Ziehharmonika“ willen, die 2000 in „Zwischenwelt“ umbenannt
wurde. Ich erinnere mich an die ernsten Vorhaltungen, die sie
mir deswegen an einem 1. Mai in dem dem Wiener Rathausplatz
gegenüberliegenden Cafe Landtmann machte. Sie drohte sogar
mit Austritt. Ich konnte sie einigermaßen beschwichtigen, indem
ich ihr versprach, das Zitat aus dem Kramer-Gedicht auf dem
Titelblatt werde erhalten bleiben. Meine Erklärung, wir hätten es
satt, als eine Zeitschrift für Volksmusik und dergleichen versehen
zu werden, imponierte ihr wenig. Vermutlich ging es ihr wie
vielen: der Name „Mit der Ziehharmonika“ war zwar gewöh¬
nungsbedürftig, hatte man sich jedoch einmal an ihn gewöhnt,
wollte man ihn nicht mehr missen.
Bei der Verabschiedung Theas in der Feuerhalle des Wiener
Zentralfriedhofs erinnerte Tony Scholl, der Sohn, daran, daß
Edith Hueber
Spurensuche...
DER WEGWEISER VERWISCHT:
Gelbe Körner weisen
die Spur,
Zu vielen Schritten
im Sande gesetzt,
füge ich meine. —
Ihre Spuren waren nicht einfach zu finden. Doch wir alle hinter¬
lassen Spuren: Menschen, die wir liebten, Orte, die uns wichtig
und vertraut waren, Arbeit, Werke und Erlebnisse, Begegnungen
und Situationen, die untrennbar mit uns verbunden bleiben.
Niemand kann die Vergangenheit zerstören, doch das einzige
Zauberwort, auf das hin ihre Türen sich öffnen, ist der Wunsch
zu wissen und zu verstehen.
Zu den Jahren fügten sich Jahre, und da Vertrautheit Nähe
schafft, der auch die Zeit nichts anhaben kann, wurde mir dies erst
wirklich bewusst, als ich die Spuren von Eva Loewenthal suchte.
Denn eine Generation ist wieder dabei, sich zu verabschieden.
Aber durch Erzählen, Zuhören, Nachfragen und Weitererzählen
dehnt sich der Radius der eigenen Erinnerungen aus. Sich erin¬
nern weist einen Weg, gibt Hoffnung, sich gemeinsam erinnern
schafft Beziehung.
Eva Loewenthal wurde 1913 in Wien geboren, „bürgerlich gebo¬
ren“, wie sie es nannte. Ihre Kindheit verbrachte sie in Döbling,
sie stammte aus einer assimilierten jüdischen Familie.
Emil Möslinger, ein Freund und Nachbar, zeigte mir den Ort,
wo sie in einem 20m? großen Raum, der eine Kochnische hatte,
nach der Rückkehr aus dem Exil wohnte: in einem der ersten
Gemeindebauten in den Steinhofgründen, Dustmannweg 43/2.
Das war ihre Adresse. Besonders seine verstorbene Frau ist mit ihr
befreundet gewesen, erzählte er, sie hat sich auch um sie gekümmert,
denn gekränkelt hat sie immer. Ziemlich bald nach ihrer Rückkehr
aus dem Exil in England ist sie dort eingezogen und bis zu ihrem
Umzug ins Maimonides-Zentrum war es ihr Zuhause gewesen. In
der Siedlung wurde sie akzeptiert und respektiert. Bekanntschaften
hat sie sich gezielt ausgesucht. Sie war ein sehr genügsamer und
die verstorbene Mutter bis zuletzt das Tagesgeschehen mit großer
Sorge verfolgt hatte:
... Du hattest in der letzten Zeit, ob allem was passierte, große
Angst und Sorge, nicht um Dich selbst, aber um Deine Kinder, Enkel
und Urenkel. Wie wird die Zukunft für uns sein? Steuern wir einer
neuen Katastrophe zu, ähnlich der, die Du und Papa schon erlebt
hattet. Das hat Dich unglaublich beunruhigt.
So geht es heute leider vielen. Die Hoffnung aber, etwas zum
Besseren zu wenden, die Ihea Scholl und andere antrieb, aus dem
Exil nach Österreich zurückzukehren, war dennoch berechtigt.
Für Hinweise und Informationen danke ich Susanne und Tony Scholl.
Susanne Scholl bezieht sich in ihrem Buch „Elsas Grofväter“ (2003)
vielfach auch auf ihre Mutter Thea.
zurückhaltender Mensch, sagte er. Nie hat sie über jemanden ein
böses Wort gesagt.
Einsam war sie gewesen, so richtig lachen hat er sie nie gehört, ein
Schmunzeln war das Höchste.
Sie war in der SPÖ Parteimitglied und in der Sektion 13 in
Ottakring Schriftführerin, ehrenamtlich.
Sie dachte nicht in Hierarchien, nicht in oben und unten, sie
setzte dem eine situationsbezogene Distanz entgegen. Ich bin
wenigen Menschen begegnet, die demokratisches Denken in dem
Maße verinnerlicht haben wie sie. Sie dachte nicht nur sozialistisch
und demokratisch, sondern sie handelte auch danach. Sie gehörte
zu den intellektuellen Frauen ihrer Generation, die darin eine
Aufgabe sahen, Vorbild zu sein, wenn es um Gleichberechtigung
und Selbstverwirklichung ging.
Auf Kleidung hat sie keinen Wert gelegt, sie war hübsch, hat aber
nichts aus sich gemacht. Ins Konzert und Theater ist sie schon ab und
zu gegangen, grofse Reisen hat sie nie gemacht. Sie war sehr gescheit,
hat aber nie mit ihrem Wissen geprahlt. Das Schreiben war für sie
sehr wichtig, nur wusste ich mit ihren Gedichten wenig anzufangen,
erzählte Emil Möslinger weiter.
Arm war sie, nein, verhärmt, sie hatte keine Familie, keine Ver¬
wandten, sie war ganz allein, über ihre Kindheit und über das Exil
in England hat sie nichts erzählt, jedenfalls mir nicht, vielleicht
meiner verstorbenen Frau. Sie hat mir vertraut und ich ihr auch.
Nicht weit von ihr wohnte Irmgard Novak, deren Vater im Wi¬
derstand tätig war. Als Mitglied der Gruppe Weissl wurde er
verhaftet und war 18 Monate im KZ Mauthausen.
Man kann sagen, wir waren Nachbarn, erzählte sie. Meine Mutter
hatte sich mit ihr angefreundet, sie hat uns oft besucht. An Feiertagen
haben wir sie zum Essen eingeladen. Wir haben viel politisiert und
über Literatur gesprochen, aber über das Exil und ihre Kindheit nie.
Ich glaube, dass sie einmal erwähnte, dass ihr Vater Jurist gewesen sei.
Ich war damals ein Teenager, Englisch habe ich durch sie gelernt
und sie hat mir immer Bücher mitgebracht. Mein Talent fürs Malen
und Schreiben hat sie mitgefördert. Der Kontakt ist nie abgebrochen,
auch als ich dort nicht mehr wohnte. Im Maimonides-Zentrum habe
ich sie auch besucht, sie hat sich dort sehr wohl gefühlt.