Kindheitsbekannten meiner Generation oder jüngeren Bewohne¬
rinnen und Bewohnern des Ortes. Die beiden heute dort lebenden
Urenkel des Bruders von Ignaz Eisler, des Tischlers Sigmund Eisler,
sind ein paar Jahre jünger als ich. Bekanntlich sind das in der
Jugend Welten, während man einige Jahrzehnte später eigentlich
ungefähr derselben Generation angehört. So war ich froh, als mir
die beiden nach der Lektüre meiner Geschichte bereitwillig ihre
Türen öffneten und ich erstmals mit eigenen Augen bestaunen
konnte, wie dieser bedeutsame Bürger meines Kindheitsortes, der
mir nur von den durch ihn angefertigten Fotografien ein Begriff
war, selbst ausgeschen hat. Als junger Mann Mitte zwanzig mit
Steirerrock, Steirerhut und Gamsbart beispielsweise, mit breitem,
gespitztem Schnauzbart und selbstbewusstem Blick. Oder einige
Jahre spater stadtisch-weltmannisch im dunklen Anzug mit Fliege.
Keine Neuigkeit, dass auf solchen Fotos vor 1938 praktisch nie¬
mand, auch Ignaz nicht, lacht oder lachelt, wie es in den letzten
Jahrzehnten üblich wurde. Ernst, bestenfalls freundlich schauen
die Menschen in die Kamera oder knapp daran vorbei. Manchmal
auch im städtisch-bürgerlichen Outfit, wie der knapp 30-jährige
Sigmund Eisler mit weißem Hemd, Krawatte und modischem
runden Strohhut mit schwarzem Band, lässig über ein Fahrrad
gebeugt. Oder wie auf dem hier abgebildeten Foto ungefähr aus
dem Jahr 1905 im modischen dunklen Anzug und Fliege mit
zwei Brüdern und einem unbekannten katholischen Priester.
Hatte ich vor meiner Beschäftigung mit der Familie Eisler keine
Ahnung davon gehabt, dass es in diesem Zweitausend-Seelen-Ort
in den Zwanzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts ein von
Bürgern des Dorfes gebildetes Streichorchester gegeben hatte, so
konnte ich nun das ausgezeichnet erhaltene Foto schen, auf dem
diese „Bürgermusik Liezen“ abgebildet war. Mit dem Tischler
Sigmund Eisler am Kontrabass im Zentrum des Fotos. Angeblich
war dieses Orchester 1927 aufgelöst worden, weil einige Stützen
aus Liezen wegzogen. Ich kann mir allerdings leicht vorstellen,
dass dies ein Vorwand gewesen sein könnte. Hatte doch bereits
1920 der Gemeinderat des Ortes beschlossen, dass „keine Juden als
Sommergäste aufgenommen werden“ sollten. Ob da der jüdische
Tischler im Zentrum der Bürgermusik nicht ebenso bereits störte?
Andererseits sicht man Sigmund Eisler noch 1932 auf einem
Gruppenfoto mit Bürgern des Ortes, selbstsicher im Steirerrock in
die Kamera blickend, mit seinem dichten grauen Haar und dem
schwarzen Schnurrbart. Oder im selben Jahr zweiundsechzigjährig
in Feuerwehruniform, als Veteran mit Orden behangen in dersel¬
ben Reihe wie mein neun Jahre älterer Großvater, gemeinsam mit
Angehörigen und Veteranen der Freiwilligen Feuerwehr anlässlich
des sechzigjährigen Bestehens. Es war übrigens im selben Jahr,
dass die Liezener Gruppe der Heimwehr den Beschluss fasste, in
die NSDAP einzutreten.