skizziert die organisierte Bevorzugung der deutschen Besatzer,
des “Herrenvolk’, und die Ausbeutung der Ortsansässigen durch
das NS-Regime. In kurzen Szenen führt Wittlin vor Augen, wie
solidarisch und erfinderisch die geknechteten Menschen in Nor¬
wegen, Holland, Frankreich, Belgien auf die auferlegten Qualen
und Demütigungen reagieren. Die Verachtung, welcher die Be¬
satzer in unterschiedlichsten Situationen begegnen und der von
den Nazis nicht zu verhindernde zivile Widerstand, werde, so
Wittlin in der abschließenden Bemerkung, hoffentlich die Nerven
der Unterdrücker zermürben und eventuell doch noch zu deren
besserer Einsicht führen.
Dieser Beitrag für Die Zeitung, ähnlich wie jener in der Hull Daily
Mail, erschöpft sich bald in der Auflistung anckdotischer Beschrei¬
bungen einzelner, wenn auch treffend gewählter Vorkommnisse der
NS-Besatzungs-, Vertreibungs- und Vernichtungspolitik. Beiden
Artikeln fehlt die durchgehende und tragfähige argumentative
Behandlung einer Leitidee. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass
Wittlin sich nicht wirklich mit dieser Arbeit identifizierte, ihre
erste Sprache Polnisch war, dass sie zum Zeitpunkt des Erscheinens
des Artikels schon mehr als 3 Jahre in England lebte — zuletzt
ausgebombt in London, und dass die Zeitungsbeiträge unter
Kriegsbedingungen geschrieben, und vermutlich in London und
eventuell in Hull gesetzt wurden.
Mit den Themen Kunst in Kriegszeiten, Kunstraub, Kunst als
Mittel Macht zu demonstrieren, also Themen von Wittlins ersten
journalistischen Tatigkeit, den Auktionsberichten von 1928, und
ausführlich in ihrer Biografie der spanischen Königin Isabella
behandelt, beschäftigte sie sich auch wiederum in England.
Im Mai 1941 erschien der Essay „Verres, Plunderer and Art
Collector“in The Contemporary Review, einer angesehenen kul¬
tur- und zeitgeschichtlich ausgerichteten Schriftenreihe,” und
1946 ein Beitrag ,Some Notes on the Plunder of Art Treasures
in Wars of the Past“, in Apollo, einem anspruchsvollen Londoner
Kunst- und Kulturmagazin“.
Der Artikel „Verres, Plunderer and Art Collector“ ist eigentlich eine
unverhohlene Beschreibung des NS-Kunstraubs und eine Anklage
gegen NS-Praktiken. Mit Hilfe der historischen Figur des römi¬
schen Konsuls Verres und den Schilderungen seines berüchtigten
und grausamen Vorgehens, führt Wittlin einige der Mechanismen
vor, die eingesetzt werden können, um Menschen und Systeme
zu korrumpieren. In der Person des Machthabers Verres verei¬
nen sich einerseits Opportunismus, Habgier, Unmenschlichkeit
und Menschenverachtung, mit andererseits ostentativ zur Schau
getragenem kulturellem Raffinement und verfeinerter Ästhetik.
Die Beschreibung der geschichtlich verbürgten Situation ‘im alten
Rom? verweist (zwar nicht direkt angesprochen, aber offensicht¬
lich) auf (1940/41) zeitgenössisches Geschehen. Wittlin stellt der
Demagogie, die unter dem Deckmantel kultureller Überlegenheit
Grausamkeit und Gewalt erlaube (in ihrer Darstellung entspricht
dies einer römischen Tradition militärisch-strategischer Rück¬
sichtslosigkeit übertüncht mit elitär-demonstrativem Kunstsinn),
die Möglichkeit und Utopie eines demokratischen und aufkläre¬
rischen Zugangs entgegen (lt. Wittlin, der griechischen Tradition
entsprechend, mit quasi öffentlichem, ritualisiertem, aber für alle
zugänglichen Kunstbesitz und Kunstgenuss).
