Erich Hackl ist ein erfahrener Anthologist, auch
was literarische Sammlungen zum Spanischen
Bürgerkrieg betrifft. Schon 1986, anlässlich der
50. Wiederkehr des Beginns der militärischen
Kämpfe publizierte er gemeinsam mit Cristina
Timén Solinis eine Sammlung zum Thema:
„Geschichten aus der Geschichte des Spanischen
Bürgerkriegs“. Was 1936 bis 1939 in Spanien ge¬
schah, ist ein furchtbares Exempel europäischen
Versagens angesichts internationaler faschisti¬
scher Bestrebungen, in einer Art Dominopolitik
auch Spanien in die Fänge zu bekommen. Dies
sollte tatsächlich gelingen. Die linke republika¬
nische Volksfrontregierung fand sich — gemein¬
sam mit den von der Komintern und der SU
unterstützten antifaschistischen Internationalen
Brigadisten (ca. 40.000 Männer und Frauen aus
etwa 40 Nationen) - im mörderischen Kampf
gegen die von Hitler-Deutschland, Mussolini¬
Italien und Teilen der katholischen Kirche un¬
terstützten Truppen spanischer Militärs unter
der Führung des Francisco Franco - dies alles
angesichts „perfider Nicht-Interventionspolitik
der Regierungen in London und Paris“.
Spanien und das politische Schicksal seiner
Menschen beschäftigt Hackl seit seinem uni¬
versitären Studium und beglaubigt sich auch
in seiner dokumentarischen Literatur, etwa in
den Erzählungen „Entwurf einer Liebe auf den
ersten Blick“ (1999) und „Die Hochzeit von
Auschwitz“ (2002). Sein umfassendes histori¬
ographisches und biographisches Wissen hat er
sich sicherlich auch im Verlaufe der engen Zu¬
sammenarbeit mit Hans Landauer angeeignet,
der 2003 das „Lexikon der österreichischen Spa¬
nienkämpfer 193-1939“ veröffentlichen konnte
(2., erw. und verb. Aufl. 2008, Theodor Kramer
Gesellschaft).
Nun legt Hackl eine neu konzipierte und vom
Ziiricher Rotpunktverlag ansprechend gestal¬
tete Anthologie vor. Uber seine Motivation fiir
diese Arbeit und die prinzipielle Funktion lite¬
rarischer Aufzeichnung heißt es im exzellenten
Vorwort: „Das kommunikative Gedächtnis ist
am Erlöschen: In ein paar Jahren wird niemand
mehr da sein, der mit den Ereignissen eigene
Erfahrung verbindet; und wer den ersten lan¬
gen, erbitterten und am meisten erregenden
Abwehrkampf gegen den Faschismus, der für ein
knappes Jahr auch revolutionäre Züge annahm,
unter scheinbar völlig veränderten politischen
Verhältnissen nach- und miterleben will, wird
auf die unter dem Eindruck des Geschehens
entstandene Literatur angewiesen sein. Sie gibt,
genauer als ein Geschichtswerk, Auskunft über
das, was die Menschen damals erhofft, was sie
gewonnen und verloren haben, was möglich
gewesen wäre.“
Hackl informiert in diesem Vorwort außer¬
dem über viele relevante Aspekte eines derarti¬
gen schwierigen Unterfangens, etwa über die
Auswahl der deutschsprachigen, unterschied¬
lichen Nationen angehörenden, aber aus sehr
divergierenden politischen Positionen und
Haltungen mit den republikanischen Kräften
sympathisierenden Autorinnen und Autoren.
Darunter befinden sich renommierte Schriftstel¬
lerinnen und Schriftsteller, z.B. Ludwig Renn,
Carl Einstein, Alfred Kantorowicz, Egon Erwin
Kisch, Ruth Rewald, Karl Otten, Albert Vigo¬
leis Thelen, Hermann Kesten, Arthur Koestler,
Gustav Regler, Theodor Balk, Anna Seghers,
EC. Weiskopf, Erika Mann, Joseph Roth, Ernst
Toller, aber auch weniger bekannte bis unbe¬
kannte Verfasserinnen und Verfasser, z.B. Hans
Hutter, Peter Merin, Edwin Gmür, Augustin
Souchy, Valentin Gelber, Willy Hirzel, Wal¬
ter Fischer, Gusti Strindsberg und Lisa Gavric.
