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Karl Wimmler

Der Steirer Erich Kitzmüller gehört der Ge¬
neration von Menschen an, die am Ende des
Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus
ein größeres Kind oder gerade noch nicht er¬
wachsen waren. An dieser Beschreibung merkt
man bereits, dass die Rede von „Generationen“
eine schwierige Sache ist. In diesem Fall geht es
um eine Gruppe von später ungefähr Gleich¬
altrigen, die zu Kriegsende zwischen zehn und
fünfzehn Jahre alt waren. Erich war nicht ganz
vierzehn. Und zunächst geprägt, um nicht zu
sagen, gezeichnet von seiner Mitgliedschaft bei
der Hitlerjugend. Aber im Gegensatz zu vielen
anderen, die so hineinwuchsen in den Nazismus,
wurden seine Jahre des Erwachsenwerdens mehr
und mehr eine Zeit des Erschreckens. Ein Fr¬
schrecken über sich und seine eigene Verhetzung
und Verblendung vor allem. Aber auch über die
Verhetzbarkeit von Menschen überhaupt. Bis
ins Alter beschäftigt ihn dieses Thema, zu dem
er glaubt, philosophisch einen Schlüssel in den
kulturanthropologischen Arbeiten Rene Girards
über das mimetische Denken und Verhalten
gefunden zu haben.

Das ist die eine Seite. Zugleich aber ist Erich
Kitzmüller auch ein Mann der Tat. Er machte
sich daher in den 50er Jahren als junger Mann
nach Israel auf und arbeitete ein Jahr lang in
einem Kibbuz. Nicht um sozusagen Sühne für
eine eigene Schuld leisten zu wollen, die es nicht
gab. Aber er fühlte, es den hier ermordeten und
von hier vertriebenen Juden schuldig zu sein,
den neuen Staat als sicheren und guten Hafen
aufbauen zu helfen. Solche Leute gab es nicht
viele in unserem Land, die ihr vom National¬
sozialismus geformtes Denken in Frage stellten
und praktische Konsequenzen daraus zogen.
Aber es gab sie, was heute oft unter den Tisch
fällt, indem das Pauschalurteil gefällt wird, alle
hätten damals nur verdrängt. So wie auch jene
nicht selten unbeachtet bleiben, die zur Zeit
des NS-Regimes Widerstand geleistet haben.

Noch Jahrzehnte später konnten Erich Kitz¬
miiller und seine Frau und Lebensgefährtin Rosi
Weber davon erzählen, wie naiv sie in den 50er
Jahren waren, als sie nach Erichs Rückkehr aus
Israel mit Grazer Adressen sich auf die Suche
machten und an Wohnungstüren klingelten,
wo einmal Juden gewohnt hatten. Und nicht
verstehen konnten, warum die nunmehrigen
Bewohner keine Ahnung haben wollten, seltener
wohl keine Ahnung hatten, wer ihre Vorgänger
oder Nachbarn gewesen waren.

Es war noch in Israel, dass eine für Kitzmüller
nicht zu unterschätzende Begegnung stattfand —
mit dem österreichisch-jüdischen Religionsphi¬
losophen Martin Buber. Und auch mit Gershom
Scholem hatte er eine ihn beeindruckende
Begegnung. Anzumerken ist im Zusammen¬
hang mit Israel noch, dass Kitzmüller ab dem

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Sechstagekrieg von 1967 und der anhaltenden
Besetzung von Westjordanland, Gazastreifen
und Ostjerusalem den Karren für verfahren hielt
und sein politisches Interesse von Israel abzog,
ohne aber die Bedeutung der Existenz des Staates
Israel in Zweifel zu ziehen. Österreichern und
Deutschen, jedenfalls nichtjüdischen, steht es ja
am wenigsten an, sich in besonderer Weise über
Israels Politik das Maul zu zerreißen. Die Welt,
so füge ich hinzu, bietet andere Gelegenheiten
dafür genug.

Schon seit den 50er Jahren, als Kitzmüller,
wie manch andere während des Studiums und
danach, autostoppend Europa, in seinem Fall
vor allem Frankreich erkundete, waren ihm die
Augen weiter geöffnet worden. Nicht nur über
das tatsächliche Leben im Land eines ehemaligen
„Feindes“, sondern auch über die Verbohrtheit
und Provinzialität zu Hause. Und sein ehrgei¬
ziges Projekt wurde die Zusammenarbeit der
ehemaligen Kriegsgegner. Für ihn am nahelie¬
gendsten der europäische Ausgleich, der Abbau
der Differenzen und die Stärkung des Gemeinsa¬
men in Europa. Das hört sich heute manchmal
ziemlich platt an und klingt angesichts der real
existierenden Europäischen Union banal. Aber
man sollte dabei daran erinnern, dass hierzu¬
lande noch in den 50er Jahren bis in die 60er
beispielsweise Italiener weithin als „Katzelma¬
cher“, wenn nicht gar als „Verräter“ galten, die
sich Südtirol „unter den Nagel gerissen“ hätten;
dass mit Wohlwollen westdeutsche Ansprüche
auf halb Polen, Königsberg und das tschechische
Sudetenland unterstützt wurden...

