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sechs Buchläden in Lima) hat beschlossen, in Buenos Aires einen
neuen Buchladen aufzumachen und mir die Leitung zu übertragen.
Diesmal nicht technisch, sondern allgemein und nur hohes Niveau.
Sprachen: Englisch und Deutsch. Für die deutsche Abteilung
wird ein ehemaliger deutscher Kollege verantwortlich sein, ein
ausgezeichneter Buchhändler, der vor 15 Jahren aus Deutschland
nach Argentinien auswanderte, und Englisch ist ja meine eigene
Spezialität. Ich freue mich, dass ich nach all den Jahren wieder
zu den mir näher liegenden Themen und damit auch in meine
eigene Welt zurückkehren kann, denn das rein technische Buch
ist doch eine schr seelenlose Angelegenheit. Das Projekt ist fertig
ausgearbeitet, und es fehlt nur noch der entsprechende Laden.
[...] leider besteht wenig Hoffnung auf ein wirkliches Ausruhen.
Immerhin werde ich die nächsten zwei Monate vorwiegend bei
meinem Sohn und dessen Familie in Cordoba verbringen (mein
Sohn ist Landwirt und leitet eine große Estancia in Argentinien)
che ich mich wieder voll und ganz in die Arbeit stürze“. Horst
Stephans Meinung zum Vorhaben, einige Zeit beim Sohn zu
verbringen: „Das war keine gute Idee, mit ihrer Schwiegertochter
hat sie sich nie gut verstanden und die Enkel waren eben reine
Argentinier und Emma glaubte, ihnen etwas von deutscher Kultur
zugänglich zu machen, was vollkommen scheiterte.“

Mitte Dezember 1968 reist Emma aus Peru ab. Anfang Januar
1969 schreibt sie aus Rio Cuarto in der Provinz Cordoba: „Die
letzten Wochen waren reichlich bewegt. Erst das Aufgeben der
Arbeit und meiner Wohnung in Lima, dem schloß sich eine
hektische Woche in Buenos Aires an, wo wir am 31. März nun
tatsächlich einen neuen großen Buchladen eröffnen werden. [...]
Ich befinde mich zur Zeit im Hause meines Sohnes, und wenn
ich durch die neuen Pläne auch leider wieder einmal um die
an sich so notwendige Erholung komme, so atme ich doch zu¬
mindest gute und reine Landluft und genieße das völlige Fehlen
an Lärm und Verkehr.“ Emma reist Anfang März 1969 nach
Buenos Aires, als die Renovierung der Räume abgeschlossen ist
und die Einrichtung der Buchhandlung beginnen kann. Die in
Peru verbrachte Zeit hat ihr zwar nicht jene einstmals erhofften
spirituellen Erlebnisse verschafft, aber sie ist nun finanziell in
der Lage, sich eine Eigentumswohnung zu kaufen. Eingedenk
zeitaufwendiger Fahrten zum Arbeitsplatz in Lima, erwirbt sie die
Immobilie im Zentrum der Capital Federal und wohnt von nun
an im zwölften Stockwerk eines Neubaus, wo sich ein herrlicher
Blick über die Stadt bietet. Ausschlaggebend für den Kauf des
Apartments mit Dachterrasse ist es für sie, in Zukunft über eine
bessere Lebensqualität als bisher zu verfügen. Daß sie mit der
Anschaffung zugleich ihr Geld gut und sicher anlegt hat, scheint
ihr nach Meinung des Kollegen Stephan nicht sonderlich bewußt
zu sein. Die Eröffnung der Buchhandlung ABC wird zu einem
vielbeachteten Ereignis bei den lesefreudigen Portefios und in
den argentinischen Medien.

Für Emma ist die Freude getrübt, weil sie sich zwei Tage zu¬
vor am Knöchel verletzt hat und deshalb nicht in dem von ihr
gewünschten Maß mitarbeiten kann. Von Anfang an läuft der
Laden ausgezeichnet, nicht zuletzt dank gut geschulten Personals,
das Horst Stephan von „Pigmaliön“ mitgebracht hat. In der fol¬
genden Zeit sind es Reisen nach Mexiko und Kuba, die Emma
helfen, den nötigen Abstand vom Arbeitsalltag zu gewinnen. Auf
Betreiben von Moll eröffnet ABC im Jahre 1971 weitere Filialen
in Sao Paulo und Ecuador, die jedoch nach einiger Zeit wieder
geschlossen werden, da Barta-Mikl und Stephan auch im Team

nicht in der Lage sind, Buchhandlungen in vier Ländern unter
Kontrolle zu halten.