Ganz ähnlich argumentiert Wittlin in „Some Notes on the Plun¬
der of Art Ireasures in Wars of the Past“. In einem Parforce-Ritt
schildert sie, wie im Lauf der etwa 2000-jährigen europäischen
Geschichte, wechselnder Kunstbesitz und Kunstsammlungen,
jeweils mit Kunstraub, Kriegs- und Beutezügen verknüpft wa¬
ren. Im Typoskript lautet der letzte Satz, „For years to come art
sales in London were to deal with objects sent up for auction by
French families whose men had once carned glory and riches
under Napoleon.“
In der gedruckten Version (1946) lenkt Wittlin die Aufmerk¬
samkeit gleich im ersten Satz auf den Nürnberger Prozess und
die dafür zusammengestellten Listen von Kunstschätzen (insge¬
samt 39 Bände), die von den Nazis aus dem ganzen Kontinent
zusammengerafft worden waren. Sie fragt, ob die Massenmörder
dabei nur den Kunstgenuss wollten, den sie beim Anblick ei¬
ner Zeichnung von Dürer, oder der Behandlung von Licht und
Schatten in einem Gemälde von Rembrandt erwarteten, oder
eventuell andere Ziele verfolgten, wie Vorteile für die deutsche
Öffentlichkeit auf Kosten der Nicht-Deutschen? oder Prestige
und persönliche Bereicherung?
Im letzten Absatz dieses Essays stellt Wittlin wiederum den Bezug
zu ihrem Hauptinteresse jener Jahre her, der Museumsarbeit und
ihren Untersuchungen zum kommunikativen Potential verschie¬
dener Ausstellungsgestaltungen. Sie meint, jemand, der sich mehr
und bessere Chancen für die allgemeine menschliche Aufklärung
wünscht, als es die oft durch Zufälligkeiten bestimmte Kontrolle
über wichtige Bildungsinstrumente (u.a. Museen, Kunstsammlun¬
gen) erlaube, müsse sich die Frage stellen, nach welchen Prinzipien
die europäischen Museen, die durch die Naziherrschaft zerstört
wurden, wieder aufgebaut werden sollten.
In vielen Fällen werde die Rückgabe eines Objektes an den Ort
des Verbleibs vor 1939 keinerlei Diskussion erfordern, insbeson¬
dere wenn es sich um die Rückstellung von Eigentum handle.
Manchmal jedoch sei die Situation nicht so klar, und in Zeiten
fortgeschrittener menschlicher Freiheit und Bildung scheine sie
doch grundsätzlich verändert. Überzeugt von der Wirkung, die
Museen und Ausstellungen entwickeln können, plädiert Wittlin
dafür, dass ‚die Autoritäten, die über die Wiederherstellung der
Museen auf dem Kontinent entscheiden, von liberalen Erzie¬
hungsspezialisten unterstützt würden’ [HK] (s. FN 43, S. 147).
Ab Herbst 1941 war Wittlin am Museum of Archaeology and
Anthropology an der University of Cambridge beschaftigt, wo
sie — durch ein Stipendium der IFUW ermöglicht — mit einem
zweiten Doktoratsstudium auch ihre erzichungswissenschaftlichen
Ausstellungsarbeiten durchführte.
1946, nach der Rückkehr der männlichen Kollegen aus den
Kriegsverpflichtungen fand Wittlins Arbeit am Museum in Cam¬
bridge aber keine Fortsetzung. Bald nach Kriegsende bemühte sie
sich daher, auch mit Hilfe internationaler Organisationen wie dem
PE.N. oder der erst gegründeten UNESCO wieder Fuß zu fassen.
Mit Verweis auf ihre Erfahrungen mit Ausstellungen als gestaltete
Lernumgebungen und die Tätigkeit im Museum in Cambridge,
beteiligte sie sich bei einschlägigen Konferenzen des Internatio¬
nalen Museumsrates (I[COM). Sie setzte sich insbesondere für
Museen und Kulturzentren ein, als attraktive, wirksame und offene
Lernräume, besonders geeignet für die Erziehung zur internati¬
onalen Kooperation im neuen Nachkriegs-Europa, und entwarf
ein Konzept für einen Europäischen Schul-Museums-Service.‘