Ich besitze keinen Garten
keinen sandigen Schuh
verfüge über kein Meer
über keinen sandigen Schuh
mir gehört kein Berg
kein sandiger Schuh
ich habe keine Sümpfe
keinen Sandschuh
ich habe keine Füße
ich trage einen Schuh
einen Sandkasten und eine Schaufel
damit füll ich meinen Schuh
ich stehe im großen Grab
und habe sandige Schuh
(Aus „Flugfänger“, Verlag artinform 1987 )
Wenn das Gierige weiterlebt
nach Zerfall des Körpers
und nur der Gedanke übrig bleibt
es könne auch ohne Vernichtung
ein Ende geben
will nichts bösartig gewesen sein
was einmal mit Angst geatmet hat
(Aus „Vogel auf dem Rücken eines Elefanten“, Verlag
Kiepenheuer&Witsch 1991)
Nahid Bagheri-Goldschmied
Gedichte
Zur Erinnerung an einen Maler,
erschossen im Herbst 1978 in Teheran
Der Rappe Abenddämmerung kommt ohne Gurt und Sattel,
ein verirrtes Pferd, das
seinen gutmütigen Reiter verloren hat
in dieser schrecklichen Ecke der Zeit.
Überall, wo ich hinkomme,
wird mein Haar zerzaust, mein Rock kehrt
wieder und wieder das kalte Pflaster.
Nichts ist zu hören — außer dem Sturm.
Ein weher Herbst schleudert seinen Schatten
Laut meiner Jürgenlosigkeit
Tonlos sprachlos blicklos
und keine Berührung mehr
kein sinnlich sinnvolles
Glattstreichen der Gänsehaut
die aus Glück auf Glück bestand
Der Seelenzustandsanzeiger
dreht durch und durch
und gerät in bewegter Gefahr
ohne der Liebesaufsicht zweifach
zischend ab und davon zu geraten
An jedem Morgen neu der Tau
des leise furchtvollen Atmens
in Räumen voller Jürgenlosigkeit
und der Zeittrost scheint wie Butter
dem das Brot gestohlen
Die Lebensgeister gehen
mit den Totengeistern Hand in Hand
ziellos als ob sie gar nicht ahnten
mit wem in diesem Spaziergang
sie aussichtslos verbunden
In ZW 42014 erschien ein von Ina Ricarda Kolck-Thudt verfasstes
Porträt Zehra Ciraks und in derselben Ausgabe ein Beitrag von Tanja
Dückers über den Künstler Jürgen Walter, den verstorbenen Mann der
Dichterin. In der Oktoberausgabe 2015 der Zeitschrift der Robert
Bosch Stiftung „Chamisso“ ist ein Essay von Vladimir Vertlib über
Zehra Cirak abgedruckt.
auf die aufgewühlte Erde.
In den verwunderten Augen der Amsel
reißt der Sturm alle Fröhlichkeit hinweg
wie die dürren Blätter.
Ich lege mein Kinn in die Handflächen,
mein Blick verirrt sich in der Finsternis.
Und wütend stapfe ich auf den Weg, dass er bebt.
Meine Fingerspitzen tasten sich
durch den rauen Faltenwurf der Nacht,
suchen Spuren des Freundes.
Da! plötzlich das Haus in einer engen Gasse.
Gedankenschwer und schnell gehe ich darauf zu,
Dunkelheit lastet gewichtig auf meinem Haar
und der Körper ist müd,
die Kehle schnürt es mir zu.