Jahren 1890 bis 1938, die das Leben im Bezirk bis ins Salzburgi¬
sche und Oberösterreichische hinein anschaulich dokumentieren,
eine Ausstellung zu gestalten.
Ich danke Richard Aigner und insbesondere Mag. Martin Aigner,
beide Liezen, für die bereitwillige Überlassung von Informationen
und Dokumenten und ihrem Vater Franz Aigner (geb. 1922) für
ein freundliches Gespräch im Jahre 2012. Die Wiedergabe der Fotos
erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Mag. Martin Aigner.
Anmerkung
1 Unter anderem Wallischs wegen ließ die Regierung Dollfuß die Gültig¬
keitsdauer des Standrechts verlängern, um ihn am 19.Februar in Bruck an
der Mur hängen zu lassen.
Emma kommt am 12. Mai 1908 im Grazer „Gebärhaus in der
Paulustorgasse“ zur Welt. Sie ist das erste Kind der Näherin Juliane
Eckschlager. Die 21-jährige ledige Mutter stammt aus Bozen. Als
Taufpatin für das Neugeborene bestimmt sie ihre Schwester Erna,
die in der Steiermark als Kammerjungfer in Diensten steht. Bei
der Taufe selbst kann Erna nicht zugegen sein, weil diese schon
einen Tag nach der Geburt stattfindet. Sie wird deshalb von der
Hebamme vertreten, die der werdenden Mutter Beistand geleistet
hat. Es handelt sich um eine Frau Böhm. Über sie steht im Kir¬
chenbuch lediglich, daß sie „Christin“ ist. Die Taufe nimmt ein
Geistlicher namens Franz Roschmann vor. Zwei Wochen nach
der Entbindung gibt die Mutter ihren Säugling zur Adoption
frei. Juliane Eckschlager stirbt zwölf Jahre später. Den leiblichen
Vater lernt ihr Kind nie kennen. Erst im schulpflichtigen Alter
erfährt es seinen Namen.
Emma wird von Johann und Antonia Hren adoptiert. Das
kleinbürgerliche Grazer Ehepaar lebt in der Kastellfeldgasse 20.
Der Mann verdient den Lebensunterhalt für sich und seine Familie
als Zuschneider. Anfang 1917 verfügt das „Kaiserlich-königliche
Bezirksgericht „, daß das neunjährige Mädchen Emma nun den
Familiennamen „Hren“ zu führen hat. Über diesen Abschnitt
ihres Lebens schreibt Emma, die Adoptiveltern hätten von einer
Kinderseele so viel Ahnung gehabt, wie sie selbst von Chemie.
Das bedeutet: gar keine! Wörtlich fährt sie fort: „Es konnte nur
ein Verhängnis werden. Doch die äußere Form blieb die Jahre
hindurch gewahrt, obwohl ich fast darunter zerbrach; dreizehn¬
jährig dachte ich zum ersten Male an Selbstmord. Aber dann
brach endlich, einem göttlichen Lichtstrahl gleich, die Welt des
Geistes in mein Leben.“ Die Heranwachsende entdeckt die Welt
der Literatur für sich und liest fortan, wo und wann immer sich
Gelegenheit bietet, obwohl die Adoptiveltern das nicht gerne
sehen. Bücher helfen Emma, die Gedanken an Selbstmord zu
vergessen. Darüber hinaus wird das Lesen für sie zur Waffe im
Alltag: „Meine ganze geistige Entwicklung vollzog sich heimlich,
im Kampf gegen meine Umwelt, unsagbar einsam, ohne jegliche
Führung, einzig von jenem untrüglichen Licht geleitet, dem ich
zustrebte.“ Auf Anordnung der Adoptiveltern muß das Mädchen
nach Abschluß der Schule eine Ausbildung zur Zahntechnikerin
beginnen, obwohl es gerne aufs Gymnasium gegangen wäre, um
studieren zu können.
Noch keine siebzehn, lernt Emma ihren ersten Ehemann kennen.
