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zu schweigen, obwohl er doch von der „Aktion wider den undeut¬
schen Geist“ der Nazis direkt betroffen war: Seine Werke waren
ja am 10. Mai 1933 verbrannt worden.’ Neumann sagte in der
Sitzung: „Pflicht der PE.N.-Clubs ist es, strikteste Neutralität zu
wahren. Sich nicht einzumischen wäre das einzig Richtige.“ Und
Csokor schlug vor, dass der österreichische PE.N. erklären solle,
„dass er sich auf Grund der tausendjährigen Verbundenheit an
keiner Deutschland-Debatte auf internationalem Boden beteili¬
gen wird“; in dieser Erklärung solle allerdings die Rede sein von
„unserer internen Kritik, die wir auf deutschem Boden austragen
werden“. Am Ende stimmten alle Anwesenden (natürlich mit
Ausnahme von Sonnenschein), also auch Csokor, Neumann und
Schalit dafür, dass Sonnenschein nicht am Kongress teilnehmen
dürfe. Auch wurde der Antrag angenommen, dass der österrei¬
chische PE.N. in Dubrovnik „neutral“ bleiben müsse.

Und doch sollte der österreichische PE.N. am 27. Juni 1933
— genau einen Monat nach dem „Exodus“ von Urbanitzky in
Dubrovnik — mit einer Resolution „mannhaft hilfreich“ für die
verfolgte deutsche Literatur eintreten, genau so, wie es sich die
genannten Mitglieder der Vereinigung sozialistischer Schriftstel¬
ler erbeten hatten. Dass diese Resolution beschlossen wurde,
ist insbesondere einem PE.N.-Mitglied zu verdanken: Rudolf
Jeremias Kreutz. Wie andere PE.N.-Mitglieder auch sei er mit
der „schwachmütigen Vertretung“ des österreichischen PE.N. in
Dubrovnik durch Felix Salten „unzufrieden“ gewesen, schrieb
er im Rückblick; diese „unzufriedene“ Gruppe habe sich in der
Wohnung von Heinrich Eduard Jacob, dem Korrespondenten
des Berliner Tageblatts, getroffen und sich entschlossen, eine
Resolution zu verfassen.” Kreutz berichtete später: „Was ihre
Vorgeschichte betrifft, so war nicht ich ihr Initiator, sondern die
erste Anregung ging von Robert Neumann, Heinrich Eduard Jacob
und Leon Schalit aus.“** Der Text der Resolution, so Kreutz, sei
„durch mich und Maximilian Schreier an Ort und Stelle festgelegt
und einstimmig angenommen“ worden.°’ Und Csokor bestätigte
Kreutz in einem Brief, „dass der Wiener Beschluss seine Formu¬
lierung Ihrem Vorschlag verdankt“.° Auch wenn Schalit dagegen
in einem Schreiben vom 30. Juni 1933 an Ould behauptete,
dass er, Schalit, zusammen mit Kreutz und Brügel die Resoluti¬
on formuliert habe,°' so stimmen die Berichte von Kreutz und
Schalit doch darin überein, dass Kreutz Mitverfasser des Textes
war. Kreutz sagte, er sei von Neumann, Jacob, Schalit und Oskar
Maurus Fontana ersucht worden, den Text einzubringen — und er
habe sich dazu bereiterklärt, „weil sich der in ihr zum Ausdruck
gebrachte Standpunkt mit meinem eigenen deckte.“”

Noch einen Monat zuvor, am 21. Mai 1933, hatten Fontana,
Neumann und Schalit dafür gestimmt, gegenüber Nazi-Deutsch¬
land zu schweigen - ja sie hatten sogar beantragt, dass Sonnen¬
schein nicht am Kongress teilnehmen dürfe. Neumann war ja
ausdrücklich für „strikteste Neutralität“ gewesen und dafür, „sich
nicht einzumischen“. Nun aber initiierten Neumann, Fontana und
Schalit aufeinmal eine Resolution, die gegen Nazi-Deutschland
protestierte - und wandten sich damit gegen ihre eigenen Beschlüs¬
se. Dieser rasche Sinneswandel mutet etwas seltsam an: Hatten
die drei dazugelernt? Oder ging es ihnen einfach darum, von ihrer
Verantwortung für das Versagen des österreichischen PE.N. in
Dubrovnik abzulenken? Csokor jedenfalls, der auch am 21. Mai
erklärt hatte, „angesichts der tausendjährigen Verbundenheit“ zu
Deutschland schweigen zu wollen, änderte seine Meinung schon
wenige Tage später — als Teilnehmer des Kongresses in Dubrovnik.
Dort war er, wie er am 1. Juni schrieb, mit „Schilderungen (...) von

