Scharlach, zu. Seine körperliche Schwäche geht in den letzten
Wochen des Jahres 1943 mit einer depressiven Stimmung einher.
Er quält sich mit Schuldgefühlen. Er kann nicht überwinden, dass
die Gestapo aus ihm Angaben herausgepresst hat. Im Dezember
1943 will er sich umbringen.
Im Frithjahr 1944 werden die jiidischen Aktivisten der Gruppe in
ein Konzentrationslager deportiert, Ludwig Beer am 8. April 1944
in das KZ Dachau. Anfang September sind alle Anklageschriften
fiir die bald anlaufenden Prozesse gegen die nicht-jiidischen Ak¬
tivisten vor dem Volksgerichtshof erstellt: 24 Aktivisten werden
zum Tod verurteilt, 17 zu schweren Haftstrafen und drei werden
freigesprochen.
Ab diesem Zeitpunkt „braucht“ die Gestapo Ludwig Beer nicht
mehr. So spricht sie irgendwann um Mitte September 1944 auch
formell sein Todesurteil aus und ordnet „auf administrativem
Wege“” dessen Vollstreckung an. Am 20. September 1944 wird
Ludwig Beer hingerichtet. Mit ihm werden auch mindestens
41.504 Häftlinge das KZ Dachau nicht überleben.
Klaus Pumberger, geb. 1961 in Braunau am Inn (Oberöster¬
reich), Studium der Politikwissenschaften und Geschichte an den
Universitäten Salzburg, Innsbruck und Warschau, Dissertation über
die Entstehung der polnischen Solidarnosc, in den 1990er Jahren
Projektleiter der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung in den Büros
Prag, Bratislava und Warschau, derzeit Senior Human Resources
Consultant in einem Wiener Industrieunternehmen, ehrenamtlicher
Leiter der Akademie an der Grenze und Mitglied des Vorstandes der
Kreisau-Initiative in Berlin.
1 Bei dem Beitrag handelt es sich um Auszüge und Zusammenfassungen
aus dem Buch von Klaus Pumberger: Worüber wir nicht geredet haben.
Arisierung, Verdrängung, Widerstand. Ein Haus und die Geschichte zwei¬
er Familien. Das Buch erschien Ende September 2015 im StudienVerlag
(Innsbruck, Wien, Bozen).
2 Vgl. Pumberger, wie Anm. 1: Kapitel „Das jüdische Bürgertum“ und
„Unterschiedliche Welten finden einander“.
3 Bei Erreichen der Volljährigkeit von Ludwig Beer Ende März 1940 wird
die Liegenschaft auf der Kager 5 in Wesenufer von lokalen NS-Behörden
beschlagnahmt und anschließend arisiert. Im Sommer 1940 weist der NS¬
Bürgermeister Alois Dopler, der sich mittlerweile vom Amtsgericht Engel¬
hartszell fäschlicherweise zum Verwalter bestimmen hat lassen, das Anwesen
Johann und Maria Eppacher — die späteren Großeltern des Autors - als
Pächter zu. Diese kommen aus dem Dorf Taisten, Gemeinde Welsberg, im
Pustertal in Südtirol. Im Zuge der Option wählen sie im November 1939
die Auswanderung in das „Großdeutsche Reich“ (vgl. Pumberger, wie Anm.
1: Kapitel: „Die Option: bleiben oder gehen?“). Anfang Juli 1940 wird die
Familie mit ihren zehn Kindern, darunter die spätere Mutter des Autors,
nach Wesenufer umgesiedelt, organisiert und finanziert durch den NS-Staat,
betreut und begleitet von seinen Sozialeinrichtungen (vgl. Pumberger, wie
Anm. 1: Kapitel „Ein Haus, verwickelt in zwei Familiengeschichten“).
4 vgl. Pumberger: Kapitel „Sportler, Tischlerlehrling und Kommunist“.
5 vgl. Pumberger: Kapitel:“Familie Beer nach dem ‚Anschluss‘“ und „Ich
möchte mir die Front, an der ich kämpfe, selbst aussuchen“.
6 Josef Meisel. Zitiert nach ebenda. $. 153.
7 Teddy Prager. Zitiert nach ebenda. S. 154.
8 vgl. Pumberger: Kapitel „Wie viel ich noch lernen muß““.
