Julian Schutting
Valentinstag
Wie etliche andere Passanten am Valentinstag 2015 ein violett
getöntes Kuvert unüblich höflich wie eine Blume überreicht zu
bekommen, ein nackt belassenes, und dich zu wundern, daß nicht
auch nur einer sich dessen entledigt. das gedrittelte Briefblatt,
mit der Anrede „für dich!“ versehen, so zu entfalten, daß fürs
erste samt Grußformel der Name des Absenders feststeht? die
auf Transparentpapier, dünner als Pergament, sozusagen in roter
Tinte geschriebenen Zeilen, nämlich in einer vom Computer
idealisierten ‚persönlichen Handschrift‘, dir von Funktionärs- wie
Politikerbriefen wohlvertraut, geben dir aber ein, in der U-Bahn
Zeile für Zeile die Urheberschaft herauszufinden (auch wenn dir
dann bald so ist, da zitiere einer aus Briefen ähnlicher Tendenz,
um von uns Ausdrucksarmen mit Briefentwürfen beauftragt zu
werden — hat dergleichen an Musterbriefen nicht einstmals ‚Brief¬
steller‘ geheißen?)
Der Brief ‚für dich“ beginnt so:
Es ist gut, daß es dich gibt. ich habe dich gewollt!
(wortlos mag das eine fühlen, die ihr Neugeborenes in den Ar¬
men hält; erst recht dann, wenn sie eine Abtreibung vornehmen
zu lassen erwogen hatte)
Weil du in meinen Augen unendlich wertvoll bist, habe ich alles
für dich gegeben!
(wer möchte eine Mutter haben, die ihm das ins Gesicht sagt?
zumal ja die schamlose Übertreibung ‚unendlich wertvoll‘ krän¬
kend relativiert wird vom vorangeschickten ‚in meinen Augen‘
— du magst ein Gauner sein, ein Versager, aber der Affenliebe einer
Mutter tut das keinerlei Abbruch! und ihre Behauptung, sie habe
alles für mich gegeben - steht sie denn abgemagert und zerlumpt
als ein Bettelweib vor mir? unendliche Kindesliebe möchte sie
mir abpressen!)
Ich bin immer mit dir — in deinen Erfolgen, wenn du dich freust.
Besonders nahe bin ich dir in deinen schweren Momenten (da wär
doch statt ‚Momenten ein ‚Stunden‘ angebracht), wenn du leidest,
an dir zweifelst, wenn du dich schwach fühlst oder verletzt bist.
(gegen so geballte Auf- und Zudringlichkeit doch wohl nicht
vaterlicherseits hat man sich beizeiten zur Wehr zu setzen, es sei
denn, man wollte an solcher Nähe ersticken! statt an sich selbst
zweifle man an der Rechtmäßigkeit solch possessiven Betragens
— widrigenfalls wird einem auch noch die Zeile zugeeignet, die
sich eine unserer Dichterinnen hat einfallen lassen: Ich werde dich
nie aus meinem Schoß fallen lassen!)
Komm zu mir, erzähl mir von dir, was dich beschäftigt, worum
du ringst.
(die Tonart wechselt nicht wirklich; aber das könnte ein Briefzitat
eines sein, der sich unversehens als ein guter Freund aufspielt. von
einem Kumpel aus Jugendtagen ungefragt zur Preisgabe von allzu
Privatem aufgefordert zu werden?)
Komm zu mir und lern von mir, damit du ein Leben in Fälle hast.
Ich werde da sein für dich. Hab keine Angst, vertrau mir!
(na, nur wenige mit meiner Blödigkeit Geschlagene begreifen
auch da erst, von einer amerikanischen Sekte belästigt zu werden
— die nächste Zeile:
Laß uns wieder einmal miteinander reden\
drückt ja wohl den Irrglauben aus, ich hätt mich ihrem jüngs¬
ten Missionierungsversuch im Stiegenhaus fast schon ergeben!)
nun aber sei mit dem herausgerückt, was den Glauben eines
Katholiken vom alten Schlag an die einstmals kulturprägende
katholische Kirche in ein Wanken versetzt hat: dieser Werbe¬
brief, solchen von Sekten abgelauscht, wird also nicht vom Guru
Soundso unterzeichnet, sondern endet grußlos mit der kindisch
stilisierten Unterschrift Gott —
auf beigelegter Karte steht geschrieben:
zeit für ein rendezvous?
und den dafür vorgesehenen dates, oder wie das zeitgemäß
heißen sollte, ist als ein Impressum was beigegeben?
Eine Initiative der Katholischen Kirche, Erzdiözese Wien ¬
ja, so weit, sich solches diktieren zu lassen, hat es, ach Gott,
wer kommen lassen?
Jener eine, der „Ich bin, der ich bin!“ spricht - hat sich ja, da
es zu Gott keinen Oberbegriff gibt, aus sich selbst zu definieren.
Jener eine, der die Erschaffung von Himmel und Erde in Befehls¬
form wie „Es werde“ vornimmt. Jener eine, der einem Moses zu
Donner, Blitz und dem Ton der Posaune den Dekalog eingibt,
sodann ehernen Gesetzestafeln eingemeißelt, der hat sich uns
anzubiedern, angefangen von der kindischen Widmung FÜR
DICH!) bis hin zu der seine Göttlichkeit beglaubigenden Unter¬
schrift GOTT - ja, so schroff endet dann der ins „Persönliche“
zurechtgebogene Christengott, nun nicht mehr bereit, sich auch
noch eine Grußformel wie ‚Euer‘ (respektive ‚Dein‘) himmlischer
Vater abzuringen.
„Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen
habe“, ja, so spricht dieser strenge Gott zu seinem Sohn, vom
Vater auserschen gewesen, eine milde Sprache mit uns zu sprechen.
nie aber würde Gott, ob es ihn nun gibt oder auch nicht, dir oder
mir, auch nicht seinem Sohn, das zudenken:
‚In meinen Augen bist du unendlich wertvoll‘ — gäbe denn der
Absolute subjektive Meinungen von sich? (siehe das Auge Gottes,
das auf uns ruht — es bedarf des Singulars, symbolisiert ja des
Allwissenden, Allsehenden Wohlwollen. oder bedarf der unserer
Augen