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Afamia Al-Dayaa
Syrien ist schön

Am Strand dauert der Tag länger als in der Stadt.

Die mit kleinen Steinen bestickten Kleider der Tänzerinnen
funkeln im Sonnenlicht.

Die Tänzerinnen tanzen auf einer großen Terrasse, die zu einem
Restaurant gehört.

Die Terrasse ist mit Plastikplanen, die vor der Sonne schützen,

überdacht.

Ich bin dreizehn und bewundere die selbstbewussten Tänzerinnen,
die mich lachend in ihre Mitte ziehen, als wäre ich selbstverständ¬
lich eine von ihnen.

Nur wenige Meter weiter landauswärts vermischen sich die
Schallwellen der Musik mit den Wellen des Meeres.
Frauen, Kinder und Männer sind zufrieden.
Der Strand ist ruhig und friedlich, das Lachen laut.

Heute, so sagen die Dichter, sei der Strand rot vom Blut und der
Zahn des Todes zermalme die Männer.

Wo das Lachen einst laut war, übertönt Kriegslärm das Lachen
und vernichtet es dann.

Der Krieg vernichtet das Lachen der Menschen und vernichtet
dann auch die Menschen, die nicht mehr lachen.

Dann werden die Städte vernichtet, in denen die Menschen
nicht mehr leben, die einst gelacht haben.

Dieser Zustand muss Heimat genannt werden.

Wir fahren mit dem Auto von Tartous nach Saidnaya, einer
Stadt, die zwanzig bis dreißig Kilometer nördlich von Damaskus
im Qalamun-Gebirge aufeiner Höhe von erwa 1500 Metern liegt.

In Saidnaya wird immer noch ein Dialekt der aramäischen
Sprache gesprochen.

Wir betreten über einen schmalen Weg die Kirche St. Maria
und nehmen an einer Taufe teil.

Das Baby wird mehrmals von einem Pfarrer (Khoury) ins Wasser
des Taufbeckenes getaucht und mit Segensworten wieder hoch¬
gehoben.

Man nennt den Pfarrer „Abouna“, was so viel wie „unser Vater“
bedeutet.

Anschließend wird im Kreis der Familie gefeiert.

Immer gibt es einen Anlass zum Feiern und einen Anlass, um
großzügig zu sein.

Man schenkt mir eine Trommel, eine kleine Djembe.

Sie ist mit orientalischen Mustern und Kalligrafien verziert.
Man bringt mir bei, die Djembe zu spielen.

Ich habe das Instrument noch immer.
Manche Erinnerungen bewahrt man gerne auf.

46 ZWISCHENWELT

Im Krieg lernen die Kinder nicht Musizieren, denn vor den
Türen singen keine Chöre, sondern Raketen.

Die Kinder lernen auch nicht das Alphabet, sondern den Um¬
gang mit Waffen.
Immerhin: Wenn man zu spät kommt, wird man nicht bestraft.

Die Pessimisten schweigen betroffen, während die Optimisten
weinen.
Auf die, die einfach nur ihre Ruhe wollen, hört man nicht.
Experten versetzen sich in verschiedene Lagen.
Alle sind irgendwie ungünstig.
Die Fahrzeuge, so sagen die Dichter, fauchen.

Ich glaube, Straßen sind nur dann sinnvoll, wenn man sie auch
verlassen kann.

Die Fahrzeuge, von denen die Dichter heute sagen, dass sie
fauchen, fauchen nicht.

Sie werden beschwingt durch die Straßen gelenkt und manch¬
mal fährt man - zur Freude der Kinder, die in einem offenen
Anhänger sitzen und deren Haare im Fahrtwind wirbeln - eine
Runde mehr im Kreisverkehr.

Ich bin glücklich über diese zusätzliche Runde.

Ich bin das Kind, das wenige Stunden später achtlos — da ah¬
nungslos — ohne sich die Haare komplett verhüllt zu haben, zum
Eingang einer Moschee geht und dort sofort von einer Aufsichts¬
person ermahnt wird.

Das Kind sitzt in der Moschee auf dem Boden und hat die
Haare mit einem schwarzen Tuch bedeckt.

Es beobachtet die anderen Moscheebesucher und weiß nicht,
wie es sich verhalten soll.

Es weiß nicht, ob und wie es beten soll, geschweige denn, zu
wem es beten soll, denn scheinbar wird hier anders und außerdem
zu jemand anderem gebetet.

Der Khoury pocht auf die Bibel, der Imam auf den Koran.

3.

Durch welche Geräusche verraten sich Extremisten?
Irgendwann werden die Leichen nicht mehr zugedeckt.

Wenn jemand jemanden umbringt, ist das kein Grund zur
Aufregung.

Aufregend ist nur, dass man nicht weiß, wann und wie und
wo es geschehen wird.

Manch ein Mensch gilt schon auf Grund seines Namens als
verdächtig.

Wenn ein Auto durch einen Bombensprengsatz in die Luft geht,
könnte man das technisch betrachtet als einen Verkehrsunfall
bezeichnen.

Gesundheit ist nicht mehr das Wichtigste.