Einige wichtige Umstände und Geschichten von Angehörigen
der Familie Eisler wurden von mir aus Unwissenheit unterschla¬
gen und seien daher hier nachgetragen. Die Eltern von Sigmund
und Ignaz, Emanuel und Maria Eisler, hatten nicht nur jene
drei Kinder, die ich nannte, sondern insgesamt zehn, von denen
zwei noch als Kinder starben: Josef (1874 — 1879) und Anna
(1878 — 1880). Den 1884 in Liezen geborenen Richard, der
bereits in den ersten Wochen des Ersten Weltkriegs südlich von
Lemberg als kaiserliches Kanonenfutter dahingerafft worden war,
konnte ich erwähnen, weil sein Tod, der ihn am selben Tag traf
wie seinen Vater, auf dem Grabstein seiner Eltern in der jüdischen
Abteilung des Friedhofs von Bad Aussee verzeichnet ist. Aber von
der 1880 geborenen Fanny Eisler, die in manchen Dokumenten
auch Franziska genannt wird, habe ich nichts erzählt. Sie war die
erste der Eislers, die in Liezen geboren wurde. Nachdem sie den
Sohn einer Münchner Juweliersfamilie geheiratet und mit ihm
in Köln gelebt hatte, kehrte sie nach dem Tod ihres Mannes (es
wird erzählt: in einem Polizeigefängnis) 1936 nach Liezen zurück
und starb wenige Monate danach. An gebrochenem Herzen?
Weitere Brüder von Sigmund und Ignaz Eisler hießen Leo (*
1882), Karl (* 1888), Friedrich (* 1889) und Adolf (* 1891). Leo
wanderte bereits 1907 nach Köln aus, war dort als österreichischer
Staatsbürger nach 1933 zunächst noch einigermaßen geschützt,
Hüchtete 1938 nach England und wanderte schließlich von dort
1947 in die USA weiter, wo er 1954 verstarb. Karl übersiedelte im
selben Jahr 1907 nach Wien und starb etwa um 1950. Friedrich
verließ Liezen kurz nach dem 1.Weltkrieg und starb 1924 in
München. Seltsam ist schließlich, dass just den in der Familie als
„schwarzes Schaf“ geltenden Jüngsten der Eisler-Geschwister die
schwersten Lebensprüfungen trafen. Den 1891 in Liezen gebo¬
renen Adolf Eisler - er fiel familiär hauptsächlich durch ständige
Geldprobleme auf- zog es schon früh nach Wien, von wo er im
Juni 1938 die Flucht ergreifen musste. Er gelangte nach Belgien,
wo ihn die Verfolger mit dem Einmarsch der Wehrmacht einhol¬
ten. Er wurde und wie viele mit einer ähnlichen Fluchtgeschichte
nach Frankreich verschleppt, zunächst ins Lager Saint-Cyprien.
Vom Sammellager Drancy wurde Adolf Eisler schließlich am
4. November 1942 nach Auschwitz deportiert und vergast. Sein
Name ist im Shoah Memorial, Paris, gelistet. Für Nachgeborene
soll nicht unerwähnt bleiben, dass es mehr als dreißig Jahre lang
dauerte, bis dieser Adolf Eisler laut Beschluss des Landesgerichts
für Zivilrechtssachen Wien am 8. März 1973 für tot erklärt wurde.
Schließlich ist noch eine besondere zeithistorische Entdeckung
im Zusammenhang mit dem Fotografen Ignaz Eisler zu nennen,
die bisher nirgends Erwähnung fand. Ein Teil des ersten Stocks des
Eisler-Wohnhauses neben der Tischlerei war in den Zwanziger- und
Dreißigerjahren an die Gendarmerie verpachtet. In der nördlichen
Hälfte war der Gendarmerie-Posten untergebracht. Auch im Jahr
1934. Und häufig wohnten auch Gendarmen als Mieter im Haus.
Am 18. Februar 1934 nun wurde bei Liezen der nach der Nieder¬
schlagung des am 12. Februar begonnenen Schutzbundaufstandes
auf der Flucht befindliche Anführer der Schutzbündler von Bruck
an der Mur, Koloman Wallisch, zusammen mit seiner Frau Paula
verhaftet und zum Liezener Gendarmerie-Posten gebracht. Der
Eisler-Familienhistoriker gibt dazu folgende Auskunft: „Ob das
Foto des verhafteten Koloman Wallisch im Atelier Eisler aufge¬
nommen wurde, ist nicht zu beweisen, ist aber wahrscheinlich,
da sich das Fotostudio ja direkt über dem Gendarmerie-Posten
befindet. Auch der Vorhang im Hintergrund und der Lichteinfall
von links oben deuten auf die Gegebenheiten im Studio Eisler
hin. Überliefert ist, dass Josefa Eisler Koloman Wallisch an diesem
Abend im Eisler-Haus geschen und seinen erbarmungswürdigen
Zustand beklagt hat.“ — Eine Fotoplatte von der zu einer Art
Ikone des Februaraufstands gewordenen Fotografie des gefessel¬
ten Wallisch fand sich unter den vielen Platten nicht, was nicht
überraschend ist, musste diese „Irophäe“ damals doch sicherlich
der Gendarmerie ausgehändigt werden. '
So erweist sich, dass eine verdrängte, verschwiegene, unterdrück¬
te Familiengeschichte auch im unmittelbar politischen Sinn weit
über den familiären oder regional begrenzten Rahmen hinaus von
Bedeutung ist. Dabei ist dies nur eine vorläufige, grobe Vervoll¬
ständigung meiner ursprünglichen „Heimatkunde“-Geschichte
im Zwischenwelt-September-Heft des Vorjahres. Es ist zu hoffen,
dass es in Zukunft unabhängig von der Familiengeschichte dazu
kommen kann, mit den erhalten gebliebenen unvergleichlichen
Fotografien des Fotostudios Emanuel und Ignaz Eisler aus den
Adolf Eisler, ermordet 1942 in Auschwitz