Überraschend für Freunde und Kollegen geht Emma im März
1975 in Pension. Von einem Jugendfreund bekommt sie ein Hin¬
und Rückflug-Ticket nach Europa geschenkt, damit sie, wie dieser
vorschlägt, alle Gefährten vergangener Tage noch einmal schen
kann. Die Reise führt sie auch nach Hamburg und Wuppertal, wo
Paul Zech zwölf Jahre seines Lebens verbracht hat. Im November
kehrt sie zurück nach Buenos Aires. Plötzlich hat sie wieder genug
vom Wohnen im Zentrum der Großstadt. Mit erheblichem Verlust
verkauft sie ihr Apartment, erwirbt 1976 eine Wohnung im 22.
Stockwerk eines Hochhauses an der Avenida Maipu in Vicente
Lopez und schafft sich einen Hund an. Zumindest hat sie am
neuen Wohnsitz eine noch bessere Aussicht und kann mit ihrem
Schnauzer Seppi im Grünen spazieren gehen. Zuweilen trifft sie
Horst Stephan. Er wohnt nur fünf Minuten von ihr entfernt. Ihm
erzählt sie auch von ihren neuen Hobbies, Pflanzenzucht und
Zen-Malerei. Nun, da Emma unbeschwert leben könnte, denn
sie hat weder berufliche noch finanzielle Probleme, muß sie sich
Sorgen um ihren Sohn machen, der an einem unheilbaren Tumor
im oberen Gehörgang eines Ohres leidet und im Krankenhaus
liegt. Mitte Dezember 1976 erklärt sich Stephan bereit, die che¬
malige Kollegin an einem Sonntag mit dem Wagen nach dem
500 Kilometer entfernten Santa Fe zu fahren, damit sie Oskar
ein letztes Mal sehen kann. Als beide am Ziel ankommen, ist der
Patient schon bewußtlos. Noch in der Nacht kehren sie zurück
nach Buenos Aires. Mit im Wagen ist der Hund.

Emma nimmt erneut einen Wohnungswechsel vor, da Seppi
ihrer Ansicht nach auch in Vicente Lopez nicht genügend Bäume
zur Verfügung hat. Gleich einem weiblichen Hans im Glück
verkauft sie ihr teures Apartment, büßt erneut viel Geld ein und
läßt sich 800 km westlich von Buenos Aires in den Bergen von
Cordoba nieder. In La Falda erwirbt sie ein kleines Haus auf ei¬
nem ausgedehnten Grundstück mit großem Baumbestand. Der
festen Überzeugung, ein Leben in der Natur werde ihr das kul¬
turelle Angebot und die Annehmlichkeiten der Großstadt sowie
den gewohnten Umgang mit Freunden, chemaligen Kollegen
und Stammkunden ersetzen, hat sie alle Warnungen vor diesem
Umzug als unbegründet zurückgewiesen. Nach einigen Monaten
erhält sie am neuen Wohnsitz Besuch von Horst Stephan, der
berichtet: „Ich war entsetzt, wie einsam sie war und wieviel Arbeit
ihr dieses Haus machte. Glücklich war sie, daß es dem Hund so
gut ging, da er sich in dem großen Garten schr wohl fühlte. Sie
verzieh ihm alles.“ Stefan erzählt folgende Anekdote: „Zu meiner
Ankunft hatte sie bei Bauern in der Nähe ein Huhn gekauft, das
am Abend gegessen werden sollte. Während unserer Begrüßung
schnappte sich Seppi das Huhn und fraß es auf. Auch das verzieh
ihm Emma und wir gingen dann zum Essen in ein Restaurant.“
Zwei Jahre kann die inzwischen über Siebzigjährige dieses Land¬
Leben führen, das ihr nicht weniger Arbeit abverlangt als die
einstige berufliche Tätigkeit als Buchhändlerin. Dann schwinden
ihre Kräfte. Sie holt den chemaligen Kollegen zu Hilfe.

Mit Unterstützung von Horst Stephan und, wie gewohnt, ei¬
nigem finanziellen Verlust, verkauft sie ihren Grundbesitz. Da
Seppi inzwischen tot ist, steht der Aufnahme in ein Altersheim
eigentlich nichts im Wege. Doch dazu kommt es nicht. An keiner
der Einrichtungen, die sie besichtigt, findet sie Gefallen. Emma
will selbständig bleiben und mietet im Haus einer deutschen
Witwe in Villa General Belgrano ein kleines Apartment. Ver¬
lockend scheint ihr, daß die Vermieterin wissen läßt, sie könne

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