neutralen Augenzeugen“ aus Deutschland konfrontiert worden,
die von Verbrechen „unfassbar in der Brutalität des Vollzugs“ be¬
richteten: „Nicht allein die Scheiterhaufen von Büchern“, sondern
vor allem „die raflinierten Demütigungen und Züchtigungen“
ließen ihm „das Blut in den Adern stocken“.® Insbesondere der
Bericht von Toller führte also offenbar dazu, dass Csokor nicht
mehr mit dem Vorstand des österreichischen PE.N. einverstanden
war, den er im gleichen Brief so kritisierte: „Leider verhält sich
die Leitung unseres Zentrums (...) zu konzessionsbereit.“ Rocck
meint auch, dass Tollers Rede für Csokor „der Höhepunkt des

Kongresses“ war.“

Nicht protestieren wollte Stefan Zweig, worauf Rocek hinweist.“
In einem Brief aus Salzburg teilte Zweig Romain Rolland am 10.
Juni 1933 mit: „Wells war dieser Tage bei mir (...)“.° Wells hatte
Zweig also extra nach dem Kongress von Dubrovnik in Salzburg
besucht. Worüber er mit Wells gesprochen hatte, erwähnte Zweig
in diesem Brief nicht. Er schrieb: „Was uns Juden angeht, wir
dürfen jetzt kein Wort sagen, um den ‚Geiseln‘ nicht zu schaden,
denn die Regierung sucht nur nach Vorwänden für neue Grau¬
samkeiten, sie ist wütend, dass wir ihr nichts derlei bieten, dass
unser (vorläufiges!!) Schweigen sich nicht ausnutzen lässt. “” Zweig
wird diese Meinung sicherlich auch Wells gegenüber geäußert
haben. Auch wenn Zweig selber schweigen wollte, so wartete
er doch auf den Protest anderer: Im Brief fuhr er fort, „dass wir
schon Wochen warten, ob wohl einer unserer nichtverbrannten
deutschen Kollegen das Wort ergreift (...).“®

Das Wort ergriff dann kein deutscher, aber ein österreichischer
„nichtverbrannter Kollege“, eben Rudolf Jeremias Kreutz, der die
Resolution im österreichischen PE.N. einbrachte‘ — und zwar in
der Generalversammlung im Hotel Imperial am 27. Juni 1933.
Die Sitzung begann um 18 Uhr und dauerte sechseinhalb Stun¬
den.’’ Mehr als 80 Schriftsteller waren erschienen, darunter „viele
mit Rang und Namen, die sich sonst dem Vereinsleben entzogen
hatten“, so „Der Wiener Tag“.’' Damit waren also längst nicht
alle Mitglieder gekommen (nach einer Liste von 1928 zählte der
Club fast 150 Mitglieder”); es hatten sich aber mehr Teilnehmer
eingefunden als bei fritheren Generalversammlungen.”

Zueist berichtete Salten, dann Urbanitzky über den Kongress
von Dubrovnik; auf die Frage, warum es zwei Berichte gebe,
antwortete Salten, dass er mit Urbanitzky „nicht solidarisch“
sei.” Salten sagte auch, es sei ein „Opfer“ für ihn gewesen, „auf
dem Kongress zu schweigen, ein Opfer für die österreichischen
Kollegen, die noch draußen im Reich ihr Brot verdienen.“”° Auf
den Vorwurfvon Wells, Salten habe das „geschändete Andenken“
von Schnitzler nicht verteidigt, antwortete Salten: „Kein Mensch ist
in diesem Saale, der von Arthur Schnitzlers Anfängen an bis ganz
zuletzt so nahe an seiner Seite stand. Kein Mensch ist in diesem
Saale, der sich in der Zeit der Widerstände und Angriffe gegen
Arthur Schnitzler mit solcher Leidenschaft der Überzeugung für
diesen Dichter eingesetzt hat. Der Name Arthur Schnitzler ist
mir viel zu teuer, um ihn als Deklamationsthema für die Galerie
zu benutzen.“’‘ Es folgte eine „in schr heftigen Formen geführte
Debatte über das Verhalten der österreichischen Delegierten“;
kritisiert wurde, „dass berufene österreichische Schriftsteller, dass
namentlich ein Felix Salten nicht mit ausdrücklichen Worten die
Zustände, unter denen das geistige Deutschland heute leidet,
getadelt hat“.” Fritz Brügel sprach von der „Tragik der jüdischen
Deutschen“, Maximilian Schreier bekannte sich zur „geistigen
Freiheit“.”® Im Verlauf dieser Debatte kam es zu „einigen ungemein

Dezember 2016 15