ermordet / Ida Maly: Eine Grazer Künstlerin als
Opfer der NS-Euthanasie / Josef Kohler: „Er wird
wegen öffentlicher Wehrkraftzersetzung zum Tode
verurteilt.“ / Karl Drews: Ein Flugblatt gegen die
NS-Euthanasie
Zwei Mal „Franz Baranyai“ ist kein Irrtum,
sondern hier werden zwei unterschiedliche
Schicksale zweier nicht verwandter Männer
gleichen Namens geschildert. Mehr als vierzig
Kurzbiographien völlig unterschiedlicher Stei¬
rerinnen und Steirer über alle Kapitel verstreut
„verdeutlichen, wie sich Menschen unter den
Bedingungen der nationalsozialistischen Dikta¬
tur verhielten, ... wie sie ihre kleinen und gro¬
ßen Handlungsspielräume nutzten, wie und aus
welchen Gründen die Menschen litten, aufbe¬
gehrten, den Ereignissen zuschauten oder auch
Verbrechen begingen“, heißt es im Editorial.
Auf diese Weise gelingt es den Autoren, den
Leserinnen und Lesern, die immer weiter in
die Vergangenheit entschwindende NS-Periode
nachvollziehbar zu vergegenwärtigen. Auch dies
basiert auf solider wissenschaftlicher Forschung,
konnten sich die beiden Autoren für dieses
Buch doch sowohl auf Material stützen, das sie
gemeinsam mit Ursula Mindler für die 2008
Der Sammelband zum Thema Rechtsextremis¬
mus, herausgegeben von der Wiener Forschungs¬
gruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit
(FIPU), spannt einen Bogen von der Analyse
des Rechtsextremismusbegriffs, der kritischen
Beleuchtung gegenwärtiger Forschung und ihrer
„notorischen Geschlechterblindheit“ (d.i. die
Auslassung von Sexismus und Antifeminismus
bei der Analyse ihres Gegenstands) hin zu ideo¬
logiekritischer Betrachtung von „Islamophobie“¬
Forschung und BettlerInnenfeindlichkeit,
benennt zentrale AkteurInnen der extremen
Rechten in Österreich, reflektiert gegenwärtige
antifaschistische Praxis und dokumentiert jüngs¬
te rechtsextreme Vorfälle und Gewalttaten in
Österreich.
Theoretisches Kernstück der Analysen ist eine
Kritik gegenwärtig in Mode gekommender Ext¬
remismustheorien bei gleichzeitiger Aufrechter¬
haltung eines analytisch in Inhalt und Umfang
genau zu bestimmenden Rechtsextremismusbe¬
griffs. Rechtsextremismus sei nicht als der „po¬
litischen Mitte“ entgegengesetzt, sondern als
„konsequente Zuspitzung von Normalität“
(S. 79), die genau in dieser „Mitte“ generiert
wird, zu begreifen. Die Extremismustheorie
(„deren führende Proponenten in ihrer Mehr¬
heit männliche Wissenschafter sind“, S. 63)
tendiere zu einer Gleichsetzung radikal ver¬
schiedender Phänomene und Theorien politi¬
schen Handelns, mithin zu einer Relativierung
rechtsexremistischer Ideolgien: „Aufgrund der
strikten Unterscheidung zwischen extremisti¬
schen Randphänomenen einerseits und der
‘politischen Mitte’ andererseits kann die Ext¬
remismustheorie die Diffusion rechtsextremer
eröffnete Grazer Stadtmuseums-Ausstellung
und den Katalog „unsichtbar. NS-Herrschaft:
Verfolgung und Widerstand in der Steiermark“
zusammengetragen hatten, sondern auch auf
das von ihnen (ebenfalls mit Ursula Mindler)
2012 bei Böhlau herausgegebene 541 Seiten
starke Werk „NS-Herrschaft in der Steiermark.
Positionen und Diskurse“.
Allerdings kommt sowohl dort, als auch in
dem nun erschienenen Werk ein nicht unwe¬
sentlicher Komplex zu kurz, der heutzutage
generell nicht mit großer Begeisterung thema¬
tisiert wird. So nennen die Autoren zwar bei
der Vorgeschichte des Nationalsozialismus die
im politischen und wirtschaftlichen Leben der
Steiermark bedeutende, in deutschem Eigen¬
tum stehende Alpine Montangesellschaft, die
im Kampf gegen die Arbeiterbewegung seit
den 20-er Jahren die Heimwehr unterstützt
und eine gewerkschaftliche Spaltung finanziert
hatte; aber dass die Alpine Montan bei ihrer
politisch-finanziellen Einflussnahme auch zur
Zeit des Austrofaschismus keine Grenzen zum
Nationalsozialismus kannte, wie bei so manch
anderen Geldflüssen und Beziehungsgeflech¬
ten des Bank- und Industriekapitals, die die
Ideologiefragmente im politischen Mainstream
nicht erfassen“ (S. 100). Der diesem Buch zu¬
grundeliegende Rechtsextremismusbegriff, der
sich an den Arbeiten Willibald Holzers orien¬
tiert, dagegen eigne sich nicht dazu, „die ge¬
samtgesellschaftliche Virulenz von Rassimus,
Nationalismus zu verleugnen, links mit rechts
gleichzusetzen und antifaschistische Aktivitäten
zu delegitimieren, sondern [ist] vielmehr im¬
stande [...], gerade die politisch-ideologischen
Kontinuitäten zwischen Norm und Rand, zwi¬
schen Konservatismus und Rechtsexremismus
theoretisch zu fassen“ (S. 69).
