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Thomas Aichhorn

In einem nicht erhaltenen Schreiben dürfte August Aichhorn Anna
Freud gefragt haben, ob sie damit einverstanden sei, wenn er versu¬
che, die Wiener Psychoanalytische Vereinigung wiederzueröffnen.
Daraufhin hatte sie ihm am 17. Sepember 1945 geantwortet: „If
you think that it is possible to have an Institute again, then I am
sure you are right. Anyway, I would always trust your judgment
of any situation” (Aichhorn Th. 2012, S. 168).

Um die Ausgangslage im Jahr 1945 besser verstehen zu können,
ist es nötig, sich die Ereignisse im Frühjahr 1938 zu vergegenwär¬
tigen. Es war nämlich keineswegs selbstverständlich, dass Anna
Freud Aichhorns Projekt, die Wiener Psychoanalytische Vereini¬
gung wiederzueröffnen, gutheißen und unterstützen würde. Für
ihn war es aber entscheidend, von ihr zu erfahren, was sie davon
hielt, da er offenbar nichts unternehmen wollte, dem sie nicht
zugestimmt hatte.

Zur Vorgeschichte:

Durch den Einmarsch deutscher Truppen in den Morgenstunden
des 12. März 1938 war die Machtübernahme der Nationalsozia¬
listen in Österreich vollzogen worden. Bereits am darauffolgenden
Sonntag, dem 13. März, fand eine Vorstandssitzung der Wiener
Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) statt: Zwei Beschlüsse
wurden gefasst: Dass alle Mitglieder sobald als möglich aus dem
Land fliehen sollten und dass der Sitz der Vereinigung dorthin zu
verlegen sei, wo Freud sich niederlassen werde. Freud sagte dazu:
„Unmittelbar nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch
Titus erbat Rabbi Jochanan ben Sakkai! die Erlaubnis, die erste
Thoraschule in Jabne zu eröffnen. Wir sind im Begriff, dasselbe
zu tun“ (Jones 1957, S. 262; Sterba 1982, S. 164). Und Robert
Wälder? berichtete: „Freud gab allen Mitgliedern die Hand und
sagte dabei, daß nun nichts mehr getan werden könne“ (Molnar
1992, S. 409).

Wenige Tage danach, nämlich am 16. März, war von der Bezirks¬
leitung der NSDAP Alsergrund, dem Bezirk in dem sich Freuds
Wohnung und die Einrichtungen der WPV befanden, Anton
Sauerwald? als kommissarischer Leiter der WPV eingesetzt worden.
Sauerwald dürfte zunächst angenommen haben, dass er damit
die Kontrolle über die WPV und ihre Institutionen übertragen
bekommen hatte und dass er über die Zukunft der Vereinigung
entscheiden konnte. Am 20. März hatte er eine Sitzung einberu¬
fen, als deren Ergebnis beschlossen worden war, dass die damals
noch bestehende Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft die
Rechte und Pflichten und das Vermögen der WPV übernehmen
solle. Letztlich konnte nichts von dem, was bei dieser Sitzung
vereinbart worden war, umgesetzt werden, da die Schließung
der WPV bereits von Berlin aus geplant und vorbereitet gewesen
war. Das gesamte Vermögen der WPV wurde eingezogen und
an den „Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und
Verbände“ abgeliefert. Das Ambulatorium der WPV wurde von
Heinrich Kogerer‘ übernommen, die Wohnung im ersten Stock

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des Hauses Berggase 7, in der der Verein untergebracht war, wurde
samt Inventar beschlagnahmt und vom Orientalischen Institut
der Universität Wien übernommen. Was mit der Bibliothek der
WPV geschah, konnte bisher nicht geklärt werden.’

Die Wiener Vereinigung hatte 1938 wahrscheinlich - es gibt für
dieses Jahr keine offizielle Mitgliederliste mehr — 68 Ordentliche
und Außerordentliche Mitglieder und 38 Kandidaten. Sie dürften
Wien großteils zwischen Mitte Mai und Mitte Juli verlassen haben.

Trotz vielfältigster Anstrengungen konnten Ernst Paul Hoffman,
Robert Hans Jokl, Nikola Sugar und Rosa Walk nicht aus dem
von den Nationalsozialisten besetzten Europa gerettet werden.

Ernst Paul Hoffmann (1891-1944), der 1940 in Brüssel während
einer Analysestunde verhaftet worden war, wurde in Internie¬
rungslager nach Südfrankreich gebracht. 1942 kam er frei und
konnte in die Schweiz flüchten, wo er im Dezember 1944 an den
Folgen einer Magenoperation starb.

Robert Hans Jokl (1890-1975) floh über die Schweiz und Italien
nach Südfrankreich. Er und seine Frau wurden 1942 interniert.
Im Mai 1946 kehrte er nach Wien zurück und beteiligte sich am
Wiederaufbau der WPV. Er war das einzige Mitglied der „alten“
WPYV, das — wenn auch nur fiir kurze Zeit — nach Wien zurückkam.
Bereits im Winter 1947/48 ging er an die Menninger Klinik in
Topeka, USA. Im Sommer 1952 iibersiedelte er nach Los Angeles.

Nikola Sugar (1897-1945), der in Belgrad gelebt hatte, war 1941
nach Subotica übersiedelt. Er wurde 1944 zunächst nach Bergen¬
Belsen und anschließend nach Theresienstadt deportiert, wo er
am 15. Mai 1945 gestorben ist, also etwa eine Woche nachdem
die Rote Armee Theresienstadt befreit hatte.

Rosa Walk (1893-1942) war 1938 nach Paris geflohen, wo sie
als Psychoanalytikerin arbeitete. Sie nahm sich, als sie in Paris
von der Gestapo verhaftet worden war, durch einen Sprung aus
dem Fenster das Leben.

Von den Mitgliedern der WPV waren nur August Aichhorn,°
Richard Nepallek’ und Alfred Winterstein® in Wien zuriickge¬
blieben. Nepallek starb 1940 unter ungeklärten Umständen an
einer Leuchtgasvergiftung, Winterstein, der jüdische Vorfahren
hatte, war bemüht, während der nationalsozialistischen Herrschaft
ein möglichst unauffälliges Leben zu führen. Aichhorn war das
einzige Mitglied der WPV, das Mitglied der Deutschen Psycho¬
analytischen Gesellschaft, damit auch des „Deutschen Instituts
für Psychologische Forschung und Psychotherapie“ wurde. Ein
wesentliches Motiv seiner Handlungsweise war seine Hoffnung,
dadurch seinen Sohn unterstützen zu können, der unmittelbar
nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verhaftet

und in ein Konzentrationslager eingeliefert worden war.”

Vorbereitungen zur Wiedereröffnung der WPV:

Am 31.5. 1945 schrieb Aichhorn aus Frankenfels, NÖ, wohin er
sich im Sommer 1944 zurückgezogen hatte, an eine Freundin: „Mir
ist der Aufenthalt hier schon schrecklich, aber die Unmöglichkeit