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Budapest Keleti. Das Versprechen der ungarischen Behörden ihn
in einem Zug in Richtung Österreich zu bringen, mag ihn dazu
bewogen haben einzusteigen. Der Zug aber stoppte in Bicske, die
Passagiere sollten in ein Anhaltelager abtransportiert werden. Sie
weigerten sich. Bundeskanzler Werner Faymann fühlte sich deshalb
an die „dunkelste Zeit unseres Kontinents“ erinnert. Zu Unrecht?

Bigott wäre des Kanzlers Aussage jedenfalls dann, wenn Orbän
weiterhin mit der Behauptung, es sei sein Job „die europäischen
Regeln aufrechtzuhalten“, unwidersprochen davonkommit. Jedes
der jüngsten Bekenntnisse zu einer menschlicheren, toleranteren
Asylpolitik ist wertlos, werden diese Bekenntnisse nicht zu Verbind¬
lichkeiten, findet die Europäische Union nicht zu einer Sprache,
die in der Lage ist, nicht nur über Handelsbilanzen adäquat zu
sprechen. Das Herausfordernde nämlich ist, dass rechtsnationale
Politiker wie Orbän nicht eindeutig rechtsbrüchig gegenüber den
gemeinsamen Regeln sind. Sie schlängeln sich durchaus zwischen
der’ Terminologie des herrschenden Bürokratismus und Rechtspo¬
sitivismus. Sie berufen sich auf diejenigen Regeln, die gesetzt sind,
sie etablieren ihren Jargon der Inhumanität mithilfe anerkannter
Phrasen. Da und dort eine Lüge (wie z.B., dass man nicht genau
wisse, wie es die Flüchtlinge an die Grenze geschafft haben), hin
und wieder eine erfundene „anti-ungarische Kampagne“ und
immer wieder ein Hinweis auf durchaus vorhandene Probleme
(freilich immer als Rechtfertigung für den nächsten Einschnitt in

Maren Rahmann
Spiel Traum Clown

Ich traumte von Hunderten, von Tausenden...
griechisch klappert es auf den Tischen —

ein Spiel, ein altes Spiel mit unzahlbar vielen kleinen
Spielsteinen, schaudernd geworfen aufs Holz
Nur wenig bewegt, entsteht ein neues Kunstwerk
Eine Handvoll Menschen aufs Spielbrett geworfen
Viel Glück kann man ihnen wünschen
Mehr nicht
Weil wir nicht wissen
nichts wissen
nicht gut, noch schlecht
nicht hell oder dunkel
Es gibt keine Ordnungen
selbst mit den Spielregeln tun wir uns schwer
Es ist, als würde man die Spielsteine ins Wasser werfen
und zusehen, ob sie untergehen
Wir sitzen am Rand des Spielfeldes und schauen zu von außen
Wir sehen die Glückszüge und Pechsträhnen
und ich wundere mich, dass wir so unbeteiligt sind
Die Gewinner kassieren ab
Die Verlierer Auchen und sehen die Steine und Sterne sinken
Wir freuen uns, wenn Steine gerettet werden
und vergessen die Trauer über die Versunkenen schnell
Alles ein Spiel, es ist alles nur
ein Spiel?

wahrlich imperial!

Freiheits- und Bürgerrechte), kennzeichnen diese Strategie. Suk¬
zessive wird mit scheinbar demokratischen Mitteln, die vielmehr
antidemokratische Methoden sind, ein reaktionäres Programm
durchgesetzt, das sich weit von dem entfernt hat, was in den uto¬
pischen Phasen der Union „europäische Werte“ genannt wurde.

In Ungarn finden vor Krieg und Terror geflohene Menschen
keine Sicherheit. Niemand von ihnen sollte gezwungen sein in
diesem Land länger als für die Dauer der Durcheise zu bleiben.
Ungarn sollte also rechtlich nicht zur Aufnahme von Konventi¬
onsflüchtlingen verpflichtet werden, solange es nicht ein Min¬
destmaß an menschenrechtlichen Standards garantieren kann.
Bis dahin muss Ungarns Politik der Inhumanität mit Pönalen
belegt und Fördertöpfe solange eingefroren werden, wie unklar
ist, ob EU-Mittel nicht dafür verwendet werden, den nächsten
Zaun zu einem (EU)-Nachbarland zu errichten. Beraten die EU¬
Innenminister über die aktuelle Flüchtlingskrise, welche Funktion
sollte ein ungarischer Minister in diesen Beratungen spielen?
Und begrüßt ein Kommissionspräsident das nächste Mal Viktor
Orbän auf einem EU-Gipfel als „Diktator“, so wie Jean Claude¬
Juncker diesen Mai in Riga, folgt kurz darauf hoffentlich keine
freundschaftliche Umarmung mehr. Eine Geste, die einen daran
denken lässt, dass Orbäns Festungs-Politik unter den europäischen
Spitzenpolitikern vielleicht doch mehr Anhänger hat, als man
sich wünschen würde.

ein Knäuel schlafender Menschen
ineinanderverschlungen

weckt sie nicht, reißt sie nicht auseinander

lasst sie schlafen

schickt sie als Knäuel weiter

verschifft, verfrachtet sie gemeinsam

eine Nacht, nur eine Nacht und das schlafende Paket
wird in Hamburg oder anderorts angekommen sein

was tun Flüchtlinge mit Clowns?
Fotografieren

ja - Fotos schießen — hauptsächlich
Selfies, Gruppenfotos, Videos

viele, viele Menschenkörper
die mir nah kommen
sich an mich drängen
mich berühren...
warum wollen alle Fotos?
Ich und der Clown
einen Augenblick der kurzen Freude, Unbeschwertheit festhalten
Für die fernen Lieben?
Schau hier ist es lustig
schau ich kann lachen — noch

Dezember 2015 53