Diese Kontinuitäten werden nicht zuletzt in
der Analyse der Verfassungsschutzberichte seit
2000 („Teil des Problems? Der österreichische
Verfassungsschutz und Rechtsexremismus“, S.
90-113) deutlich. Sie (die Analyse) zeige „eine
Tendenz des Verschwindens von Rechtsextre¬
mismus in den letzten Jahren.“ (S. 103) Von
einem tatsächlichen Schwinden rechtsextremer
Taten kann freilich keine Rede sein, wie in der
„Unvollständigeln] Chronik des Rechtsextremis¬
mus in Österreich 2013“ (S. 226-269) am Ende
des Bandes dargelegt wird. Rechtsextreme Or¬
ganisationen und AkteurInnen, „die Teil des
etablierten politischen Feldes sind [z.B. FPÖ¬
nahe Zeitungen wie Aula und Zur Zeit, deutsch¬
nationale Burschenschaften etc.], [werden] aus
dem Verfassungsschutzbericht weggelassen“
(S. 104). Besonders deutlich werde dies mit
dem Jahr 2001 und der Regierungskoalition
aus ÖVP und FPÖ. „Rechtsextreme Ideolo¬
gie- und Diskursfragmente in der 'Mitte der
Gesellschaft' werden dabei verdeckt und im Ge¬
genzug gleichzeitig legitimiert“, wie am Beispiel
Massenbasis des Nationalsozialismus entwickeln
halfen, wird leider nicht beleuchtet. Wie auch
für die Zeit nach dem „Anschluss“ der nahezu
bruchlose wirtschaftliche Übergang des steiri¬
schen Finanz- und Industriekapitals samt ent¬
sprechender Eingliederung in das großdeutsche
Expansionsprogramm wie dessen Förderung
unterbelichtet bleiben. Nichtsdestotrotz haben
Halbrainer/Lamprecht ein fundiertes, gut lesba¬
res Werk geschaffen, das über die Regionalge¬
schichte hinausweist und als Standardwerk die¬
nen könnte, das für Leserinnen und Leser jeden
Alters nützlich und lehrreich ist. Zu befürchten
ist allerdings, dass die Karners demgegenüber
weiterhin dafür sorgen werden, dass Ingeborg
Bachmann recht behält mit ihrer nicht von der
Hand zu weisenden Einsicht: „Die Geschichte
lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler.“
Karl Wimmler
Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht: Natio¬
nalsozialismus in der Steiermark. Opfer. Täter.
Gegner. Innsbruck u.a.: Studienverlag 2015. 464
S. € 24,90 (Bd.4 der von erinnern.at hg. Reihe
„Nationalsozialismus in den österreichischen Bun¬
der Zeitschrift Zur Zeit, deren Erwähnung als
rechtsextrem im Verfassungsschutzbericht 2000
offenbar später „vergessen“ und die „für ihr Be¬
mühen“ im Folgejahr mit einer Presseförderung
von ATS 861.364,50 (62.597,80 EUR) (vgl. S.
105) belohnt wurde, offensichtlich wird. Seit
2008 werden rechtsextreme AkteurInnen nur
mehr implizit beschrieben und nicht mehr na¬
mentlich genannt (S. 107). Die Conclusio ist,
dass „Rechtsextremismus in den Berichten des
BVT [Bundesamt für Verfassungsschutz und
Terrorismusbekämpfung] zunehmend zu einem
abstrakten Phänomen [wird], dessen Existenz
zwar bestätigt, aber nicht dezidiert sichtbar ge¬
macht wird.“
Eine der Stärken des Buches liegt in seiner
Verknüpfung von hohem wissenschaftlichem
Anspruch einerseits und Dokumentation kon¬
kreter Ausformungen des Rechtsextremismus in
Österreich andererseits. In diesem Sinne rich¬
tet sich das AutorInnenkollektiv „nicht nur an
eine „Leser_innenschaft mit rein akademischem
Interesse, sondern auch und vor allem an Men¬
schen, denen an der Kritik und letztendlichen
Überwindung herrschender Verhältnisse gelegen
ist“ (S. 12). All jenen, die den gesellschaftspoliti¬
schen Entwicklungen in Österreich und darüber
hinaus kritisch gegenüber stehen, sei dieser aus¬
gezeichnete Sammelband wärmstens empfohlen.
Daniel Müller
Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der
Ungleichheit (Wien) (Hg.): Rechtsextremismus.
Entwicklungen und Analysen — Band 1. Wien:
Mandelbaum 2014. 2725. € 19,90