Er heißt Lawranz Mikl, hat Medizin studiert und als Soldat am
Ersten Weltkrieg teilgenommen. Die beiden heiraten am 5. Sep¬
tember 1927 in Graz. Ihre Ehe wird nicht glücklich. Rückblickend
schreibt die junge Frau: „Der ersten Hölle war ich entflohen und
wechselte in eine andere. Das fremdeste war aneinander geraten
und es gab keinen Ausweg. Mein Mann willigte nicht in eine
Scheidung, er liebte mich, wenn auch auf eine mir unerklärliche
Weise.“ Um der Misere ihres Alltags zu entrinnen, besinnt sich
die enttäuschte Ehefrau auf jene Waffen, die ihr als Jugendliche
geholfen haben, im Lebenskampf zu bestehen: Kultur und Wis¬
senschaft. Als Gasthörerin besucht sie ab 1928 an der Universität
Graz Vorlesungen in Germanistik und Kunstgeschichte. Dieses
Studium hat vorläufig ein Ende, als 1930 ein Sohn zur Welt
kommt, der den Namen Oskar erhält. Von nun an widmet sie
sich völlig dem Kind. Ihr Leben, so glaubt die junge Mutter,
wird künftig in geregelten Bahnen verlaufen. Das erweist sich
als Trugschluß. Sie lernt einen Mann kennen, der zur großen,
unerfüllten Liebe ihres Lebens wird, dessen Namen sie jedoch nie
preisgibt und nur wissen läßt: „Er war um fünf Jahre jünger als
ich und so verwehrte ich ihm und mir ein Glück, zu dem ich kein
Recht zu besitzen glaubte, wenngleich alles Spätere erwies, dass
ich damit ein Unrecht begangen hatte.“ An dieser Haltung ändert
sich selbst dann nichts, als Lawranz Mikl 1932 an den Folgen
eines Kriegsleidens stirbt und seine Witwe mit dem zweijährigen
Oskar in Armut zurückläßt.
Emma nimmt die neue Herausforderung klaglos an. Trotz ma¬
terieller Schwierigkeiten kann sie ihr Dasein im täglichen Kampf
um die Existenz lebenswert gestalten: „Die ersten wunderbaren
Freundschaften traten in mein Dasein. Und wenn ich auch nie¬
mals aufgehört hatte, mich als geistiger Mensch und als Mensch
überhaupt weiter zu entwickeln - allen Gewalten zum Trotz — so
verfolgte ich von nun ab meinen Weg mit einem wahren Furor.“
Wieder ist es die Literatur, aus der ihr so viel Kraft erwächst, wie sie
benötigt, um mit den Nöten einer mittellosen, allein erzichenden
Mutter fertig zu werden. Nun beläßt sie es auch nicht mehr beim
Lesen von Büchern, sondern beginnt selbst zu schreiben. Zudem
nimmt sie ihr Gaststudium an der Universität Graz wieder auf: „Es
gab herrliches Kunsterleben, wundervollen Gedankenaustausch
mit Freunden und es gab eine Reihe junger Menschen, denen ich
auf den Weg helfen und in denen ich das Licht erwecken durfte
und es gab das eigene Schaffen“.
Trotz der neuen Handlungsfreiheit besitzt Emma nicht den
Mut, sich jenem Mann zu verbinden, den sie nach eigener Aus¬
sage unvermindert liebt. Die Gründe dafür deutet sie in ihrem
Buch Das Chaos und ein junger Mensch an. Der Roman besteht
aus zwei Teilen, wovon der erste den Titel „Sturz ins Reale“ trägt.
Sein Inhalt: In den Tagen, als sich Erwin Lennhoff, der neun¬
zehnjährige Sohn eines Wiener Großindustriellen, auf das Abitur
vorbereitet, meldet das Unternehmen des Vaters Konkurs an. Seine
Mutter verläßt ihren Gatten, der daraufhin Selbstmord begeht.
Erwin liebt heimlich eine um mehrere Jahre ältere Sängerin, die