So waren die 50er und 60er Jahre Kitzmüllers
subjektiv wahrscheinlich interessanteste und
spannendste Zeit. Mit langjährigen Aufenthal¬
ten in Belgien, Luxemburg, Frankreich — ohne
auf seine Karriere zu achten oder auf finanziellen
Erfolg. Immer ging es ihm um die Sache, sofern
es auch seine Sache war. So war es auch ab Mitte
der siebziger Jahre, als ich ihn kennenlernte. Die
Anti-Atomkraft-, Anti-Zwentendorf-Bewegung
kam grade in Gang. Und er war mittendrin.
War sich für keine praktische Arbeit zu schade,
hockte wie alle anderen in mühsamen Versamm¬
lungen, formulierte Presseerklärungen, koor¬
dinierte. Darüber könnte man lang und breit
schwatzen. Ich ziehe es vor, in der Folge einige
Namen aufzuzählen, nämlich wer aller in all den
Jahrzehnten unter anderem in Rosis und Erichs
Haus am Kreuzberg in Rinnegg in der Nähe von
Graz nicht einfach nur „zu Besuch“ war, sondern
sich zu Besprechungen, Konferenzen, ja Tagun¬
gen aufhielt, allesamt immer köstlich gelabt,
bekocht, bewirtet von Rosi. Aber sie war nicht
nur Köchin; kritische Zuhörerin und Urteilerin
mit manch entschiedenen Einwürfen sowieso.

Ich fange mit der schillerndsten Figur an, von
der Erich bald sagen sollte: „Eine Kerze, die von

Erich Kitzmüller. Foto: Karl Wimmler

beiden Seiten brennt“ — der Deutschen Petra
Kelly; es war Kitzmüller, der sie anlässlich der
Gründung der Alternativen Liste Österreichs,
Vorgängerorganisation der Grünen, eingeladen
hatte. Dann Peter Pritz, der jung verstorbene
Grazer, „eine der wichtigsten Figuren damals“,
wie Erich meint. „Die Grünen waren alle da“,
sagte Rosi viel später, als sich beide nicht mehr
an alle ihre Besucher erinnern konnten. Und be¬
dauerten, kein Gästebuch geführt zu haben. Die
Wabl-Brüder, Freda Meissner-Blau, Günther
Nenning, Josef Buchner, der Maturant Werner
Kogler, Doris Pollet-Kammerlander, Johannes
Voggenhuber. Der belgische „rechte Grüne“
(so Kitzmüller) Ludo Dirks. Dann einer, den
heute niemand mehr kennt und der auch da¬
mals hierzulande viel zu wenig Beachtung fand
und wahrscheinlich aus Verzweiflung über die
verkorksten politischen Zustände, nicht zuletzt
wohl auch unter den Grünen und Alternativen,
seinem Leben selbst ein Ende setzte, der Südti¬
roler Alexander Langer.

Aber Erich Kitzmüller war und ist kein Par¬
teimensch. Damit haben sich die Journalisten
immer schwer getan und ihn damals häufig als
„grünen Philosophen“ bezeichnet. Das war er
wenn, dann nur teilweise. Wie die weiteren
Gästenamen zeigen:

der Politologe Egon Matzner, die Publizistin
und Diplomatin Gabriele Matzner-Holzer, der
Naturwissenschaftler und Umweltaktivist Peter
Weish, der Kernphysiker Manfred Heindler, der
Historiker Lutz Niederhammer, der deutsche
Politikwissenschaftler Wolf Dieter Narr, der
österreichische Politologe Helmut Kramer, die
israelischen Pädagogen und Publizisten Schimon
und Shoshanna Sachs, der niederländische Po¬
litiker und frühere Präsident der europäischen
Kommission Sicco Mansholt, der früh verstorbe¬
ne deutsche Wissenschaftler und Publizist Heinz
Kuby („DER Freund damals“), der ungarische
Schriftsteller, Dissident, Journalist und Politiker
Miklos Haraszti, der britische Europapolitik¬
Experte John Lambert, der deutsche Volkswirt¬
schaftler und SPD-Politiker Wolfgang Roth oder
die beiden Wiener Edlinger-Brüder, als sie, so
Kitzmüller, „noch jung und links waren“: der