9 vgl. Hans Landauer: Fragebogen zu Ludwig Beer. Antwort an Klaus Pum¬
berger, Dezember 2011.
10 Leopold Spira. Zitiert nach Friedrich Stepanek: „Ich bekämpfe jeden
Faschismus“. Lebenswege Tiroler Spanienkämpfer. Innsbruck, Wien, Bozen:
StudienVerlag 2015. S. 68.
11 Interview mit Paul Jellinek, geführt von Hans Schafranek am 16.7.1982.
DOW, S. 33.
12 Interview mit Hans Landauer, geführt von Hans Schafranek und Hans
Safrian am 15.9.1982, DOW, S. 88.
13 Leopold Spira: Kommunismus adieu. Eine ideologische Biographie.
Wien, Zürich: Europaverlag 1992. S. 47.
14 Hans Landauer. Zitiert nach Gerhard Bisovsky, Hans Schafranek, Robert
Streibel: Der Hitler-Stalin-Pakt. Voraussetzungen, Hintergründe, Auswir¬
kungen. Wien: Picus Verlag 1990. S. 111.
15 Milan Richter, slowakischer Schriftsteller und Lyriker, hat dieses Zitat
des Briefes von Alois Neuer, einem Cousin seiner Mutter, in sein Gedicht
»Postlidium k bäsni o strykovi Jozefovi“ eingebaut. Deutsche Übersetzung
von Milan Richter. Es war dies der letzte Brief von Alois Neuer an seine
Familie. Einen Monat später wird er von den Deutschen gefangen genom¬
men, weitere zwei Monate später hingerichtet.
16 vgl. Pumberger: Kapitel „‘Sofort und ohne Unterbrechung alles riskieren“.
17 vgl. Pumberger: Kapitel „Die Kriegswende: neue Hoffnung bei Ludwig
Beer, tragischer Verlust bei Familie Eppacher“.
18 vgl. Pumberger: Kapitel „Kein Opfer mehr für Hitlers verlorenen Krieg‘“
und „Heute ich, in ein paar Wochen ihr!‘“.
19 Anni Peczenik. Zitiert nach Anna Sussmann, Heinrich Sussmann: Gehei¬
me Prefecture. In: Franz Richard Reiter (Hg.): Unser Kampf. In Frankreich
und in Österreich. Interviews mit Widerstandskämpfern. Wien, Köln, Graz:
Böhlau Verlag 1984. S. 103.
20 Meisel, ebenda S. 108 und 134.
21 Meisel: ,, Jetzt haben wir Ihnen!“ Kampf, Widerstand und Verfolgung des
österreichischen Antifaschisten Josef Meisel (1911-1945). Wien: Verlag für
Gesellschaftskritik 1985. S. 131.
22 vgl. Landauer: Österreichische Spanienkämpfer in deutschen Konzent¬
rationslagern. In: Dachauer Hefte, Nr. 8/1992 (Überleben und Spätfolgen).
S. 179.
Beim Grenzübergang Kleinhaugsdorf, wenige hundert Meter
entfernt von der Stelle, wo man heute das seltsame Produkt unserer
Konsumgesellschaft, die Excalibur City finden kann, verbringt der
dreißigjährige Kurt Lichtenstern, Direktor und Miteigentümer
der Wilhelmsburger Steingutfabrik, die Nacht vom 11. zum 12.
März 1938 im Niemandsland zwischen Österreich und der Tsche¬
choslowakei. Bei der Hand hat er stets eine Phiole Zyankali, die er
verwenden will, sollte man ihn nach Österreich zurückschicken.
Als er sieht, wie im Morgengrauen neben der österreichischen
Fahne die Hakenkreuzfahne gehisst wird, rollen ihm vor Wut und
Abscheu Tränen über die Wangen. Nach 18 Stunden geschieht
ein kleines Wunder: Er erhält die Einreiseerlaubnis und kann
aus Österreich weiter zu seinem Vetter ins nahe Znaim flüchten.
Conrad Lester, so nannte sich Kurt Lichtenstern ab 1941, ist
1907 in Wien geboren, hat nach der Matura im Schottengym¬
nasium an der Wiener Hochschule für Welthandel (der jetzigen
Wirtschaftsuniversität) ein paar Semester studiert, und nach einer
Ausbildung in einer Keramischen Fachschule in der väterlichen