen und haben stattdessen erreicht, dass Christen, Moslems und Juden nebeneinander mit „Je suis Charlie“-Plakaten an Kundgebungen teilnahmen. Das löst zwar die Probleme, die wir in Europa haben, nicht, nämlich: Rassismus, Diskriminierung, Parallelgesellschaften, Neofaschismus, Rechtspopulismus, Neoliberalismus und Entsolidarisierung, Armut, Islamismus, antimodernistische Tendenzen, Demokratiedefizite. Viele Menschen, die heute miteinander marschieren, werden sich morgen wieder bekämpfen. Wir alle, die sich als Zivilgesellschaft organisieren und für bestimmte Haltungen einstehen, sind nach diesem 7., 8. und 9. Jänner nicht plötzlich zu Freunden geworden. Das müssen wir auch nicht. Es wird Rückschläge, Fehler und weitere endlose Debatten darüber geben, warum „der Islam“ nicht modernisierungsfähig oder -willig sei. Und es wird, fürchte ich, zu weiteren Terroranschlägen kommen. Viele werden eine verstärkte Überwachung und eine stärkere Exekutive fordern. Dies geschieht eigentlich jetzt schon: Die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner möchte unsere Polizei mit schwergepanzerten Fahrzeugen und größeren Hubschraubern ausrüsten. Um dies zu finanzieren, wird ein dreistelliger Millionenbetrag erforderlich sein. Würde der österreichische Staat dasselbe Geld für Bildungs- und Integrationsmaßnahmen ausgeben, hätte das mittel- und langfristig viel größere positive Synergieeffekte für die Terrorbekämpfung als die Aufrüstung unserer Polizei mit Panzerfahrzeugen, die gegen einen Terroranschlag wie jenen in Paris nichts ausrichten könnten und nur bei größeren gewalttätigen Ausschreitungen einen Sinn haben - ein Szenario, das in Österreich (im Unterschied zu einem Terroranschlag, der auch uns treffen könnte) sehr unwahrscheinlich ist. Währenddessen fehlt es Kindergärten, Schulen und Sozialeinrichtungen seit Jahren an Geld, um Integrations- und Aufklärungsmaßnahmen zu setzen. Ob sich das nun wohl ändern wird? Den Terroristen ging es bei ihrem Angriff auf „Charlie Hebdo“ nicht nur um die Zeitschrift als solche und darum, wofür sie steht, sondern ganz gezielt auch um die Einzelpersonen, die sie töten wollten. Deshalb riefen die Kouachi-Brüder ihre Opfer namentlich auf, bevor sie sie erschossen. Der dritte Attentäter - Amedy Coulibaly — tötete seine Opfer im koscheren Supermarkt an der Porte de Vincennes nicht deshalb, weil sie in seinen Augen etwas verbrochen (etwa den Propheten Mohammed beleidigt) hatten, sondern ausschließlich deshalb, weil sie Juden waren. Dies ist April 2015 7