Zugleich bekennt sich Hackl zu seiner Nicht¬
Berücksichtigung linksdogmatischer Auftrags¬
schreiber: Letztere haben in dieser Sammlung
deswegen nichts zu suchen, weil sie sich, wie
Hackl schreibt, fatalerweise „eigene oder frem¬
de Erfahrungen ideologischen Vorgaben oder
literarischen Konventionen“ unterwerfen, so
dass etwa „Phrasenhaftigkeit“, „hohles Pathos“,
„politische Borniertheit“, aber auch „stereotypes
Menschenbild“ vorherrschen - zur „Sanktionie¬
rung politischer Herrschaft“. Die Bandbreite der
von Hackl in seine Sammlung aufgenommenen
Genres reicht vom Tatsachenbericht, von Tage¬
buchaufzeichnungen (z.B. Alfred Kantorowicz:
„Spanisches Kriegstagebuch“ 1937), ,Stichwor¬
ten“ (z.B. Ernst Tollers Aufzeichnungen über
das Scheitern einer international geplanten
Hilfsaktion 1939), Zeitungsbeiträgen, Front¬
und Lazarettberichten über Romanausschnitte
(z.B. aus Hermann Kestens „Die Kinder von
Gernika“ 1939), zeitnahe Erinnerungsnotizen
und spätere Erinnerungsprosa (z.B. Lisa Gavrids
Erinnerungen an Opfer in Lazaretten der Interb¬
rigadisten, geschrieben um 1965) bis zu Glossen
und Anekdotischem, Chronikartigem und an¬
spruchsvollen poetisch-literarischen Erzählun¬
gen (z.B. von Rudolf Leonhards „Das Schloß
in der Gironde“ 1939 aus seinen „Geschichten
aus dem spanischen Bürgerkrieg“ 1951; Anna
Seghers „Agathe Schweigert“).
So weit uns Spaniens :
Hoffnung trug
Erzählungen und Berichte
. aus dem Spanischen Bürgerkrieg .
herausgegeben von Erich Hackl
Hackl versucht eine chronologische Abfolge
der Ereignisse seit 1936 einzuhalten — im Nach¬
hinein oder auch schon bei sehr hellsichtigen
Zeitgenossen verstand man den spanischen
Bürgerkrieg gewissermaßen als Probelauf ei¬
nes bevorstehenden Weltkrieges — und durch
die Textanordnung zugleich topographische
Fokussierungen (etwa Barcelona, Madrid,
Mallorca, Guernica, Mälaga, Guadalajara) zu
bewerkstelligen, so dass für die Leserinnen und
Leser eine anschauliche Geschichte zumindest
einiger Brennpunkte der Kämpfe nachvoll¬
ziehbar wird. Dabei scheut er sich auch nicht,
etwa im beklemmenden Kapitel „Der Krieg im
Krieg“ die sogenannten Maitage des Jahres 1937
von Barcelona, d.h. die mörderischen internen
Auseinandersetzungen zwischen den Linken
(kremltreue Kommunisten, republiktreue Trup¬
pen, Anarchosyndikalisten, Anarchisten, Links¬
sozialisten) in den Blick zu nehmen, um an die
fatalen internen Brüche und Zerwürfnisse der
Antifaschisten zu erinnern - eine strenge Mah¬
nung für heute. Dabei geht es Hackl nicht um
kalte und „objektive“ Historiographie, sondern
um die Bewahrung subjektiver Erinnerungen
an Schreckliches. Ebenso beeindruckend fällt
das Großkapitel „Wer mordet, lügt auch“ aus
— nach einem Wort Hermann Kestens in seiner
„Gernika“-Erzählung von 1939 —, indem Hackl
Aufzeichnungen zum Fall Mallorcas wiedergibt