Bronia Krauthamer
Die Toten auf dem Rücken
An meine Großmutter, die in Kolomya erschossen
wurde und an die Tanten und Onkel, die ich nie gekannt
EI mole rachamim
Skelette ohne Köpfe
Köpfe ohne Skelette
Vergessene Tote
Ahnen ohne Antlitz
Gequält, getötet, erschossen, ermordet
Genannt David, Moses, Noa,
Sara, Lea und Bro ...
Nein, nicht Bronia, denn ich, ich lebe
Denn sie ist die Großmutter
Aber ich lebe.
Erbarmen für ihre Seele
EI mole rachamim
Auf ihrem späten Grab
Endlich Kadisch
Und Frieden
Den vergessenen Ahnen
Und allen Erschossenen.
Die Seelen der Unschuldigen
Sind im Jenseits entschwunden.
Sie sind jetzt Heilige.
EI mole rachamim.
Auf dem Rücken
Ein Sack voll Toter
Und Erschossener
Schweigende Last
Zu schleppen
Zu ertragen.
Der Rücken krümmt sich
Tut weh.
Schmerz und Trauer und
Kein Grab.
Last des Schweigens.
Pflicht des Gedenkens
Aber Leben
Freude am Leben und
In die Zukunft sehen.
Die eisigen Finger
Werden sie zwicken,
Die toten Arme
Sie schlagen,
Ihr kalter Hauch
Sie verfolgen,
Ihre Schmerzensschreie
Sie verfluchen,
Ihr Durst und ihr Hunger
Sie quälen,
Ihre Angst
Sie erschrecken,
Ihre toten Stimmen
Werden ihren Peinigern
Im Jenseits
Kommandieren,
Ihnen, die sich allmächtig glaubten;
Die Mörder ruhen nicht in Frieden ...
In ihren Luxuszellen
Spotten die biederen Verbrecher
Über die Justiz und
Schreiben ihre Memoiren.
Verbrecher spielen Schriftsteller.
Und der Widerstand?
Sie hieß Bronia
So wie ich
Aber ich bin lebendig.
Und heiße auch
Bracha, Gesegnete, Segen.
Ich heiße wie eine lebendige,
Wie eine, die heute lebt.
Ich habe meine Großmutter niemals gekannt
Bronia Krauthamer, gebürtige Wienerin, hat im französischen
Lyzeum in Wien maturiert und anschließend in Paris Französisch,
Deutsch und Schauspielerei studiert. Arbeit als Deutschprofessorin,
Schauspielerin und Synchronsprecherin. Schreibt Märchen, Gedichte
und Satirisches. Lesungen im „Gschamsten Diener“. Publikationen
im Gange. Schreibwerkstatt in Paris „Le gout de la vie“.