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Peter Roessler

Fritz Hochwälders Spiele der Schuld

Ein Exildramatiker im befreiten Österreich

Erfolge aus der Ferne

Der erfolgreichste österreichische Dramatiker im Nachkriegsöster¬
reich war ein Exilautor, der in seinem Exilland geblieben ist: Fritz
Hochwiälder floh 1938 vor den Nationalsozialisten aus Wien und
gelangte illegal über die Schweizer Grenze. Zeitweilig in Arbeits¬
lagern interniert und aufgrund des Verbots von Erwerbstätigkeit
für Emigranten in bedrückender finanzieller Situation lebend,
hatte er dennoch die Möglichkeit gefunden, Stücke zu schreiben.
„Österreicher durch und durch: genauer Wiener“, war er nach
der Befreiung Österreichs in der Schweiz geblieben und in Zü¬
rich „als österreichischer Staatsangehöriger ansässig“ geworden.
Zu denjenigen, die in Wien seine Stücke lobten, gehörte der
Theaterkritiker Hans Weigel, mit dem er seit dem Schweizer Exil
freundschaftlich verbunden war und der nach 1945 auf anderen
Feldern des Kulturbetriebs seine Erfolge hatte.” Trotz mancher
Übereinstimmungen unterscheidet sich dessen Situation jedoch
von der Fritz Hochwälders, denn Weigel war nach der Befreiung
Österreichs so rasch wie möglich nach Wien zurückgekehrt.
Erfolg ist freilich eine äußerliche Bestimmung, und lange Zeit
hieß sie in Wien „Burgtheater-Autor“; die Wirkung eines solchen
Ranges hat Fritz Hochwälder selbst 1947 in einem Brief an den
befreundeten Philosophen Hermann Levin Goldschmidt beschrie¬
ben, als wäre es die Szene einer Komödie. Hochwälder schildert,
wie er in Bern den österreichischen Pass beantragte: „[Ich] pilgerte
also zur österr. Gesandtschaft, wo man mir sagte, die Ausstellung
werde wochenlang dauern, worauf, zwar schr ungern, aber ener¬
gisch, verlangte ich zum zuständigen Beamten geführt zu werden,
natürlich einem Regierungsrat ... Dem zeigte ich nonchalant den
Waschzettel der Universal-Edition von wegen Burgtheater, und sofort
machte der Regierungsrat ein altösterr. Buckerl und versprach mir
den Pass binnen sechs Tagen. Na — was willst mehr?“ Der Brief gibt
überdies einen Einblick in die Arbeit des Dramatikers an seinem
Schauspiel „Der öffentliche Ankläger“, das ihm „trotz hundert Ver¬
suchen bisher missglücken musste - eigentlich weniger missglücken
als abgelehnt werden vom unbewussten Kunstrichter in mir, der
entschieden klüger sein muss — darauf komme ich immer mehr
— als der äussere Hochwälder samt seinem ebenfalls sehr äusseren
Ruhm ...“. Aber, so Hochwälder abschließend: „Der Stoff ist viel
toller und und ergiebiger, als der erfindende und konstruierende
Verstand ihn bisher ergriffen hat!! Ich glaube unerschütterlich daran
— wär ich Sophokles, so wär mir um ein tausendjähriges Zugstück
nicht bang, da ich aber nur Hochwälder bin, muss ich behutsam

vorgehen und es muss mir schr bang sein ...“

Tradition, Aktualität, Novität

Fritz Hochwälder, der seine Dramen nicht als Literatur ansah, war
mit Kritik an ihnen keineswegs zurückhaltend, auch wurden sie
ihm nach ihrer Fertigstellung bald fremd. Dem steht das Selbst¬
bewusstsein eines Dramatikers gegenüber, der das Schreiben von

Entnommen dem von Herwig Würtz herausgegebenen Katalog der Wiener
Stadt- und Landesbibliothek „Fritz Hochwälder“ (Wien 1991).

Dramen als ‚Handwerk‘ verstand, dessen Regeln unumstößliche
Geltung haben. Es war weniger die Form, die ihm angesichts der
Inhalte zum Problem wurde, als die Frage, wie der richtige Inhalt
zu finden und in die feststehende Form einzupassen sei.

Gerne bezog sich Hochwälder in autobiographischen Äußerungen
auf die Tradition des Volkstheaters: „Die Tradition, der ich mich
zugehörig fühle, ist die des Wiener Volkstheaters. Und nichts, keine
Zeitwidrigkeit, kein Exodus, kann eine Tradition, die man einmal
in sich aufgenommen hat, verdrängen und ersetzen.“” Raimund
und Nestroy waren die von ihm bewunderten Dramatiker, beson¬
ders aber war er von der Figur des Hanswurst fasziniert, die denn
auch in manchen seiner Theaterfiguren zu erkennen ist. Drückte
Hochwalder also auf diese Weise seine Verbundenheit mit dem
österreichischen Iheater aus, so blieb er zugleich auf Distanz zu
deutschen Traditionen, etwa zum Ideendrama Schiller’scher Pra¬
gung, das ja sonst häufig bei Dramen mit geschichtlichem Stoffund
einer Tendenz zum Moralischen als Vorbild wirkte. Dabei waren
Hochwälders Stücke wie klassische Dramen gebaut: Exposition,
Peripetie, Einheit der Zeit, des Ortes, der Handlung — das wirkte
wie eine Umgehung der Krise des Dramas und ihrer ins Epische
weisenden formalen Folgen, die der junge Peter Szondi 1953/54
in Zürich in seiner berühmt gewordenen Dissertation „Theorie des
modernen Dramas“ analysiert hat. Wenn Hochwälder die analy¬
tische Technik zu Hilfe nahm, um den traditionellen Bau seiner
Dramen aufrechtzuerhalten, erinnerte sein Verfahren allenfalls an
die Dramaturgie Ibsens.

Die Geschichte des Burgtheaters war lange Zeit dadurch gekenn¬
zeichnet, dass wesentliche Autoren, die heute der Geschichte des
modernen Dramas zugeordnet werden, nicht oder kaum gespielt
wurden.‘ Das galt auch für die Periode, während der es zahlreiche
Aufführungen von Hochwalder-Stiicken gab, und die bis in die
1960er Jahre reichte. Berthold Viertels Inszenierungen zeitgenös¬
sischer amerikanischer Stücke waren zwar erfolgreiche Ausnah¬
men, wurden aber durchaus aufgrund ihrer epischen Tendenzen
angegriffen.” Daneben gab es einen eigentümlichen Modus von
Modernität und Zeitgenossenschaft: Adolf Rott, während des

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