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die kleine hündin vor dem blockeingang und stupste mit ihrer
schnauze gegen ihr schüsselchen.

nachdem oma ihr ein bisschen milch eingegossen hatte, zog sie
wieder los und kratzte erst abends wieder an der wohnungstür.

zwei schwangerschaften hatten wir mit ihr durchgemacht. beim
ersten mal hatte sie drei welpen geworfen. die quietschten und
winselten im körbchen neben dem kachelofen. ich winselte und
weinte, als papa sie im fluss ertränken wollte. ich versprach, sie
irgendwie bei freunden unterbringen zu können. hoch und heilig.
den kleinsten bekam nicu. wir tauften ihn toto.

die anderen beiden landeten bei schulfreundinnen mit garten. ich
wusste, dass sie nicht so herumstreunen durften wie belle. dass sie
im garten angekettet waren und als lebende alarmanlagen dienten.

beim zweiten mal warf belle vier welpen. ich wurde nur zwei
los und papa gnadenlos.

die welpen, die ich nicht unterbringen konnte, steckte er in
einen sack, ging damit zur kleinen hängebrücke, weil da weniger
menschen waren. die hätten wahrscheinlich ch nichts gesagt.
wahrscheinlich standen dort gerade mehrere väter mit weinenden
kindern zuhause und hundewelpen im sack.

eine woche lang sprach ich kein einziges wort mit meinem vater.

und nach zwei monaten verschwand auch belle. kam einfach
nicht mehr zurück. mama liebte pekinesen, fand sie waren schöne
hunde und war felsenfest davon überzeugt, belle sei aufgrund ihrer
schönheit gestohlen worden. sie hätte sie in einer hellblauen dacia
gesehen. sie schwor, es sei unsere belle gewesen.

in diesem sommer lag ich verschwitzt im bett und horchte

belles bellen nach.

keinen strand, sondern sägespäne gab es für mich in jenem letzten
sozialistischen sommer. die ferien verbrachte ich damit allen nach¬
barn aus unserem block dabei zu helfen die großen holzstämme
in kleine holzscheite zu hacken, die dann im winter leicht in die
kachelöfen passten.

es war zwar mühsam feuer zu machen. die wohnung wurde
immer viel zu warm und kühlte in der nacht ab, sodass mich
morgens vor der schule meist fröstelte. doch immerhin wurde es
bei uns warm. so warm, dass nicus eltern papa gebeten hatten,
ihren sohn über den februar bei uns einzuquartieren, da ihr block
zentralheizung hatte. und diese seit anfang des jahres kaum noch
geheizt wurde. wir zwei freuten uns riesig. fühlten uns wie zwei
echte brüder, bis zum frühling, als es wieder wärmer wurde.

jetzt lag nicu sicherlich am strand und seine eltern, die den
winter in jacken und decken gehüllt verbracht hatten, freuten sich
über den sonnenschein auf ihrer haut, die dann in drei wochen
knackig braun sein würde.

ich dagegen spielte währenddessen nur strand. sammelte die
vielen sägespäne auf, die wie wasserstrahlen aus den holzstäimmen
zu spritzen schienen, wenn die kettensäge durch sie hindurch
ging. die späne schaufelte ich in einen großen eimer und leerte
sie auf einen haufen vor unserer garage. legte mich mit nacktem
oberkörper drauf, sonnte mich und phantasierte mich an den
strand. das meeresrauschen kam dabei aus der großen muschel,
die ich mir ans ohr hielt.

mit dem helfen verdiente ich mir ein paar lei dazu. eigentlich
nicht für mich, mehr für papa und oma. und ein bisschen für
mama. sie sollte hören, wie fleißig ich diesen sommer gewesen

war. ich hätte auch nicht gewusst, was ich mir von dem geld
hätte kaufen sollen. im grunde genommen gab es ja nichts. nur
die miete, die wir zahlen mussten, mit der wir jetzt immer öfter
hinterher waren.

ende august war unsere garage wieder von oben bis unten voller
holzscheite und ich stolz darauf, da ich einen großen beitrag dazu
geleistet hatte.

der sommer neigte sich seinem ende zu und bald würde die
schule wieder losgehen. auf die ich mich diesmal überhaupt nicht
freute. nach den drei monaten ferien hatte ich richtig angst vor
der schule. vor frau winter und den schlechten noten. hatte fest
beschlossen das letzte schuljahr unter dieser klassenleitung als
guter genosse hinter mich zu bringen. das einzige, worauf mama
wohl nicht stolz sein würde, dachte ich.

ich berichtete von meinem sommer als fleißiger arbeiter, der
lieber gutes für die sozialistische gemeinschaft getan und freiwillig
auf den urlaub am strand verzichtet hatte. die sache mit dem strand
aus sägespänen ließ ich bei meiner nacherzählung natürlich aus.

der platz neben mir blieb leer. nicu kam nicht mehr zur schule.
jeden tag ging ich zu seiner wohnung, doch keiner machte mir
auf. jeden tag rief ich beinahe stündlich an und oma schimpfte
schon wegen der hohen telefonrechnung.

frau winter erwähnte nicus namen nicht mehr in der klasse,
was ziemlich merkwürdig war. so, als ob er niemals existiert hätte.
und es fühlte sich noch merkwürdiger an, als frau winter wie aus
dem nichts in einer deutschstunde nicoletta, das mädchen, das
damals einen welpen von uns bekommen hatte, neben mich setzte.

fliisternd fragte sie mich, ob es denn stimmte. was stimmit3, fragte
ich zurück. stimmt es, dass nicu jetzt in deutschland ist? mein herz
blieb in dem moment stehen. nicht, weil das mädchen, in das ich
ein bisschen verliebt war, mir eine frage gestellt hatte, sondern
weil das die plausibelste antwort auf sein verschwinden war und
ich nichts davon gewusst hatte.

es bestätigte sich, als ich eines tages wieder einmal vor nicus block
stand und männer gerade möbel auf einen lastwagen packten.
ich erkannte den schrank aus nicus zimmer und seinen schreib¬
tisch. rannte die treppen hoch, wo mir gerade zwei männer mit
dem sofa der familie entgegenkamen. ganz aufgewühlt fragte ich
sie, wohin sie die möbel fahren würden. der schwitzende dicke
fuchte irgendwas von verräterschweinen und verrecken sollen sie.
der dünne lächelte und zwinkerte mir zu. ich wusste nicht, was
das zu bedeuten hatte.

ich setzte mich auf die treppe vor dem eingang und weinte,
während die sachen meines besten freundes nach und nach aus
der wohnung geschleppt wurden.

als alles auf dem lastwagen war, kam der dünne mann, der
mir zugezwinkert hatte, auf mich zu und gab mir einen zettel in
die hand. dann stieg er an der fahrerseite ein und fuhr mit dem
haushalt der familie davon. als ich den lastwagen nicht mehr schen
konnte, öffnete ich den zettel und las germania.

jetzt schau nicht so traurig, sagte oma und stellte mir einen teller
gemüsesuppe hin. hühnersuppe zum beruhigen meiner nerven
gab es seit längerer zeit nicht mehr.

er wird wohl jetzt in deutschland sein, fügte sie beruhigend hinzu.

Dezember 2015 43